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„Wir haben keine Angst vor der Macht“

Warum Matthias Berninger, einst jüngster Abgeordneter im Bundestag, nicht neuer grüner Parteichef werden wollte

taz: Sind Sie ein Weichei?

Matthias Berninger: Nun wirklich nicht. Wie kommen Sie denn darauf?

In der Nacht zum Sonntag hätten Sie Grünen-Vorsitzender werden können. Jetzt sagen viele aus der Generation Joschka, die Jungen greifen nicht mal nach der Macht, wenn sie auf dem Silbertablett in den Saal getragen wird.

Um das schon mal klarzustellen: Wann und wie ein Generationenwechsel stattfindet, das entscheiden die Jungen, nicht die Alten. Joschka Fischer kann bei den Grünen viel bestimmen, aber wie ein Generationswechsel ausschaut, liegt nicht in seiner Hand.

Trotzdem war die Gelegenheit so günstig wie nie. Warum kneifen die Youngsters, wenn’s ernst wird?

Es geht nicht ums Kneifen. Der Generationenwechsel findet in anderer Form statt, als sich das alte Schlachtrosse vorstellen. Wir übernehmen durchaus Verantwortung: mit Steffi Lemke als Bundesgeschäftsführerin; und bei der Bundestagswahl gehörten viele ganz Junge zu den Spitzenkandidaten auf den Landeslisten. Auch Katrin Göring-Eckardt als Fraktionsvorsitzende zeigt, dass wir nicht davonrennen. Ich glaube aber, dass es nicht der richtige Weg ist, gleich alles übernehmen zu wollen.

Konkret, wovor hatten Sie Angst?

Das ist keine Angst vor der Macht, sondern eine nüchterne Einschätzung der Realität auf diesem Parteitag. Ich lasse mich da auch nicht besoffen reden. Die Diskussion um den Generationenwechsel soll von den Fehlern nach der erfolgreichen Bundestagswahl ablenken und schwächt den neuen Bundesvorstand. Die Grünen sind jetzt wahrlich nicht in einer Situation, wo sie so eine Debatte brauchen.

Joschka Fischer hat in seiner Rede erstmals vom Generationenwechsel geredet …

Nochmal, die Diskussion kommt doch gerade jetzt hoch, um von anderen Versäumnissen ganz oben in der Parteispitze abzulenken.

Ausreden, sagen manche …

Das muss man schon konkret machen. Mein Name ist ins Gespräch gekommen, nachdem die Partei den Vorsitzenden Nr. 24 und 25 die Weiterarbeit verwehrt hat. Ich wollte nicht die Nr. 26 werden. Da geht es auch um Strukturen: Ich halte nichts davon, dass man Leute zwingt, für den Parteivorsitz ihre Mandate aufzugeben, um sie dann in relativ kurzer Zeit wieder zu verheizen.

Wie das?

Die Partei muss sehen, dass die Grünen ihren Vorstand wie die arme Verwandtschaft behandeln. Viele Freunde von mir haben den Spitzen im letzten Bundesvorstand zugearbeitet unter extremen Arbeitsbedingungen. Die Partei muss einfach auch die finanzielle Ausstattung der Bundeszentrale verbessern.

Der Vorwurf bleibt: Die Jungen von heute wollen befördert werden, nicht Risiken eingehen?

Bei mir hat Joschka Fischer nicht angerufen. Ich hab mich vorher nicht umschmeicheln lassen, noch bin ich bereit, mir hinterher Pflichtvergessenheit vorwerfen zu lassen.

Auch jenseits der Politik ist die Generation der Wohlstandskinder um die 30 nicht gerade als risikofreudig berühmt.

Da legen einige von den 68ern eine ziemliche Salonlöwen-Haltung an den Tag. Am Arbeitsmarkt sieht man doch zurzeit, dass Entlassungen vor allem auf die Knochen der Jungen gehen. Die legen nicht die Hände in den Schoß.

Die Risikofreudigen finden sich also außerhalb der Partei?

Wir Jüngeren haben zum Beispiel der Partei mit der Familienpolitik ein Thema zugemutet, als man bei den Grünen das Wort Familie nicht mal erwähnen durfte. Da haben wir mit unserer Erfahrung vom Leben mit Kindern maßgeblich den Kurs geändert. Unser Politikstil ist halt ein anderer, als die Altvorderen sich das in seliger Erinnerung an ihre wilden Jahre wünschen. Unser Weg besteht darin, nicht alles abzukupfern.

Sie sind Staatssekretär, haben einen Dienstwagen und einen Arbeitsstab. Machen zu viel Privilegien zu früh satt?

Ich bin nicht saturiert. Was ich verändern will, kann man im Verbraucherschutzministerium besichtigen.

Und gibt es eines Tages doch einen Grünen-Vorsitzenden Berninger?

Who knows.

INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ

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