: Ironischer Aufschwung
Wer wird denn gleich die Flügel hängen lassen? Bei seiner Ausstellung in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst gibt Yuri Leiderman vor zu enthüllen, was sich in der Achselhöhle unter den Schwingen einer Ente Lustiges verbirgt
Inspiriert ist der Titel der Ausstellung, inspirierend wirkt er: „Achselhöhlen eines Entenflügels“ heißt die Installation, mit der der 1963 in Odessa geborene Worpswede-Stipendiat die Räume der Gesellschaft für Aktuelle Kunst okkupiert.
Der aerodynamischen Form einer Schwinge entspricht vor allem ein orange-schwarzer Bogen, der auf die hintere Wand des großen Saales geklebt ist: Wie eine große Klammer bündelt er die heterogenen Elemente des Opus.
Zumindest die meisten: Unterstützt durch Textelemente und zusätzliche, durchgezogene und gestrichelte Linien auf dem Boden wird eine Art Zusammenhang hergestellt zwischen vier Bildschirmen und einer Leuchttafel und einer skulpturalen Einheit und einer an die Wand gehängten Arbeitsschürze.
Synthese, die bereits als Kunststück bezeichnet werden darf. Denn auf inhaltlicher Ebene lassen sich die Objekte kaum zusammen denken. Auf zwei Bildschirmen nämlich laufen Videostills mit dem Künstler in abseilender Kauer-Stellung, einmal Freiluft, einmal in einem geschlossenen Raum, auf den anderen beiden zwei Performance-Loops: der Künstler auf einem futuristischen Kongress beimBruderkuss, der Künstler als schwarzer Trommler.
Auf der Leuchttafel schimmert eine Farbfotografie präparierter Orangen. Und die Plastik konfrontiert eine Reihe leerer, an ihrem oberen Rande mit Fotos beklebter Milchgläser mit einer Serie von vier Pappmaché-Raketen.
Das nahezu quadratische Nebengelass jedoch vermag der abstrakte Flügel, selbst gedanklich als virtuelle Linie fortgesetzt, nicht zu erfassen. Das dort befindliche Werk-Teil ist, um im Bilde zu bleiben, bereits tranchiert.
Und es lässt sich, als wohl bestes Stück des Entenflügels, trefflich solo genießen: An den Wänden großformatige schwarz-weiße Kopfbilder von Inouit, durch Kabel mit einer zentral im Raum deponierten Stehlampe ohne Schirm, aber mit Glühbirne, verbunden.
Bei dem so aufgebauten Versuch gehe es darum, Kontakt zu Elektronen herzustellen, informiert ein Text-Panel links des Raumeingangs. Die an den „Eskimo-Tätowierungen“ befestigten Leitungen sollen durch „die richtige Anrufung“ stimuliert werden. Auf dass die Lampen hell erstrahlen.
Wäre dies eine wahrhaft schamanische Invokation? Wohl kaum. Sie wird ironisch gemeint sein. Die Frage jedenfalls, ob er im Ernst auf eine akustiko-mental generierte Erleuchtung des Raumes hoffe, kontert Leiderman mit einem lapidaren „No comment“. Ob er die Ausstellung denn als Einheit begreife? Die Antwort ist ein erneutes Ausweichen: „Teils so, teils so.“
So sympathisch diese jungenhafte Attitüde wirkt: Sie bezeugt doch, dass einer wahrhaft überschäumenden Fülle kreativer Einfälle und Ideen keine ebenbürtige künstlerische Präzision und Strenge gegenüber steht.
Im Gegenteil, die witzigen und nicht selten brillanten Geistesblitze, die in einen Spannungsbogen zu bündeln eine echte Herausforderung bedeutet hätte, werden mit einer gewissen Wurstigkeit und unangreifbarer Ironie als Kleber zusammen gebaut.
Dadurch wird aber auch ihr eigener Glanz stumpf. Merke: Enten, die zu viel unter ihren Flügeln verbergen müssen, können nicht mehr fliegen.
Benno Schirrmeister
Yuri Leidermann, Achselhöhlen eines Entenflügels, Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Teerhof 21, von heute bis 14. Januar 2003, geöffnet täglich außer montags 11 bis 18 Uhr, geschlossen am 24., 25. und 31. Dezember.
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