: Motivation am Reck
Der Turnerbund versucht mit einer Gala und Seminaren für Lehrer mehr Jugendliche für Geräteturnen zu begeistern
Eine so genannte Turngala ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Die Anhänger des puritanischen Leistungssports mögen das Schaulaufen der Leistungsturner und Gymnasten als überflüssigen Kitsch abtun. Für viele Mitglieder der Berliner Turnvereine ist eine derartige Revue oftmals der Saisonabschluss, mit dem sie sich bei ihren Übungsleitern und Turnern bedanken wollen. „Gymmotion“ heißt die Veranstaltung des Deutschen Turnerbundes, die derzeit durch die Republik tourt. Zum neunten Mal schon hat der Berliner Landesverband der Turner die große Show des DTB auch Berlin geholt. Etwa 7.000 Besucher waren in die Max-Schmeling-Halle gekommen und der Schlussapplaus zeigte, dass sie überaus angetan waren. Doch bei aller Freude über eine farbenfrohe Revueveranstaltung wissen die Verantwortlichen im Turnverband nur allzu gut, dass vor allem eine ihrer Disziplinen in der Krise steckt: das Geräteturnen.
Nur noch wenige Jugendliche entscheiden sich für diese klassische Disziplin der Körperertüchtigung. Beim deutschlandweiten Wettbewerb der Schulmannschaften „Jugend trainiert für Olympia“ ist das Turnen in etlichen Alterklassen schon nicht mehr im Programm. Überhaupt liegen im Schulsport viele Gründe für die Misere. Schon der Begriff Geräteturnen schreckt viele Schüler ab. In der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport spricht man daher schon nur noch vom „Turnen mit Geräten“. In den Rahmenplänen wurden die Anforderungen über die Jahre mehr und mehr nach unten geschraubt. Rita Hermanns, Sprecherin der Senatsverwaltung, nennt die Gründe: Immer mehr Kinder hätten mit motorischen Schwächen zu kämpfen oder es fehle ihnen durch ihr Übergewicht an Bewegungskompetenz. Der Sportunterricht diene also vor allen der Überwindung dieser Schwächen und weniger der Förderung von Spitzenleistungen. Sogar in der Benotung schlägt sich diese Ausrichtung des Sportunterrichts nieder. Nicht die Spitzenleistung wird honoriert, sondern vor allem der Leistungsfortschritt.
Ein anderes Problem liegt bei den Sportlehrern. Die reagierten, so Hermanns, auf die Bewegungsdefizite eines Teils der Schüler oftmals mit Resignation. Der Berliner Turnerbund hat daher schon fünfmal die Max-Schmeling-Halle angemietet, um Lehrern in einem Seminar die Angst vor dem Geräteturnen zu nehmen. Sonja Schmeisser, Präsidiumsmitglied des Berliner Turnerbunds, erhofft sich von derartigen Maßnahmen einen Schub für ihre Sportart.
Doch ein anderes Problem kann mit derartigen Maßnahmen nicht bekämpft werden: die hohe Abbrecherquote bei Jugendlichen, die sich einmal für das Leistungsturnen entschieden haben. Die liegt in der Natur des Geräteturnens – selbst kleine Erfolge lassen sich nur durch immensen Trainingsaufwand erzielen. „Bei einer Ballsportart kann ich viel schneller erfolgreich sein“, sagt Schmeisser. Auch sie gibt zu, dass dem Turnen etwas Altbackenes anhaftet, ganz im Gegensatz zur rhythmischen Sportgymnastik, die sich aufgrund ihres spielerischen Charakters bei den Mädchen großer Beliebtheit erfreue.
So war bei der Gymmotion-Show am Freitagabend auch das deutsche Gymnastikteam, das bei Olympia in Sydney den vierten Platz errungen hat, das Aushängeschild des DTB. Die Vorzeigeathleten im Bereich des Turnens kamen aus anderen Verbänden, Ringeolympiasieger Szilveszter Csollany aus Ungarn etwa. Doch es gab auch einen echten deutschen Helden zu beklatschen: den ehemaligen Olympiasieger Andreas Wecker, den vielleicht letzten deutschen Starturner für lange Zeit. Der turnte allerdings nicht mit, sondern spielte nur den Grußonkel.
ANDREAS RÜTTENAUER
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