„Immer die Augen offen halten“

Was lernt man in Wirtschaftsratgebern? Frank Lehmann ergeht sich in Anekdoten und gibt Kurztipps für Hobbyanleger. Die Wirtschaftsprofessoren Thurow und Heilbroner hingegen beschreiben, warum Ökonomie und Armut nicht immer miteinander zu tun haben – und Defizite nicht schaden

Gegen den Trend rät Lehmann, dass jeder in die Gewerkschaft eintreten sollte

von ULRIKE HERRMANN

Wer Geld machen will, sollte über Geld schreiben: Wirtschaftstitel scheinen sich bestens zu verkaufen. Allein in diesem Jahr sind viele hundert Bücher erschienen, die alle erklären wollen, wie die Wirtschaft, die Börse und das Managen so funktionieren. Und glaubt man den Titeln, dann werden die Laien bestens bedient: Die meisten Ratgeber behaupten, endlich zu erläutern, „worauf es wirklich ankommt“ oder „was man wissen sollte“. Doch schon der Blick in zwei Bücher zeigt, wie unterschiedlich dieses wirkliche Wissen ausfallen kann.

Da ist zunächst Frank Lehmann, bekannt aus Funk und Fernsehen. Seit 20 Jahren arbeitet der Wirtschaftsjournalist für den Hessischen Rundfunk, seit einiger Zeit ist er das Vorprogramm zur „Tagesschau“ und geht mit der „Börse im Ersten“ auf Sendung. So liest sich seine Wirtschaftserläuterung auch – wie Fernsehen, das zum Buch wurde. Die Sätze sind telegen kurz, aber gedruckt erzeugen sie eine leichte Übelkeit: „Mein lieber Schwan. Da geht aber die Post ab: Die Wirtschaft im Hochgeschwindigkeitsrausch.“ Dies sind übrigens keine gemein ausgewählten Zitatfetzen, sondern so beginnt das Buch. Doch obwohl die Grammatik derart entschlossen und eindeutig ist, gilt dies nicht für den Inhalt; Lehmann kann sich nicht entscheiden, was er eigentlich schreiben will.

Eine Posse der Wirtschaftsgeschichte? „Es entstanden Häuptlingsreiche.“ Gemeint ist die Zeit ab 9000 v. Chr. „Wie sie funktionierten, kann man prima bei Asterix und Obelix nachlesen.“ Eindrucksvoll ist auch die Erläuterung, wie „die Zeit der Renaissance begann“. Nämlich so: „Die reichen Kaufleute […] hatten irgendwann […] von der mittelalterlichen Gefühlsduselei endgültig die Nase voll.“

Oder handelt es sich eher um ein Serviceangebot für Kleinanleger? Die diversen Investmentmöglichkeiten werden liebevoll beschrieben – von der Aktie („kennen die meisten Leser“) bis hin zu den Derivaten. Die Fonds kommen nicht gut weg, aber abraten will Lehmann auch nicht. Das Kapitel endet daher mit der Erkenntnis: „Also was tun? Immer die Augen offen halten.“

Vielleicht soll es ja das sein, ein Buch der Lebensweisheiten? Wie viel Erkenntnis sich bauernschlau gewinnen lässt, beweist Lehmann, wenn er über die Welt der Wertpapiere urteilt: „Die Börsenkurse folgen keiner Logik, auch wenn es uns Analysten immer wieder weismachen wollen.“ Denn, so viel Logik beansprucht auch Lehmann, „wären eindeutige Zusammenhänge vorhanden, so hätte man sie längst gefunden, und es gäbe keine Börse mehr, sondern nur noch feste Aktienpreise.“

Und wo es keine Zusammenhänge gibt, da regiert die Anekdote. Mitten im Kapitel über Vermögensverteilung lernen wir, dass auch Reiche wie Arme leben können: Vom Milliardär Warren Buffet wird berichtet, dass er teure Anzüge trägt, „die trotzdem schlecht sitzen“. Außerdem, aufgemerkt, „liebt er Hamburger und Coca-Cola“.

Doch obwohl das Buch erstaunt, rührt es auch. Lehmann hat eine sympathische Stichwortsammlung verfasst. So schreibt er ausführlich gegen die rassistische Annahme an, dass der industrielle Erfolg beweise, wie besonders intelligent die Weißen seien. Außerdem mahnt der Autor – ganz gegen den Trend –, dass jeder einer Gewerkschaft beitreten sollte, der nicht zu den Vermögenden zählt. Er warnt vor der Illusion, allein und privat besser vorsorgen zu können: „Große Unternehmen sind mächtiger als kleine. Weshalb sollte dann ein einzelner Arbeitnehmer mächtiger sein als eine große Gruppe Gleichgesinnter?“ Allerdings sind diese Bewertungen eher selten; um Urteile zu vermeiden, flüchtet sich Frank Lehmann meist in die enzyklopädische Beschreibung und lässt keinen Nobelpreisträger aus.

Das Gegenprogramm findet sich im Klassiker der beiden US-Wirtschaftsprofessoren Lester Thurow und Robert Heilbroner; ihr Standardwerk von 1982 wurde mehrmals aktualisiert und jetzt ins Deutsche übersetzt. Die Autoren wissen nur zu gut, dass die Ökonomie nur selten allgemein anerkanntes Wissen hervorgebracht hat, sondern vor allem Bewertungen. Immer wieder betonen sie, wie sehr die Deutung der empirischen Wirtschaftsdaten von den Vorannahmen abhängt. Man könnte auch sagen: vom politischen Interesse. Also machen sie wiederholt kenntlich, dass sie zu den „Staatsinterventionisten“ zählen – und versuchen dann, auch den „konservativ-liberalen“ Standpunkt fair darzustellen.

Anders als Lehmann definieren sie klar, was sie wissen wollen: Wie entsteht Wachstum? Warum schwankt die Konjunktur? Wie stark soll der Staat in die Wirtschaft eingreifen? Diese Fragen dienen gleichzeitig dazu, das Feld der Ökonomie einzugrenzen. Obwohl – oder gerade weil – die beiden Autoren berühmte Vertreter ihres Faches sind, messen sie der Wirtschaftswissenschaft einen nur sehr beschränkten Deutungsanspruch zu. Beispiel Vermögensverteilung: Ganz offensichtlich unterscheiden sich selbst westliche kapitalistische Gesellschaften sehr stark darin, wie viel Armut sie tolerieren und wie reich die Reichen sein dürfen. Während Finnland egalitär ausgerichtet ist, nehmen die USA größte Ungleichheiten hin. Die beiden Autoren konstatieren dazu knapp: „Wie erklärt die Ökonomie dieses Phänomen? Gar nicht.“ Punkt. „Sie überlässt es Historikern und Soziologen.“

Das Buch versteht sich als eine Einführung und will die „Grundlagen“ erklären. Dennoch lohnt es sich auch für jene, die schon wissen, was eine „Sparquote“ ist – gerade weil die Autoren nicht bei den objektivierten Standards verharren, sondern Meinungen haben. So wenden sie sich vehement gegen die herrschende Doktrin, dass der Staat seine Schulden abbauen oder Steuersätze reduzieren müsse. Das Thema Haushaltsdefizit sei eine „irreführende Frage“, die davon ablenke, „wie viel öffentliche Investitionen das Land benötigt und wie diese beschaffen sein sollten“. Für die Autoren ist schlicht wahr: Ohne gute Bildungsangebote und eine leistungsfähige Infrastruktur bleibt das Wachstum aus. Vielleicht hat Sigmar Gabriel das Buch ja heimlich gelesen, bevor er auf die Idee kam, „1 Prozent Vermögensteuer für 100 Prozent Bildung“ zu fordern.

Frank Lehmann, „Wirtschaft. Worauf es wirklich ankommt“, 295 Seiten, Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, 20,90 € Robert Heilbroner, Lester Thurow, „Wirtschaft. Das sollte man wissen“, aus dem Engl. übersetzt u. ergänzt von Jan W. Haas, 316 Seiten, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2002, 25,50 €