: Große Füße im schwarzen Loch
Warum ein Herr namens Hefele an der Weltwirtschaftskrise schuld ist und doch alle Probleme lösen kann
Es ist schon rätselhaft, das gebe ich zu. Warum ausgerechnet ich für diese Krise verantwortlich bin. Aber es ist so. Es ist wohl so eine Art Strafe. Dabei habe ich mir nichts zu Schulden kommen lassen. Na gut, vielleicht die Geschichte mit Ilse? Klar, es war bei Lichte betrachtet, nicht sehr korrekt. Vielleicht sogar ziemlich mies. Aber wen, ich bitte Sie, geht das was an? Nur mich und Ilse. Und deswegen eine Weltwirtschaftskrise …? Ilse war einfach nicht mehr so wie zu Anfang. Sie hatte auf allen Ebenen nachgelassen. Intellektuell und in Sachen Stützgewebe und so … – und gerade zu diesem Zeitpunkt tauchte Nancy auf. Na, was hätte ich tun sollen? Ich bin ein Mann. Voll im Saft! Damals …
Mir deswegen eine Weltwirtschaftskrise anzuhängen, ist jedenfalls übertrieben; aber ich wüsste nicht, warum sonst, denn im Prinzip ist mein Gewissen absolut rein. Vielleicht ist es auch nur eine allgemein erzieherische Maßnahme von oben. Von ganz oben. Ich weiß, das hört sich auch nicht sehr intelligent an. Aber angenommen, oben ist was, dann ist oben für alle und alles zuständig, auch für mich. Es ist nämlich alles ein Nullsummenspiel. Ein Beispiel: Ein winziger Schmetterling kann einen Orkan auslösen. Durch das Schlagen seiner winzigen Flügel löst dieser kleine Schmetterling eine winzige Luftbewegung aus, die andere winzige Luftbewegungen erzeugt und andere Flügelschläge … so ähnlich. Es ist jedenfalls wissenschaftlich bewiesen, dass ein winziger Schmetterling einen Orkan erzeugen kann. Alles hängt mit allem zusammen. Weiter: Wenn das alles so ist und so zusammenhängt, dann ist es trotzdem noch schwer verständlich, dass ich für die Weltwirtschaftskrise verantwortlich sein soll. Und doch bin ich mir ziemlich sicher. Ich hätte das mit den Aktien nicht machen sollen. Wenn ich Geld und Gut anhäufen will, liegt kein Segen darauf.
Ein Beispiel: wenn ich an die Losbude gehe und mir, sagen wir: für fünfhundert Euro Lose kaufen würde, dann wäre vielleicht einmal „Stuttgart“ darunter. „Stuttgart“, das ist in der Regel ein Päckchen Bahlsen-Kekse. Ein ehemaliger Freund von mir geht an dieselbe Losbude und sieht einen Römertopf bei den Preisen stehen. Er sagt sich: „Diesen Römertopf könnte ich gut gebrauchen.“ Dann kauft er sich für fünf Euro Lose und – gewinnt den Römertopf. Und ein Päckchen Bahlsen-Kekse. Manche Menschen haben, was die Anhäufung von Reichtum in Form von Geld und Gut angeht, eine glückliche Hand. Ein Händchen.
Zufall? O nein. Zufall gibt es nicht. Glück gibt es nicht. Ganz genau weiß man nicht, wie es zugeht, aber: Es ist so ähnlich, wie die Sache mit den Schmetterlingen. Es hängt zusammen. Es ist ein Nullsummenspiel. Glück und Unglück, Haben und Nichthaben, wie einem die Haare wachsen oder wie viele Überbeine einer hat. Alles wird letztlich zusammengerechnet und dann wieder dividiert. Und verteilt. Auf alles, was da kreucht.
Ein Beispiel: Einer hat einen Kropf, ist aber dafür ein Genie im Auswendighersagen von ägyptischen Königinnen. In der Summe bleibt sich das gleich. Klar: Manche haben, was ihren momentanen Zustand angeht, praktischere Summen, andere wiederum weniger. Um beim vorherigen Beispiel zu bleiben: In einer Gegend, in der Kröpfe als Entstellung betrachtet werden, sind sie für deren Inhaber nur lästig, zumindest kann er dann, um beim Beispiel zu bleiben, mit dem Aufsagen von Königinnen reüssieren. Wenn daran auch kein Interesse besteht, ist er arm dran.
Ich bin, was „Fähigkeit zur Anhäufung von Gut und Geld“ angeht, sehr mickrig ausgestattet, dafür hab ich große Füße. Sie werden fragen, was das miteinander zu tun hat, und ich sage: Die Summe stimmt, und damit habe ich mich abzufinden. Wenn ich beispielsweise versuchen würde, kleinere Schuhe zu tragen, würden mir die Füße schmerzen. Na? Klingelt’s?
Wenn man ein perfekt sitzendes Jackett hat, darf man vorne nicht zu sehr ziehen. Sonst ist es hinten zu kurz. Ich habe gezogen. Überzogen. Mein Konto an der falschen Stelle überzogen. In puncto „Anhäufung von Geld und Gut“. Ich habe Aktien erstanden. Damals, als alles so prima aussah. Sie wissen schon. Ich, der ich genau wusste, dass es mir nicht gegeben ist, Geld anzuhäufen. Trotzdem habe ich „wohlmeinenden“ Ohrenbläsern gelauscht und mein Erspartes leichtfertig auf Aktie verjubelt. Eine der von mir erstandenen Aktien fängt mit T an und hört mit -kom auf. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich möchte überhaupt nicht darüber reden. Nur so viel. Ich habe noch gescherzt: „Wenn ich Aktien kaufe, fällt der Kurs am nächsten Tag …“ Sage ich und schmunzle souverän. Am nächsten Tag ist die Aktie gefallen, und nicht nur die. Alle Aktien, die ich gekauft habe, sind subito in den Keller gerauscht. So schnell konnte ich mein Portfolio gar nicht checken. Seitdem geht es dahin, und mir bleibt nur übrig, mit offenem Maul zu staunen, wie schnell sich meine Finanzen in nichts auflösen. Und nicht nur meine Finanzen. Alle Finanzen von allen. Ab ins schwarze Loch, in mein schwarzes Loch! Was nun? Was tun?
Ganz einfach: Ich könnte meine minderwertigen Aktien verkaufen. Morgen würden die Aktienkurse wieder steigen, und mit der Wirtschaft ginge es bergauf. Nur: Ich stünde da – vollständig blank – und wäre der Lackierte. Und Ilse würde sich ins Fäustchen lachen. Also: Mein Vorschlag an die Herrschenden. Man nimmt mir meine Aktien zu einem schönen Preis – sagen wir: 25 Prozent Gewinn – ab, und ich garantiere das Ende der Krise. Oder ich behalte sie, und wir gehen gemeinsam unter. Bis alles in Schutt und Asche liegt.
ALBERT HEFELE
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