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Bucht des Vergessens

Der Wüstenort Eilat am Roten Meer ist das Las Vegas Israels. Der verlorenen Jugend des Landes wird hier Hedonismus in Reinkultur geschenkt, trotz Intifada und Militärdienst. Ein Reisebericht

von JASNA ZAJCEK

„Tell the Israelis we miss them!“, schickt mir der ägyptische Sammeltaxifahrer in Taba am nördlichen Golf von Akaba hinterher. Die ägyptischen Beamten begrüßen mich freudig-verwundert, als ich mich aus 46 Grad Wüstenhitze in ihre voll klimatisierte Grenzabfertigungshalle begebe und mich mit „Asalam Aleikum“ zur Ausreisevisaprozedur nach Israel melde. Zu Fuß über die Grenze spazierende Touristen haben die Beamten schon lange nicht mehr gesehen, die zweite Intifada zwingt den Tourismus der Region in die Knie.

Angeblich, so hat man mir in Ägypten erzählt, ist ein Israeli tot auf dem Sinai gefunden worden, kurz nach dem 11. September. Da bei dem Ermordeten sowohl Drogen als auch Geld gefunden worden sein sollen, interpretieren die Israelis in Eilat diesen Mord als politische Exekution durch muslimische Extremisten. Seither ist kein Israeli mehr nach Ägypten gereist, erzählt mir ein lässig an seiner M16 spielender neunzehnjähriger Grenzsoldat der Israel Defense Force.

Er hat mich bei meinem Spaziergang über das Niemandsland herausfordernd betrachtet und scheint sich derweil spannende Gesprächsthemen überlegt zu haben. Da es zur Zeit keine Touristen mehr gibt, weiß er, dass ich Journalistin sein muss. „It’s the situation – fuckin’ Muslims hate us all“, stellt er in legerem Tonfall fest, bevor er mich fragt, ob ich denn schon Pläne für den Abend hätte. Ob ich kiffen würde, ganz Israel sei stoned, vor allem die Armee. Wie ich das denn nicht wissen könne.

Es folgt der Eintritt in die neonschreiende Scheinwelt von Eilat, dem israelischen Las Vegas am Roten Meer. An diesem vermeintlich abgelegenen Eckchen der Welt, direkt hinter dem Schlagbaum, ringen mehr futuristische Schokoriegel und Wunderbäume um gute Kioskpositionierungen als im echten Las Vegas. Uniformierte Mädchen führen mit mir das obligatorische Einreiseinterview und schicken mich dann in die Wüste, vielmehr: mit der Versicherung, bald ein Taxi oder einen Bus zu finden, auf die glühend heiße Grenzstraße, die seit mehr als einem Jahr von fast niemandem mehr befahren wird.

Acht Kilometer bis Eilat City per Anhalter zu fahren erscheint mir die einzige Lösung. Das erste Auto hält. Elad, ein 48-jähriger Kriegsveteran und Kibbuzbewohner von Kindesbeinen an, ist wie alle mir noch begegnenden Israelis begeistert, in diesen Zeiten einen Europäer in seinem Land zu treffen. Sofort flucht er auf seine Regierung, die es ihm unmöglich mache, sein Business aufrechtzuerhalten. Als Gebietsleiter des weltgrößten Gabelstablervertriebs ist er für den Verkauf und die Wartung von Gabelstablern auch in Gaza zuständig. Termine dort könne er schon lange nicht mehr einhalten, Businesslunches im Westjordanland müsse er stets mit den Nachrichten abstimmen. Als wäre ich persönlich schuld an the situation, schreit er unvermittelt: „And I pay my taxes for the fuckin’ army to have my clients killed!“

Die Beach Area von Eilat City präsentiert sich als Konzentrat des Hedonismus, ein Deutscher palästinensischer Abstammung sagte mir: als flammender zionistischer Stern der Besatzer in ihrem verlorenen Land. Am Strand donnert lauter Goa-Trance, 24 Stunden nonstop läuft die Party. Alles ist erlaubt, die Polizei schreitet nicht einmal gegen offenen Drogenkonsum ein. In jedem Supermarkt liegt der sechzehnseitige Lokalanzeiger für russische Prostituierte aus. Dass sich noch kein Palästinenser in Eilat in die Luft sprengen konnte, liegt an der Größe der Wüste Negev und den Dutzenden Straßenkontrollen auf der einzigen Wüstenstraße. Eilat ist laut Soldatenauskunft zum safest place in the world geworden.

Elad lädt mich zu einer Runde Schwimmen am großzügigen Pool seines Kibbuzes ein. Danach spaziere ich durch Downtown Eilat, ein dreistöckiges Partyzentrum mit wummernden Freiluftdiskotheken und angeschlossenem Goa-Hippiebazar. Dreißigtausend Quadratmeter Love Parade, täglich, auf drei Megafloors in vierzig Locations. Größere Diskotheken außerhalb oder an den Docks nicht inbegriffen. Wer sich hier allnächtlich mit Alkohol und Partydrogen ins Wunderland zu beamen versucht, wird schnell klar: Soldaten und Soldatinnen auf Wochenendausflug und ebensolche nach abgeschlossener Armeeausbildung.

Die arbeitende Bevölkerung in Eilat rekrutiert sich aus Männern, die frisch aus der Armee kommen. Sie verdienen sich in diesem Ausflugsziel ihr Ticket in die große Welt. Nach Ende der Militärzeit, im Alter zwischen 21 und 23, ist eine wilde Zeit in Indien oder Mexiko obligatorisch. Strahlend schöne Mädchen und Jungs mit Dreadlocks, tätowiert, an der Waffe ausgebildet, servieren ab zwölf Uhr mittags teure, harte Longdrinks in der Wüstensonne.

Zwölf Kilometer weiter südlich liegt der Ägypter derweil im Schatten und schlägt Reisenden vor, gegen die Hitze gepflegt anzukiffen. Das, lehrt mich die Wohngemeinschaft von Shivan, einer anmutigen 21-jährigen Schönheit, die ich in Eilat am Strand treffe, wird diesseits der Grenze nach getaner Arbeit genauso zelebriert. Doch neben Joints mit feinem libanesischem Haschisch wird am Abend in den großzügig geschnittenen Apartments gerne auch mal Kokain gesnifft oder die doppelte Portion in der arabischen Wasserpfeife geraucht.

Ich erinnere mich an die Klagen der Beduinen im ägyptischen Dahab, dass seit Ausbruch der zweiten Intifada kein gutes Haschisch mehr gekommen sei. Es gehe nun direkt aus dem Libanon nach Israel. Genau hierhin – und natürlich auch direkt in die Kasernen.

Shivan ist Sergeant in der Israel Defense Force gewesen, sie freut sich schon, im nächsten Jahr als Reservistin wieder ihre „Boys“ zu betreuen und sie im Feld „zu neuen Höchstleistungen“ anzutreiben. Sie leitet Kurse in Staatsbürger- und Handfeuerwaffenkunde. Stolz erzählt sie mir von der Großzügigkeit Israels, den Ägyptern our Sinai zu lassen, von der Kaltherzigkeit, mit der die fuckin’ Muslims fünf israelische Reisende auf dem Sinai ermordet hätten.

Und von ihren Plänen, in Tokio Designerschmuck zu verkaufen, eine Freundin aus der Armee sei bereits gut im Geschäft. Danach ein halbes Jahr lang dem hemmunglosen LSD-Konsum in Goa frönen, auf Goa-Open-Airs in Europa herumreisen, mit Opium gestrecktes Haschisch und Chillums verkaufen, dann studieren, jährlich dreißig Tage Reserverdienst, heiraten, arbeiten, Kinderkriegen. „This is how we do it. How everybody does it over here!“

Zurzeit arbeitet Shivan wie hunderte junge, sehr erwachsen wirkende Menschen in einer der zahlreichen Strandbars für zehn Dollar plus Trinkgeld die Stunde, einem guten ägyptischen Wochenverdienst. Wer fleißig in der Armee war, bekommt hier eine Chance auf einen Tagesverdienst um die hundert Dollar. Barkeeper- und Reinigungsjobs werden von osteuropäischen Männern für zwanzig bis fünfzig Dollar am Tag erledigt. Früher waren es Palästinenser.

„Die israelische Mentalität taugt nicht zum Dienen“, erklärt mir Avi, ein Mitbewohner von Shivan. Unpünktlich dürfe man in der Armee sein, alle wären sowieso stoned, offiziell gebe es zwar keine Chance zum Geschlechtlichen, ein Panzer, Lkw oder Bunker fände sich aber meist im Bedarfsfall, in dem es dann schnell, heimlich und very exciting zur Sache ginge. Beziehungen seien allerdings nur innerhalb einer Rang- und somit Altersstufe gestattet.

Shivan schnauft, als ich der Wohngemeinschaft den Gruß des Ägypters ausrichte, nur verächtlich „They miss only our money!“ Anschließend fragt sie mich, ob ich mich denn in Deutschland noch sicher fühle, schließlich lebten ja so viele „unberechenbare Muslims bei euch, die eines Tages aufwachen werden“.

Auf mein stolzes Plädoyer für Berlin als große ethnische und religiös gemischte Gemeinde ernte ich mitleidsvoll-verächtliche Blicke von den knapp volljährigen, mit Elfen- und Magic-Mushroom-Motiven tätowierten, an der Waffe trainierten Verfechtern der Antiterrorallianz.

Am sechsten Tag meines Israelbesuches habe ich Angst um meine seelische Gesundheit und meine Reisekasse und spaziere wieder in Richtung Ägypten. Kaum bin ich zurück in Berlin, ruft Elad mich an und ist schockiert vom Eindruck, den die israelische Jugend auf mich gemacht hat – woraufhin er mir umgehend einen Platz in einem linken Kibbuz bei Nazareth organisiert, den ich aber dankend ablehne.

JASNA ZAJCEK, 29, leitete das Berliner Szenemagazin Flyer . Ein Buch mit ihren gesammelten Reisekolumnen ist in Vorbereitung.

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