piwik no script img

Mit oj und nu in New York

DAS SCHLAGLOCH    von VIOLA ROGGENKAMP

Wussten Sie, dass Superman eine jüdische Erfindung ist? Das „boychikele“ ist der Urenkel des Golems

„Es kommt nichts weg“ Wolfgang Neuss

Sie brauchen doch bestimmt noch ein Weihnachtsgeschenk, ich habe da etwas Passendes zum Fest. Ein Buch über die Mammeloshn, die jiddische Muttersprache. Einst mit sch geschrieben, kommt die Mammeloschn jetzt mit sh auf Amerikanisch nach Deutschland. Nicht zurück! Oj. Sie hat sich weiterentwickelt, amerikanisch ist sie geworden, und hat im Schtetl Amerikeh dafür ihre Spuren hinterlassen. Nu. Allein mit diesen beiden jiddischen Wörtern, oj und nu, begleitet von Gestik, Mimik, Tonfall, können Sie in New York auf einem Staatsempfang, bei einer Vernissage, auf einer Premierenfeier Kritik üben, Unlust oder Freude ausdrücken, Skepsis oder Entsetzen, heutzutage besser in New York als ehedem in Berlin.

„Joys of Yiddish“ heißt der Originaltitel. Dieses Wörterbuch ist eine Freude. „Jiddisch“, heißt das Buch auf Deutsch, dtv, der Deutsche Taschenbuch Verlag, hat im Titel die Freude weggelassen, nebbich, wir können uns denken, warum. Es ist eine Enzyklopädie der Lebens- und Überlebensgeschichten einer Vielzahl von jiddischen Wörtern, zusammengetragen und erzählt von Leo Rosten, seligen Angedenkens, er starb vor fünf Jahren. Wer war Leo Rosten? Geboren 1908 in Lodz, aufgewachsen in einem Arbeiterviertel von Chicago, wurde er Schriftsteller und erfolgreicher Vater zweier Töchter. Seine Romane, in deren Zentum ein gewisser Hyman Kaplan steht, verkaufen sich gut, doch „Joys of Yiddish“ wurde mit siebzehn Auflagen sein Bestseller. Rosten schrieb dieses Buch, „weil es keine andere Möglichkeit gab, um es zu haben“. Er habe viele Jahre nach einem solchen Lexikon vergeblich gesucht. Denn es ist kein Wörterbuch des Jiddischen, sondern ein Buch über die Lebendigkeit von Sprache; mit Hannah Arendt gesprochen, könnten wir sagen: ein Buch über gesprochenes Denken. Es zeigt, wie das amerikanische Englisch, „diese wunderbar elastische Sprache“, so Rosten in seinem Vorwort, von einer anderen, der jiddischen, sich beeinflussen ließ.

Witze und Anekdoten haben im Buch die Funktion von grammatikalischen Regeln. Am besten schlagen Sie als Erstes unter S nach, sowieso sind sh-Wörter im Englisch-Amerikanischen meist jiddischen Ursprungs, und dann ist shlep, shleper, shleperke das, was Sie bei Ihrem Besuch in New York, in Chicago, in Miami am meisten hören werden. Shlep – ist klar, alles, was einem zu schwer ist, im doppelten und dreifachen Sinn, shlep out heißt: etwas hinauszögern, das Substantiv dazu, shleper (maskulin), shleperke (feminin), bedeutet Langweiler, Trottel, schlechter Künstler oder ein Versager, ein mieser Makler an der Börse-Schmörse beim Dax-Schmax an der Wallstreet-Schmallstreet – mit der Vorsilbe schm können Sie alles Schlimme, auch den größten Schlamassel, auf ein erträgliches Maß kwetschn (amerik. kvetshn).

Doch nicht allein jiddische Wörter und Redensarten hat das amerikanische Englisch aufgesogen, auch Satzstellungen, die weit entfernt davon sind, englisch zu sein, eher deutsch. Um zu verstehen, kommt es nur auf den Ausdruck an. Ein Beispiel: Sie erzählen Ihrer Nachbarin von nebenan, der nexdooreke, dass Ihnen der opstairsiker, von oben der Junggeselle, der singlemon, a hejmischer mentsh, aber ohne gelt, einen Heiratsantag gemacht hat, und dass Sie abgelehnt haben. Er sagte: Will you marry me? Und daraufhin haben Sie gesagt: Will I marry you?

Als „Joys of Yiddish“ erschien, hatte Israel 1967 den Sechstagekrieg gewonnen und war geeint, heute ist Israel von Konflikten zerrissen. Es gab noch keine Rabbinerinnen in Amerika, es gab die UdSSR, kurzum, die Welt hat sich inzwischen verändert, das tut sie unentwegt. Und Lawrence Bush sowie für die deutsche Übersetzung Lutz-W. Wolff haben aktualisiert und kommentiert; dazu gibt es Illustrationen von R. O. Blechmann.

Wenn wir einmal davon absehen, dass die jiddischen Witze in der vorliegenden Übersetzung viel zu deutsch nacherzählt sind, was nicht nötig gewesen wäre, dann können wir zufrieden sein mit diesem Buch. Wahrscheinlich war das im amerikanischen Original nicht besser, ich kenne die englischsprachige Fassung nicht, doch ist ein schlecht erzählter jiddischer Witz auf Deutsch noch schlechter erzählt als auf Englisch. Auf Englisch kann man ihn sowieso nicht erzählen, auf Deutsch aber kann man einen jiddischen Witz recht ordentlich verderben. Der Übersetzer Lutz-W. Wolff hat mir versprochen, bis zur zweiten Auflage will er üben, iebn, iebn.

Eingedeutscht, hört man jiddischen Witzen an, dass sie Besseres verdient haben. Doch sie sind überlebenstüchtig. Als Beispiel ein Witz über einen Schnorrer, in diesen vorweihnachtlichen Tagen haben Bettler Hochkonjunktur, vergangenen Sonntag schleppte ich an einem vorbei, meine Reisetasche zog mich fast zu Boden, ich war auf dem Weg zum Bahnhof, und er hielt mir seine Hand auf. Ich schnaufte: „Meschugge! Daffke jetzt soll ich was geben?“ Er rief mir nach: „Mann, hat die ’ne Laune!“ Wenig später sah ich ihn auf dem Bahnsteig. Ich hatte mein Gepäck abgestellt und noch mein Wechselgeld vom Fahrkartenschalter in der Manteltasche, ich wollte ihm eine Münze geben. Er winkte ab. Er hatte Feierabend. Jetzt der eingedeutsche jiddische Witz aus dem Wörterbuch unter L wie Lox, gleich Lachs: „Ein Bettler hat einen Dollar ergattert und rennt zum nächsten Delikatessen, um sich einen Bagel mit Lox zu kaufen. Der großzügige Spender kommt ihm ärgerlich hinterher. ‚Ich habe ihnen doch kein Geld gegeben, damit Sie es für Luxus verschwenden!‘ Worauf der Bettler erwidert: ‚Wenn ich pleite bin, kann ich mir keinen Lox leisten. Wenn ich Geld habe, sagen Sie mir, ich sollte mir dafür keinen Lox kaufen. Jetzt sagen Sie mir: Wann soll ich Ihrer Ansicht nach Lox essen?‘ “

„Joys of Yiddisch“ ist ein Buch über die Lebendigkeit von Sprache, über gesprochenes Denken

Die Deutschen verstehen mehr Jiddisch, als sie zu wissen glauben oder zu wissen fürchten. Glauben Sie mir. Oder glauben Sie dem Buch. Bevor Sie es verschenken, lesen Sie es. Sie werden Ihren Sprachschatz mühelos erweitern um Jinglisch und Ameridisch. Jinglisch ist zum Beispiel mish-mash. Und wie würden Sie das übersetzen? Nu. Sie verstehen schon alles. Und Ameridisch? Der Begriff kochaleyn – eine Ferienwohnung, in der Sie selbst kochen können. Der Unterschied: Jinglisch wird weltweit gesprochen, Ameridisch nur in den USA. Bildung bekommen Sie auch, Informationen zur Religion, Tradition und Kultur. Dass beispielsweise Superman eine jüdische Erfindung ist, wussten Sie das? Das boychikele ist der Urenkel vom Golem aus Prag, dem Rabbi Löw sein Retortenriese.

Kann ein so gutes Buch billig sein? Es ist nicht teuer. Wie viel? Also, tocheß afn tisch, 25 Euro, bei 638 Seiten macht das 0,08 Cent pro Blatt. Sie wissen nicht, was tocheß heißt? Sehen Sie selbst nach. Mit diesem Wörterbuch im Shlep, dessen Vokabular Sie als Deutsche zum größten Teil kennen, ohne es noch zu wissen, können Sie mit ihrem miesen Englisch nach New York. Man wird Sie überall verstehen. Und wem haben die Deutschen das zu verdanken? Oj. Nu – und Sie wollen doch wieder nach New York?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen