: Die Polizei tritt in Grottians Fußstapfen
Heraus zum 1. Mai – schon im Dezember: In Anlehnung an die Initiative des FU-Politikwissenschaftlers sucht die Polizei nach Bündnispartnern für eine Befriedung des Krawall-Spektakels. Ihr Konzept wird heute mit der Politik debattiert
Während andere Jagd auf Weihnachtsgeschenke machen, mobilisiert die Polizei bereits mit Hochdruck für den nächsten 1. Mai. Nach dem Motto „Je früher desto besser“ haben Innensenator Ehrhart Körting und Polizeipräsident Dieter Glietsch (beide SPD) die innenpolitischen Sprecher von SPD, PDS, Grünen, CDU und FDP heute zu einer Gesprächsrunde geladen. Bei dem Treffen, an dem laut Körtings Sprecherin auch der Vizechef der Schutzpolizei, Alfred Markowski, und der Leiter der Direktion 7, Michael Knape, teilnehmen werden, wird die Polizei über den Stand der Einsatzvorbereitung Walpugisnacht und 1. Mai 2003 berichten und ein Konzeptpapier zur Diskussion stellen.
Der Treffen ist der erste Akt eines Vorhabens, mit dem ein ehrgeiziges Ziel verfolgt wird. Nach dem Vorbild des Politikprofessors Peter Grottian möchte die Polizei einen gesellschaftlichen Diskurs zur Befriedung der Kreuzberger 1.-Mai-Krawalle anstoßen und dafür Bündnispartner gewinnen. Grottian hatte im vergangenen Frühjahr mit dem Personenbündnis „Denk Mai neu“ versucht, den 1. Mai friedlich zu repolitisieren, war aber mangels Unterstützung durch die linksradikale Szene gescheitert. Zum allem Überfluss war auf sein Auto ein Brandanschlag verübt worden. Aber auch die Polizei war nicht leicht zu überzeugen: „Was ist das für Traumtänzer“, war die Reaktion von Schutzpolizeichef Gernot Piestert, als er mit dem FU-Professor das erste Mal zusammenkam. Letztendlich hatte Piestert seine Bedenken aber über Bord geworfen und seinen Beamten am 1. Mai betonte Zurückhaltung verordnet. Es kam zwar zur Straßenschlacht, diese fiel aber weniger heftig als üblich aus.
Vorlage für das heutige Treffen ist ein internes Strategiepapier der Polizeiführung, in dem die 16-jährige Geschichte der 1.-Mai-Krawalle ausgewertet wurde. Das Fazit: Der im Mai 2002 eingeschlagene Weg der Kommunikation mit den Demonstrationsteilnehmern soll weitergeführt und bei den Einsätzen eine größtmögliche Zurückhaltung geübt werden. Das ist ein bemerkenswerter Sinneswandel für eine Behörde, die im Vorjahr noch ein Verbot der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ durchgesetzt hatte.
Aber es kommt noch besser. In Anlehnung an die Grottian-Initiative schlägt die Polizei vor, eine Arbeitsgruppe „Projekt 1. Mai – quer“ ins Leben zu rufen, in dem Einzelpersonen und Gruppen Ideen zur Befriedung des 1. Mai zusammentragen sollen. Künstler und Medienleute sollen genauso angesprochen werden wie Bezirksämter, Sozialarbeiter, Gewerbetreibende und Anwohner. Sie alle sollen dazu beitragen, dass der Kiez nicht stets aufs Neue zertrümmert wird. Die eigene Rolle definiert die Polizei so: Man wolle für das Projekt zwar den Anstoß geben, aber nicht die Federführung übernehmen. Zumindest was das Bezirksamt Kreuzberg angeht, muss keine Werbetrommel mehr gerührt werden. Anfang des Jahres wolle man ein Konzept à la Grottian entwickeln und politische Gruppen kontaktieren, sagte Baustadtrat Franz Schultz (Grüne) der taz.
Nur der Spiritus Rector ist skeptisch. Er fände es gut, wenn die Idee weiter entwickelt würde, sagt Peter Grottian. „Aber die Initiative muss von unten kommen.“ An einem von der Polizei angestoßenen, etablierten Bündnis würde sich kein Linksradikaler beteiligen. „Und an die, die beim letzen Mal die Supermärkte ausgeräumt haben, kommen nicht mal die Autonomen ran.“ Die Polizei und die Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin hätten ihn bereits gefragt, ob er sich an einem neuen Projekt beteiligen würde, sagt Grottian. Fest steht für ihn aber eines: „Ich würde mich nicht noch einmal so exponieren. Vielleicht in der zweiten Reihe.“ PLUTONIA PLARRE
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