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Die wenigen Überlebenden warten bis heute

Der „Auschwitz-Erlass“ verfügte die Deportation von Sinti und Roma. Opfer drängen auf Entschädigung und Mahnmal

Nach dem so genannten Auschwitz-Erlass des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, heute vor 60 Jahren verkündet, wurde auch die Mehrzahl der rund eintausend Insassen des so genannten Zigeunerlagers in Marzahn deportiert. Das war 1936 vor der Olympiade errichtet worden. Vor allem Sinti und Roma, die teils schon jahrelang auf privaten Stellplätzen im Stadtgebiet lebten, waren hierher verschleppt worden. Der Erlass traf aber auch Sinti, die in Wohnungen lebten.

Der Sinto Otto Rosenberg, später lange Jahre Vorsitzender des Landesverbandes der Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e. V., wurde als Neunjähriger mit seiner Familie ins Lager Marzahn verschleppt. Mit 16 kam er nach Auschwitz-Birkenau und wurde vor der Auflösung des „Zigeunerlagers“ und der Ermordung der meisten Insassen zur Zwangsarbeit ins Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Als Einziger seiner Familie erlebte er die Nachkriegszeit.

Wie die meisten hat Rosenberg für seine Sklavenarbeit keine Entschädigung erhalten. Er starb im Juni 2001, „zu früh“ für Zahlungen des Entschädigungsfonds der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Viele der rund 100 Anträge, die der Berliner Landesverband der Sinti und Roma eingereicht hat, sind noch nicht entschieden, weiß Rosenbergs Tochter Petra.

Roma- und Sinti-Verbände in verschiedenen europäischen Ländern kritisieren inzwischen die lange Bearbeitungszeit der „International Organisation for Migration“ (IOM), der unter anderem für die Entschädigung von Sinti und Roma verantwortlichen Stiftungs-Partnerorganisation. Von rund 330.000 Anträgen aus aller Welt wurden bislang nur knapp 10 Prozent bewilligt. Laut IOM-Sprecherin Marie-Agnes Heine ergibt sich die Diskrepanz aus der Tatsache, dass lediglich 70.000 der Antragsteller in entschädigungsberechtigte Kategorien fallen.

So schleppend wie die Entschädigung der wenigen Überlebenden verläuft auch die Realisierung des zentralen Mahmals für die im Nationalsozialismus ermordeten 500.000 Sinti und Roma. Nach jahrelangem Ringen hat das Land Berlin eine Wiese im Tiergarten südlich des Reichstags zur Verfügung gestellt, der Bundestag hat die Finanzierung zur Bundessache gemacht, und ein Entwurf des international renommierten israelischen Künstlers Dani Karavan fand im Sommer 2001 breite Zustimmung. Optimisten sprechen jetzt von einem Baubeginn im kommenden Jahr.

HEIKE KLEFFNER

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