Im Befehl Seligkeit

Wie kann man Terrorismus verstehen, ohne ihn zu verklären? Ganz sicher nicht, indem man nach den Motiven der Täter fragt, legt Jan Philipp Reemtsa dar

Wenn ein so kultivierter und gebildeter Mann wie Jan Philipp Reemtsma über Gräueltaten spricht, dann hat das schon etwas Seltsames an sich. Denn noch im größten Ekel über zynische Gewalttäter bewahrt er sich eine edle Haltung, die unbeirrbar auf die Vernünftigkeit von Argumenten setzt und der Brutalität terroristischer Akte das Räsonnement der Sozialwissenschaften entgegenhält. Fast schreckt man auf, als er im Hinblick auf die einstürzenden Zwillingstürme des WTC ausgerechnet Bruce Willis als Kronzeugen bemüht, der in „Die Hard II“ den Flugzeugentführern „just with a fucking lighter“ begegnet und mit der brennenden Kerosinspur im Himmel über Washington eine geradezu alttestamentarische Rachefantasie Wirklichkeit werden lässt: „Yippi Ayeeh, Schweinebacke!“

Reemtsma war von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften geladen, um in der Reihe „Die Besondere Vorlesung“ über das Thema „Terroristische Gewalt: Was klärt die Frage nach ihren Motiven?“ zu referieren. An aktuellen Anlässen, diese Frage aufzuwerfen, mangelt es nicht, doch Reemtsma wies gleich zu Anfang darauf hin, dass sie offensichtlich falsch gestellt sei. So habe man nach dem 11. September zwar „gediegene Argumente“ ausgetauscht, um sich „in die Unschuld des sich Auskennens in der Welt zurückzuversetzen“ – die diskursiven Strategien, die dabei angewandt wurden, seien indes einem Muster gefolgt, das schon im Falle des Nationalsozialismus seine Unzulänglichkeit offenbart habe.

Denn einerseits habe man den mutmaßlichen Tätern der al-Qaida eine „handfeste Globalisierungskritik“ als Handlungsmaxime unterstellt, andererseits ihren Furor und ihr Märtyrertum mit einer religiösen Verrücktheit zu erklären versucht. Aus dieser Mischung aus Nähe und Distanznahme ergebe sich eine „Kombination der Beruhigungswirkung“, die uns über mögliche anthropologische Konstanten, die zur terroristischen Gewalt führen, nicht weiter nachdenken ließe.

Für Reemtsma steht fest, dass die Motivlage eines Selbstmordattentäters nicht durch die übergeordneten Ziele erklärbar ist, die etwa beim asymmetrischen Krieg gegen die Weltmacht USA geltend gemacht werden. Ein Terrorist müsse, um mit Goethes Faust zu sprechen, „im Befehl Seligkeit empfinden“, seine Befindlichkeit einspeisen lassen in die große Gefühlsmaschinerie eines Dschihad oder Kreuzzuges. Der Studie „Terror in the Mind of God“ von Mark Juergensmeyer zufolge seien die Mächte des Bösen, gegen die selbst ernannte Heilsarmeen ankämpfen, ohnehin immer dieselben: Juden, Homosexuelle, Freimaurer. Stets seien eine „kollektive Paranoia“ und eine „maximale Vereinfachung“ auf einen apokalyptischen Endkampf handlungsanleitend, nicht etwa ein erkennbares politisches Motiv. Indem der Terrorismus die Frage nach Mittel und Zweck eben nicht stelle, entlaste er die Individuen von einer Rechenschaft über ihr Tun und erteile ihnen die Berechtigung, ihre Zerstörungslust auszuleben: „Türme umzuschmeißen, ist die kindliche Regression, das große Pow.“

Wolle man den Terrorismus also verstehen, ohne ihn zu verklären, komme es darauf an, sein Umfeld auszuleuchten, das die Familiarisierung des Unvertrauten betreibe. Hier werde allenfalls als falsches Mittel getadelt, was doch eigentlich verabscheuungswürdig sei. Reemtsma hatte dabei insbesondere die Sympathisantenszene der RAF im Auge, die sich einer entmenschlichten Kriegsrhetorik bedient und gleichzeitig ihren „Andreas“ zärtlich zum Hausfreund gemacht habe. „Ich hatte damals immer unwillkürlich den Impuls zu sagen: Für Sie immer noch Herr Baader!“ JAN ENGELMANN