piwik no script img

Es gibt weder eine Vision noch eine Strategie

In Berlin trafen sich Palästinenser und Israelis, um gemeinsam nach einem Ausweg aus der Gewaltspirale im Nahen Osten zu suchen

Die gegenwärtige Krise in Israel/Palästina ist einem möglichen Frieden nicht gerade zuträglich. Trotzdem – oder gerade deshalb – luden das Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ und das Potsdamer „Einsteinforum“ nach Berlin zu einer Podiumsdiskussion mit israelischen und palästinensischen Vertretern. Es sollten „konkrete Möglichkeiten für einen Frieden, der in seinen Strukturen beiden Seiten gerecht wird“, gesucht werden. Auf dem Podium saßen Sari Nusseibeh, Präsident der palästinensischen Al-Quds-Universität in Jerusalem, Menachem Brinker, Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung in den Siebzigerjahren, und der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor.

„Der einzige Ausweg aus der Spirale der Gewalt“, so Susan Neiman, Direktorin des Einsteinforums in ihrer Vorrede, „ist, darauf zu verzichten.“

Dieser Einsicht folgten alle Podiumsteilnehmer, zumal – wie Menachem Brinker feststellte – die grenzenlose Bereitschaft zur Selbstaufopferung auf der einen Seite und die militärisch-technologische Überlegenheit auf der anderen eine gewaltsame Lösung schlicht unmöglich machen: „The atomic bomb is no answer to the suicide bomb.“ Sein Fazit: Ohne internationale Hilfe kann die gegenwärtige Pattsituation nicht aufgelöst werden.

Sari Nusseibeh verwies dagegen auf die demografische Entwicklung: Innerhalb der nächsten 20 Jahre, so seine Prognose, wird es mehr Araber als Israelis in der Region geben, eine Lösung wird also immer problematischer, wenn nicht bald durch die Errichtung zweier Staaten klare Grenzen geschaffen werden.

Zwei Haltungen müssten zudem grundsätzlich unterschieden werden. Einerseits der Glaube, der Konflikt sei essenzieller Natur, was zur Foge habe: Kampf, bis einer gewinnt. Demgegenüber müsse eine Position entwickelt werden, die nicht exklusiv israelisch oder palästinensisch orientiert sei und eine Lösung von innen heraus anstrebe. Wer auf Hilfe von außen warte, könne lange warten. Was aber in Palästina derzeit zu beobachten sei, sei keine Intifada, kein Aufstand der Bevölkerung, sondern ein „Zustand der Gewalt“: keine Vision, keine Strategie, sondern ein Krieg, in dem die Bevölkerung nur als Opfer beteiligt ist.

Die zentrale Frage, so Avi Primor, lautet: „Welches Ziel verfolgt man?“ Die derzeitige Regierung Israels – und der größere Teil der Öffentlichkeit – wollten nicht in ersten Linie Frieden, sondern die Rückgewinnung der historisch-biblischen Grenzen des Landes: „Vaterland over life.“

Voraussetzung für ein Umschwenken der öffentlichen Meinung sei aber, der israelischen Bevölkerung ein Gefühl der Sicherheit zu geben, wie es der ägyptische Präsident Anwar Sadat in den Siebzigerjahren zustande gebracht habe. Ein Lichtblick, so Avi Primor, sei die Haltung des Herausforderers von Ariel Scharon, Amram Mitzna von der Arbeiterpartei, der den notfalls einseitigen Rückzug aus den besetzten Gebieten fordert. Doch nach der Durchsetzung dieser Position sieht es derzeit nicht aus. Der Frieden muss also weiter warten. MAHA

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen