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Das Leben in der Glaskugel Berlin

Monica Toimil lebt seit zehn Jahren in Berlin und ist im Gegensatz zu den meisten hier lebenden Mexikanern politisch engagiert

Monica Toimil trauert. Sie kleidet sich schwarz und zündet auf einem mit Blumen geschmückten Tisch Kerzen an. Ein Plakat zeigt ein großes Foto ihres jüngeren Bruders César. Heute Abend, zur Eröffnung des Mexiko-Festivals, will sie an alle Mexikaner erinnern, die wegen ihrer politischen Arbeit ermordet wurden oder im Gefängnis sitzen.

Die junge Frau lässt keine Gelegenheit aus, um gegen das Unrecht in ihrer Heimat zu protestieren. Am 23. November vergangenen Jahres wurde César im Bundesstaat Oaxaca inhaftiert, weil er sich für die Rechte von Kleinbauern eingesetzt hat. Ihm werden Mord und der Raub von Vieh vorgeworfen. Zwar kann sein Anwalt seine Unschuld beweisen, doch funktioniert in Oaxaca alles nach eigenen Gesetzen. Der Mann, der Monica Toimils Bruder anklagt, ist derselbe, der die Kleinbauern von ihrem Land vertreibt. Und er ist ein Freund des Gouverneurs.

Doch Toimil ist nicht deswegen hier in Deutschland. Vor zehn Jahren besuchte sie gemeinsam mit ihrer Mutter den großen Bruder in Berlin und bekam Lust auf Abenteuer. „Ich wollte woanders leben, eine neue Sprache lernen“, erzählt sie. Zu Beginn konnte sie vor lauter Aufregung nicht schlafen, weil sie so viel Neues erlebte. „In einem anderen Land fühlt man sich wie in einem Urwald.“

Ihr großes Problem ist, dass sie nicht genug Zeit hat. Neben dem Soziologiestudium und einem Job als Tanzlehrerin sucht sie immer Möglichkeiten, die Menschenrechtsverletzungen in Mexiko anzuprangern. Sie will die Menschen berühren, verhindern, dass sie abstumpfen. Berlin nennt sie „ein kleines Paradies, eine Glaskugel, die alles Böse von außen abhält“.

Die Sicherheit in dieser Glaskugel betäubte mit der Zeit auch sie. „Ich wusste, dass schreckliche Sachen passieren, aber ich spürte es nicht.“ Erst als sie im Frühjahr einige Zeit in Mexiko verbrachte, begann sie das Leiden der Menschen dort wieder zu fühlen. Sie presst ihre Hände auf die Brust und schüttelt den Kopf: „Ich verstehe nicht, wie Menschen so grausam sein können“, sagt sie immer wieder.

Toimil erzählt von Welten, die es erlauben, zu morden und zu vergewaltigen, ohne bestraft zu werden. Man muss nur die richtigen Leute kennen. Um ihre Worte zu unterstreichen, zeigt sie Fotos: Der Bürgermeister ihres Dorfes in Begleitung zweier schnauzbärtiger Männer mit Schlapphüten. „Der ist ein Vergewaltiger“, sagt sie, „aber er ist auch die rechte Hand des Bürgermeisters.“ Ihre tiefe Stimme klingt wütend und kämpferisch zugleich.

Zu Hause organisierte sie einen Marsch von Oaxaca nach Mexiko-Stadt, um gegen die Verhaftung ihres Bruders zu protestieren. Doch die Mächtigen sahen nicht hin. Den mexikanischen Botschafter in Berlin wenigstens möchte sie mit ihren Aktionen beschämen. Manchmal aber tut ihr der schlechte Ruf ihrer Heimat etwas weh. Dennoch sollen andere Menschen fühlen können, was den Mexikanern passiert.

In ihrer Tanzschule arbeitet Monica daher an einer Performance zum Thema Folter. In einem Tunnel im Eingang werden Dias gezeigt und die Erzählungen Ermordeter und Inhaftierter vom Band abgespielt. Die Namen aus der Zeitung bekommen so ein Gesicht und eine Stimme. Vor der Performance werden die Zuschauer gefesselt und ihnen werden die Augen verbunden. Sie sollen die Ohnmacht der Opfer mitfühlen können. Immer wieder spricht Monica von Mitgefühl.

Nach ihrer Rückkehr aus Mexiko merkte auch sie, wie der Alltag sie wieder einholte, es ihr schwerer fiel, aktiv zu sein. „Ich muss tun, was ich kann“, sagt sie. Auch wenn sie wie heute dafür ihren Tanzunterricht absagen muss und deswegen Geldprobleme hat. „Die meisten Mexikaner in Berlin interessieren sich nicht für Politik“, sagt Toimil. Die genießen das behütete Leben in der „Glaskugel“. Diejenigen, die etwas verändern wollen, bleiben in Mexiko. Im Gegensatz zu Chilenen oder Argentiniern, die häufig wegen ihres politischen Engagements nach Deutschland flüchten mussten, kommen die Mexikaner, um zu studieren, als Künstler tätig zu sein oder weil sie sich verliebt haben.

Vor allem in der Uni und in der Tanzschule findet Monica aber viele Mitstreitende, Deutsche. An den Menschen jenseits ihres Freundeskreises versteht Monica oft die Gleichgültigkeit und Kälte nicht, die die Deutschen für sie ausstrahlen. Sie wundert sich, dass man hier so wenig miteinander redet. Aber, meint sie und lacht, „in Mexiko würde sich niemand trauen, Eier auf einen Politiker zu werfen!“

DINAH STRATENWERTH

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