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„Stunde der Wahrheit“ für PDS

Auf einer Basiskonferenz streiten die Sozialisten mit ihrer Vorsitzenden Gabi Zimmer und sich selbst. Nicht nur zu Rot-Rot gehen die Vorstellungen auseinander

Orte für politische Veranstaltungen werden nicht nur nach Saalgröße ausgesucht. Die Bildung der rot-roten Koalition feierte die PDS vor einem Jahr triumphierend im Rathaus Schöneberg, als hätte sie Westberlin erobert. Wenige Monate später suchte man sich für eine Basiskonferenz das ehemalige Staatsratsgebäude aus: noch Mitte, aber schon wieder Osten. Am Samstag fand wieder eine Basiskonferenz statt: Diesmal hatte sich die Ostpartei zurückgezogen nach Karlshorst, wo früher die Ursache aller SED-Herrlichkeit residierte: die Sowjetische Militäradministration.

Alle PDS-Landesverbände müssen eine solche Basiskonferenz mit der neuen Vorsitzenden Gabi Zimmer abhalten. So verfügte es der Geraer Parteitag. Beschlüsse können auf diesen Veranstaltungen nicht getroffen werden. Deshalb wurde nicht entschieden über einen Antrag einer Gruppe „Linke Opposition in der PDS“, der die Partei aufforderte, die rot-rote Koalition „sofort zu beenden“.

Zimmer äußerte sich in ihrer Eröffnungsrede weder lobend noch tadelnd zur Senatsarbeit ihrer Partei in Berlin. Lediglich die Initiative der PDS-Regierungsmitglieder zur Wiedereinführung der Vermögensteuer sprach sie an. Für ihre Partei forderte Zimmer einen „Kulturbruch“. Die PDS müsse sich unterscheiden „von anderen Parteien und von dem, was in den letzten Jahren war“. Wiederholt nannte sie die PDS ein „Projekt“, das außerhalb des Parteiensystems stehe. Als Bündnispartner sieht Zimmer weniger die SPD, als vielmehr Ver.di oder Attac.

Der Berliner Landesvorsitzende Stefan Liebich erinnerte die knapp dreihundert versammelten Genossen daran, dass vor einem Jahr sich „eine Mehrheit von 85 Prozent für den Eintritt in die Landesregierung“ entschied. Wie aus einem marxistischen Klassiker zitierte er aus einem Papier des heutigen Wirtschaftssenators Harald Wolf und der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Carola Freundl aus dem Jahr 2001. Kernsatz war: „Regierungszeit wird zur Stunde der Wahrheit hinsichtlich der politischen Substanz.“ Ohne den augenscheinlichen Dissens mit der Vorsitzenden anzusprechen, verwies er auf den gescheiterten Zimmer-Kontrahenten Roland Claus und zitierte auch ihn: „Wir haben den Sprung von der Imagepartei zur Konzeptpartei nicht geschafft!“

Aus den über dreißig Wortbeiträgen ließ sich ein einheitliches Stimmungsbild kaum herauslesen. Ellen Brombacher vom Marxistischen Forum zitierte eine Gewerkschafterin: „Ihr habt das Tarifrecht in Deutschland ausgehebelt, ihr als Sozialisten!“ Mehrfach wurde die Befürchtung geäußert, die PDS mache die „Drecksarbeit“ für ihr feindlich gesinnte gesellschaftliche Gruppen. Andererseits erhielt ausgerechnet Harald Wolf den meisten Beifall der ganzen Veranstaltung, als er daran erinnert, der „Solidarpakt“ im öffentlichen Dienst werde seit 1996 in der Partei debattiert. Als PDS-Erfolge im Senat nannte er die Einführung kommunaler Bürgerentscheide und die Einsetzung einer Expertenkommission zur Hochschulmedizin.

ROBIN ALEXANDER

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