Objekt verspielter Lässigkeit

Bayer Leverkusen verliert mit 2:3 gegen Inter Mailand und wird von den Italienern nach der Führung nicht mehr ernst genommen – kein Grund für den Vizemeister, die Hoffnung fahren zu lassen

aus Mailand ERIK EGGERS

Der typisch britische Kick ’n’ Rush, der italienische Verteidigungswall des Catenaccio oder auch das verschwurbelte Scheiberl-Spiel der Österreicher – mit Schlagwörtern dieser Art waren die verschiedenen Stile des europäischen Fußballs lange Zeit zu erklären. Heutzutage erscheint es mehr als bemüht, nationale Eigenarten herauszuarbeiten. Héctor Raúl Cúper, der stets introvertierte Trainer vom Internazionale Mailand FC, scheint noch ganz der guten alten Zeit und ihren Klischees verhaftet, wie sich Dienstag nach dem 3:2-Sieg seines Teams in der Zwischenrunde der Champions League gegen Bayer Leverkusen zeigte.

Denn Cúper begründete seine offensive, in dieser Saison bisher ungesehene Aufstellung tatsächlich damit, dass „deutsche Mannschaften immer überaus geordnet und präzise stehen“, Leverkusen könne „die Defensive sehr schnell zuschließen“. Das klang nun aus mehreren Gründen ziemlich absurd. Nicht nur deswegen, weil Leverkusens Siege in der letzten Saison wahrlich nicht einer typisch deutschen, will heißen: unattraktiven Spielweise, geschuldet waren. Zudem verkannte Cúpers Einschätzung ganz eindeutig den Fakt, dass Klaus Toppmöllers Defensive das letzte Aufgebot darstellte, saß doch auf der Leverkusener Bank mit Ojigwe lediglich noch ein defensiver Spieler, dazu noch leicht angeschlagener Mittelfeldspieler. Und wenn im Abwehrzentrum ein Spieler wie Thomas Kleine, der sich sonst mit den Amateuren auf den Regionalligaplätzen in Paderborn oder Aue vergnügt, abwechselnd mit den Weltklasseangreifern Hernan Crespo und Christian Vieri auseinander setzen musste, dann war das doch ungefähr so, als hätte irgendein dahergelaufener westfälischer Preisboxer in den 60er-Jahren den großen Muhammad Ali herausgefordert.

Machte Kleine seine Sache ganz gut, erwischte Mittelfeldakteur Hanno Balitsch einen rabenschwarzen Tag, wollte er hinterher auch das Gefühl haben, „in der ersten Halbzeit das Spiel bestimmt zu haben“, und mochte Klaus Toppmöller auch der großen Kopfballmöglichkeit durch Berbatov in der 2. Minute und einer „Riesenchance für das ganze Spiel“ nachtrauern: Angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse wunderte sich niemand wirklich, dass Inter schon nach einer halben Stunde glaubte, die Partie für sich entschieden zu haben. Da nämlich hatte der überragende Di Biagio die sich ihm bietenden zwei Chancen eiskalt zur 2:0-Führung genutzt. Dass die Schwarz-Blauen fortan ihren Gast nicht mehr ernst nahmen, zeigte sich in vielen Miniaturen. So etwa in einem schmuckvoll verziertem Dribbling Zanettis, tief in der eigenen Hälfte, das vier Leverkusener Akteure als Slalomstangen missbrauchten: Das also waren die Szenen, die von den „Interisti“ lautstark bejubelt wurden und die mehr als die Tore in die Erzählungen der nächsten Tage eingehen werden. Wie sehr es Internationale danach schon auf künstlerischen Wert ankam, das bewies auch Crespo, als er in der 39. Minute völlig freistehend einen Kopfball über das Tor jagte und nicht kühl abtropfen ließ.

Es hatte seine guten Gründe, dass die Gäste in der Pause eine Vorführung durch Inter befürchten mussten. „Wir wollten uns in der zweiten Halbzeit nicht abschießen lassen“, sagte Balitsch nach dem Spiel, „wir wollten kompakt stehen und haben uns vorgenommen, Inter dann mit einem Tor noch einmal zu verunsichern.“

Dass sich die Leverkusener tatsächlich in schier aussichtsloser Lage wieder reinkämpften in dieses Spiel – das honorierten nicht nur der Trainer und die etwa 500 mitgereisten Fans, das war die eigentliche Erkenntnis aus diesem Spiel. Die Tore von Zivkovic nach Neuville-Ecke (63.) und von Franca (90.) bedeuteten letztlich aber nur Ergebniskosmetik, auch deswegen, weil Torwart Butt in der 80. Minute eine Slapstickeinlage unterlief, als er, bedrängt vom großen Zeh Crespos, den scharf hereingegebenen Ball ins eigene Gehäuse drückte. Doch selbst ohne diesen Fehler hätte Leverkusen das Spiel kaum noch wenden können. „Wir mussten ja noch froh sein, dass die ihre Konter nicht sauber ausgespielt haben“, analysierte Balitsch treffend.

Daher überraschte es, wenn Toppmöller nach dem Spiel davon sprach, dass das Eigentor Butts in eine Phase geplatzt sei, „in der das Spiel gerade dabei war zu kippen“. Überhaupt hatte er nicht geglaubt, „dass wir hier zu solch vielen Chancen kommen“; niemand, wäre hinzuzufügen, glaubte an die unglaublich arrogante Lässigkeit der Gastgeber. Da seine Mannschaft, wie Toppmöller meinte, „gegen Barcelona und Inter nicht die schlechtere Mannschaft war“, will er denn auch nach der zweiten Niederlage im zweiten Spiel nicht die Hoffnung auf die Qualifikation für das Viertelfinale aufgeben. Die Hoffnung im Fußball, sie währt eben ewig.