orte mit basketball (3): HENNING HARNISCH über Korbsport in Hagen
Striptease der Zwiebäcke
Vom einige Meter entfernt gelegenen Parkplatz aus schaut man hoch zu ihr, sieht, dank des Lichts der starken Scheinwerfer, die verglaste Rückseite der Halle und in ihr den orangeroten Rücken der sich steil in die Höhe streckenden Haupttribüne. Die Ischelandhalle. Wir sind im Herzen des deutschen Basketballs, in Hagen. Hier sitzt der Deutsche Basketball-Bund und hier befindet sich die „Ische“, wie der Hagener seine Halle nennt. Unter der Tribüne, in den Katakomben, da sammelt man sich seit 1968 vor den Spielen, bestellt bei mattem Schein sein Pils, bevor die Menge, organisch vereint, ihre Meinung, die traditionell eine recht derbe ist, Gegnern und Schiedsrichtern kundtut.
„Mörder“, ruft es neben uns, eine Frau im Kostüm ist es, die im weit fortgeschrittenen und sehr knappen Spiel zwischen Brandt „den Zwiebäcken“ Hagen und Oldenburg resolut interveniert, als ein Oldenburger Spieler ein Foul begeht. Traditionen. Vor Jahren ließen die Hagener Fans den damaligen Manager des Erzrivalen Leverkusen und jetzigen Manager der Basketball-Bundesliga, Otto Reintjes, in Form einer Puppe unter dem Dach der Halle, im so genannten Heuboden, am Galgen baumeln. Einmal kam ein volltrunkener Fan in der „Ische“ die Tribüne herunter und haute den Schiedsrichter um. Passiert. Der Hagener liebt sie, seine Geschichten. Kaum zu glauben, der Geschichtssinn, denn wenn man in Hagen-West die A1 verlässt und die Straße entlangfährt, dann fragt man sich zunächst, ob das hier, auf dem Weg in die Stadt, eine ironische Verarschung einer mit Kettenrestaurants gespickten US-amerikanischen Vorstadt sein soll.
„Hagen ist hässlich“, sagt, spät nach dem Spiel, im Gespräch Bernd Kruel, einziger Hagener der derzeitigen Mannschaft, die, wie so oft, eine neue ist. Wir sind im „Vogel“, im „Feuervogel“, der, seitdem die „Rose von Westfalen“ ihren Besitzer gewechselt hat, einzigen Basketballerkneipe der Stadt.
Hagen ist hässlich – sagten sie das nicht alle, all die Spieler aus Hagen, die man über die Jahre getroffen hatte? Aber sagten sie das nicht mit einem bestimmten Ton in der Stimme, leicht grinsend gesprochen, der zu verstehen gab: „Verstehen wirst du das nie, aber wir lieben es hier!“ Und wie sie es liebten, die vielen Spieler aus der eigenen Jugend, die die Mannschaft in den guten Jahren von den 70ern bis zum letzten Titel, dem Pokalsieg 1994, lebten!
Fakt ist, weggezogen ist eigentlich nie einer von ihnen, und wenn, dann kam er irgendwann wieder heim nach Hagen. Vielleicht wegen der Rituale, die gerade sie, die Basketballer, in ihrer Stadt so pflegten. Etwa wegen dem jährlich vollzogenen kollektiven Striptease nach der Saison im „Vogel“, am Abend nach dem großen, legendären Kneipenbasketballturnier der Stadt.
Auch Dr. Martin Schimke, Hagener und Exspieler, ist zurück. Schimke, kurz „Schimi“ genannt, kündigte vor gut zwei Jahren seinen Job in einer renommierten Hamburger Anwaltskanzlei, um, wie er damals sagte, wieder den Stallgeruch zu atmen. Seitdem ist er Manager von Brandt Hagen. Man ahnt die Schwere seines neuen Alltags, wenn er im „Vogel“ über die geplante neue Halle spricht, über all die Gespräche, die er mit Lokalpolitikern führt.
Man ahnt, ohne Schimke, da hätte eine neue Halle, da hätte Basketball, ausnahmsweise mal in die Zukunft gedacht, wahrscheinlich keine Chance. Doch, was heißt das, eine Perspektive für eine Basketballstadt zu finden, die, so scheint es, ausschließlich aus Geschichten besteht, und in der die Gegenwart von Spielern verkörpert wird, die hier ein Jahr Montage buchen, bevor sie nächstes Jahr weiterziehen? Reicht eine neu gebaute Halle, um strukturelle Probleme zu lösen?
Schimke legt das vom Wirt gehegte Fotoalbum zur Seite, in dem der letzte kollektive Striptease, der vor vier Jahren im „Vogel“ stattgefunden hat, festgehalten worden ist. Er sagt: „Wir müssen es schaffen, aus dem Mythos eine Marke zu machen.“
Was das wohl heißen mag, in Basketball-Hagen?
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