: Armeeaufmarsch oder Wahlen
In Venezuela wird weiter gestreikt. So will die Opposition Neuwahlen erzwingen. Doch Präsident Chávez denkt nicht daran. Er schickt Militär in die Erdölanlagen
BUENOS AIRES taz ■ Eine Woche Generalstreik könnte auch dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zu viel werden. Die Frage ist nur, wie seine Reaktion darauf aussieht. Geht es nach dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), César Gaviria, wird es im ersten Quartal des kommenden Jahres Neuwahlen geben, ganz wie die Opposition es fordert.
Am Montag informierte Gaviria, der in dem ewigen Konflikt vermittelt, die Regierung sei bereit, zumindest über Neuwahlen zu reden. Davon scheint die Regierung aber wenig wissen zu wollen. Zumindest Innenminister Diosdado Cabello verpasste Gaviria sogleich einen Dämpfer. Unter keinen Umständen werde Chávez vorzeitig von seinem Amt zurücktreten. „Wir wollen keinen Krieg, wir wollen keine Toten, wir wollen den Dialog“, so Cabello.
Doch ein Dialog scheint derzeit unmöglich zu sein. Während Chávez das Militär einsetzt, um bestreikte Erdölanlagen wieder funktionstüchtig zu machen, streikt die Opposition fleißig weiter. Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und Unternehmerverbänden legt seit dem 2. Dezember das Land mit einem unbefristeten Generalstreik lahm. Täglich wird der Ausstand in einer rituellen Zeremonie um einen Tag verlängert. Auf der Plaza Francia, inmitten eines Reichenviertels der Hauptstadt Caracas, versammeln sich täglich hunderte von Chávez-Kritikern, um gegen den Präsidenten zu protestieren. Einige der Oppositionellen haben bereits Zelte auf der Plaza aufgeschlagen und wollen sie erst verlassen, wenn der Präsident einlenkt. Ihr Ziel: Chávez muss weg.
Ohne Hemmungen gaben die Anführer der Streikenden am vergangenen Montag zu, dass es ihr einziges Ziel sei, den demokratisch gewählten Chávez aus dem Amt zu jagen. Der Boss des Gewerkschaftsdachverbands (CTV), Carlos Ortega, versprach, „es wird uns gelingen, Chávez zu stürzen“, und zwar noch viel früher, als dieser sich das vorzustellen vermag. Venezuela brauche eine andere Politik, „das so genannte Projekt Chávez passt nur in sein krankes Gehirn“.
Mit dieser Ansicht scheint Ortega nicht allein dazustehen. Am Montag beschossen Oppositionelle einen staatlichen Rundfunksender, die Banken gaben kürzere Öffnungszeiten bekannt und die Fluggesellschaft Aeropostal reihte sich in die Streikfront ein. Damit wird die Situation für Chávez immer komplizierter. Doch sein größtes Problem ist der Streik in der Erdölindustrie. Venezuela hängt am Tropf des Erdölexports, das Land ist mit einer Tagesproduktion von 2,8 Millionen Barrel fünftgrößter Erdölproduzent der Welt und einer der wichtigsten Öllieferanten der USA. Wegen der Streiks in den Förderanlagen ist die Produktion um etwa die Hälfte gesunken, der Export ist praktisch zum Erliegen gekommen. Tanker, die in den venezolanischen Häfen festgemacht haben, werden seit Tagen nicht beladen.
Selbst im Land wird allmählich der Sprit knapp. Einige Tankstellen in Caracas mussten schon schließen, da ihre Zapfsäulen leer waren. Der Präsident des staatlichen Erdölkonzerns Petróleos de Venezuela (PDVSA), Ali Rodríguez, warnte bereits vor einem „nationalen Desaster“. Der Streik könnte die „Erdölindustrie paralysieren“. Wenn PDVSA seinen Lieferverpflichtungen nicht nachkomme, dann drohen dem Konzern bis zu sechs Milliarden Dollar Strafe. Rodríguez rief daher alle Arbeiter seiner Firma dazu auf, sich dem Streik zu verweigern und zur Arbeit zu gehen. Alles andere sei „Sabotage“.
Und der ehemalige Fallschirmjäger Chávez besinnt sich in der Not auf seinen engsten Verbündeten: das Militär. Am Montag übernahm die Nationalgarde die Kontrolle über ein Vertriebszentrum von PDVSA nahe der Stadt Valencia, etwa 150 Kilometer westlich von Caracas. Mit firmenfremden Arbeitern versorgt die Filiale jetzt drei weitere Staaten des Landes mit Benzin.
INGO MALCHER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen