: Milliardengrab zugeschippt
Expertenkommission empfiehlt Ausstieg aus der Anschlussförderung des sozialen Wohnungsbaus. Härteausgleich soll Mieter schützen. Abgespeckte Verträge für Eigentümer vorgeschlagen
von STEFAN ALBERTI
Eine vom Senat eingesetzte Expertenkommission hat gestern ein Ende der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau empfohlen. Einen Rechtsanspruch der Eigentümer kann das Gremium mehrheitlich nicht erkennen. Der Ausstieg ist ein zentrales Sparprojekt von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), der die Förderpraxis als „reinsten Rinderwahnsinn“ bezeichnet hatte. Auffangverträge für die Eigentümer und Härteausgleich für höhere Mieten sollen für einen möglichst glatten Übergang sorgen. Durch den Ausstieg soll das Land eine von sonst fälligen 3,3 Milliarden Euro sparen.
Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) hatte sich bisher skeptisch geäußert, dass ein Ausstieg rechtlich und sozial möglich ist. Bei der gestrigen Vorstellung stellte er sich hinter die Experten: „Das Modell muss angesichts der Haushaltslage umgesetzt werden.“ Das sage er auch als der Senator für die Mieter und für die Immobilienwirtschaft. Dienstag will er die Ergebnisse im Senat vorstellen.
Die Anschlussförderung war nach der Idee des sozialen Wohungsbaus bislang für weitere 15 Jahre eingesprungen, wenn der Mietpreis und die tatsächlichen Kosten nach Ende der 15-jährigen Erstförderung auseinander klaffen. Aktuell betroffen sind die Baujahrgänge 1987 bis 1997 mit rund 25.000 Wohnungen, für die ab dem 1. Januar eine Anschlussförderung anstünde. Seit 1997 gibt es keinen sozialen Wohnungsbau mehr in Berlin, angesichts von 100.000 freien Wohnungen laut Strieder keine Überlegungen, ihn zu beleben.
Die Grünen-Fraktion hatte zuletzt das Geschäft von Finanzsenator Sarrazin betrieben und einen sofortigen Ausstieg gefordert. Strieder sahen sie dabei als den Mann, der sich schützend vor das bisherige System stellte. Ihre Forderung ging über die Empfehlung der Kommission hinaus und sah Konkurse von Unternehmen und eine Übernahme durch das Land vor.
Im Abgeordnetenhaus war bislang zwar unstrittig, dass die jetzige Förderpraxis den Landeshaushalt unzumutbar belastet. Die Forderung der Grünen nach einem radikalen Ausstieg fand jedoch wenig Unterstützung. „Die machen es sich zu leicht“, sagt der CDU-Experte Fritz Niedergesäß. Fallbeilartig komme man von der Sache nicht los. Die FDP-Fraktion hatte den Grünen vorgeworfen, falsch zu rechnen. Haftungsrisiken und Schadenersatzansprüche würden die Einsparungen übersteigen.
Bernd Strehlow, Vizechef beim Landesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, war vor der Empfehlung der Kommission von einem anderen Ergebnis ausgegangen. Ein Gutachten belege, dass es einen Rechtsanspruch auf Anschlussförderung gebe. Also weiter wie gehabt, trotz der Finanzmisere? „Im Prinzip ja“, sagteStrehlow noch am Nachmittag.
Anders Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins. Mit der bisherigen Praxis könne es nicht weitergehen, hatte er geäußert. „Das sieht zwar günstig aus für die Mieter. Aber die müssen es letztlich über ihre Steuern bezahlen.“
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