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Das Glück hat nicht lange gehalten

Im Spannungsfeld von Kitsch und Tragik entsteht ein schöner, trauriger Film: Die Dokumentation „Herr Schmidt und Herr Friedrich“ von Ulrike Franke und Michael Loeken erzählt von einer deutsch-deutschen Liebesgeschichte zwischen Männern

Die Protagonisten folgten ihrer individuellen Vision der deutschen Einheit

von CLAUS LÖSER

„Die Liebe ist das Gegenteil des Staates“, zitiert Jean-Luc Godard in seinem jüngsten Film („Eloge de L’Amour“) Georges Bataille. Ohne den Ausspruch zu kennen, handelten Wilfried Friedrich und Kurt Schmidt nach dieser Maxime. Nachdem sie sich 1977 über einen Vicky-Leandros-Fanclub kennen gelernt hatten, verlor die deutsche Zweistaatlichkeit für sie ihre Zwangsläufigkeit. Herr Friedrich setzte fortan alles daran, von Burg (DDR) nach Nordhorn (BRD) zu gelangen. Unzählige Gesuche mit der Bitte um Ausreise schickte er an den Genossen Staatsratsvorsitzenden Honecker, Herr Schmidt unterstützte dieses Bestreben durch Interventionen bei der Ständigen Vertretung. Die Staatssicherheit quittierte die Aktivitäten mit einer „Operativen Personenkontrolle“, diagnostizierte in einem Dossier das Verhalten Herrn Friedrichs als „abnorme Entwicklung der Persönlichkeit“. Briefe wurden abgefangen, Besuche verhindert; mit allen Mitteln sollte die Beziehung zwischen den Männern unterminiert werden.

Doch die Liebe erwies sich als stärker. Im Juli 1980 konnte Wilfried Friedrich in den Zug nach Hannover steigen. Es folgten glückliche Jahre in der niedersächsischen Provinz. Kurt besorgte dem bundesdeutschen Neubürger einen Job beim größten lokalen Arbeitgeber, einer Textilfabrik. Es ging voran. Die beiden kauften eine Doppelhaushälfte mit Garten und legten ihre Plattensammlungen zusammen. Wilfried konnte seine Mutter in den Westen nachholen.

Ulrike Frankes und Michael Loekens Dokumentation setzt ein, als diese Euphorie schon längst Geschichte ist. Die Textilbude hat dichtgemacht, beide Männer sind arbeitslos. Mühselig werden die Raten für das Haus abgestottert, nach Abzug aller Fixkosten bleiben kaum 100 Mark übrig für ihre bescheidenen Freizeitvergnügen. Mal ein Gaststättenbesuch, mal ein Ausflug in ein Minigolf-Center. Und die geliebten Schlagerplatten natürlich. Immer öfter gibt es Streit, meist wegen Nichtigkeiten. Wenn Kurt beispielsweise die geometrischen Wäschestapel im Schrank durcheinander bringt oder das Ordnungssystem im CD-Regal. Harmonisch wird es noch einmal zu Wilfrieds 50. Geburtstag, der generalstabsmäßig organisiert wird. Als Kurt zu Ehren seines Partners ein selbst verfasstes Gedicht vorträgt, verzieht dieser keine Mine, hebt nicht einmal den Blick.

Wenige Monate später ist Wilfried Friedrich tot. Diese Nachricht wird uns protokollarisch im Abspann mitgeteilt und trifft wie ein Keulenschlag. In den für einen „abendfüllenden“ Dokumentarfilm eher knappen 72 Minuten war zuvor eine überraschend intensive Annäherung an zwei Menschen erfolgt, deren Privatuniversum nicht einladend wirkt. B-Seiten von Freddy-Quinn-Singles zu erraten, dürfte nicht jedermanns Sache sein. Die finale, scheinbar lakonische Nachricht vom Tod Wilfrieds steht für die gleichermaßen präzise wie integere Arbeit des Regieduos. Keinen Augenblick lang begegnen Franke und Loeken ihren Gesprächspartnern mit einer Draufsicht, stets wird die Augenhöhe gewahrt. Die kuriose Leidenschaft für Schlagerschnulzen wird ebenso wie die homosexuelle Beziehung ohne jeden Kommentar als Lebensentwurf akzeptiert. Die Regisseure trafen ihre „Helden“ während der Dreharbeiten für den Vorläuferfilm „Und vor mir die Sterne“, sie merkten sofort, dass die Lebensgeschichte der beiden einen eigenen Film wert ist.

Schon die Dokumentation über die Schlagersängerin Renate Kern zog einen Großteil ihrer Wirkung aus dem Spannungsfeld von Kitsch und Tragik: einerseits das textlich-musikalische Eiapopeia der Schlagerwelt, andererseits die Tatsache von Psychose und Selbstmord. Ähnlich kontrapunktisch funktioniert „Herr Schmidt und Herr Friedrich“. In Verbindung mit Off-Zitaten aus Stasiakten und den an Ulrich Seidl erinnernden Bildern der niedersächsischen Provinzhölle liefern die Schnulzen einen perfekten Soundtrack. Dank der stimmigen Dosierung fällt diese Untermalung nie platt aus. Die Phasen des Glücks in der Beziehung zwischen Wilfried und Kurt werden durch Erinnerungsfotos erzählt und durch Liebesbriefe, die sie sich vor laufender Kamera noch einmal vorlesen. In diesen Momenten wird deutlich, in welch hohem Maße das Private politisch sein kann. Zwei Menschen sind hier beharrlich und sehr bewusst ihrer ganz persönlichen Utopie gefolgt. Dafür, dass sie ihre individuelle Vision von der deutschen Einheit nicht aufgegeben haben, gebührte ihnen eigentlich das Bundesverdienstkreuz. Neben dieser historischen Dimension funktioniert der Film aber auch als Bestandsaufnahme des Status quo sowie als Meditation über die Vergänglichkeit. Ein schöner und trauriger, ein wahrer Film.

„Herr Schmidt und Herr Friedrich“.Regie: Ulrike Franke, Michael Loeken.Mit Wilfried Friedrich, Kurt Schmidtu. a. Deutschland 2001, 72 Min.

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