Hand im Schritt

Sexuelles im Fernsehen? Was früher empörte, zählt inzwischen zu den langweiligeren Formaten dieses Mediums. Eine Abrechnung

von STEFAN KUZMANY

Was sieht er sich nur an? Was sieht er sich nur immer wieder an? Diese Frage stellen sich jede Menge Freundinnen, Gattinnen und Mütter jede Nacht aufs Neue, wenn es bei ihm mal wieder bis spät in die Nacht bläulich flimmert. Dabei ist die Antwort doch ganz einfach: nackte Frauen. Oder natürlich einen guten Film beziehungsweise Sport.

Sex im deutschen Fernsehen, ein Zeitraffer: Anfang der Siebzigerjahre tritt in der Familienunterhaltungssendung „Wünsch Dir was“ eine Kandidatin mit transparenter Bluse auf. Ein Skandal, die halbe Nation gab sich entrüstet. Danach passiert lange Zeit gar nichts. Dann, 1979, ein Vorfall im Nachbarland, bei unseren Freunden in Österreich. Im „Club 2“, der Talksendung des ORF, greift sich die Sängerin Nina Hagen in den Schritt. Allgemeiner Tenor: So etwas tut man nicht.

Acht Jahre später erschüttert der nächste Sexskandal die Fernsehnation: Thomas Gottschalk kommentiert in seiner Kuriositätenschau „Na sowas!“ den Auftritt einer 61-jährigen Artistin, die im Röckchen balanciert, mit den Worten „hoffentlich verkühlt sie sich nicht an den Eierstöcken“.

Die Geschichte schien sich zu wiederholen, als im Januar 2002 die 21-jährige Sängerin Sarah Connor in sehr aufreizender Kleidung bei „Wetten dass ..?“ auftrat. Der inzwischen schon altersweise Gottschalk verkniff sich allerdings diesmal jeden Kommentar. So musste es die Presse übernehmen, die Sängerin zu verdächtigen, sie sei unten ohne aufgetreten.

War bei früheren Skandalen die entrüstete Frage „Darf man das?“ noch Ausdruck eines ehrlichen Bedürfnisses, die Grenzen des Erlaubten auf dem Bildschirm abzustecken, wirkte die jüngste Aufregung um Frau Connors Unterwäsche recht abgeschmackt, hatte sie doch nur noch das Ziel, Frau Connor weiter im Gespräch und ihre Platten in den Charts zu halten.

Darf man das? Die Frage ist so oft gestellt worden im Zusammenhang mit Sex und Fernsehen, und fast genauso oft war die Antwort: offenbar ja. Na und? Seit es im Kabel über dreißig, im Digitalfernsehen über hundert und im Internet unzählige Kanäle und Angebote gibt, die auf hormonelle Aufwallungen und Spekulationen einzugehen verheißen, ist die Frage doch viel mehr: Will man das sehen?

Beziehungsweise: Will man das hören? Der Verfasser kann sich noch erinnern, als Teenager in einer Bravo-Dr.-Sommer-Spalte den Brief einer Gleichaltrigen gelesen zu haben. Inhalt des Briefes war die (sexuelle) Faszination der Schreiberin für die Stimme des Klausjürgen Wussow alias Professor Brinkmann aus der „Schwarzwaldklinik“ und ihre Sorge, sie sei wegen dieser Vorliebe nicht ganz normal. Natürlich war sie völlig normal, würde man heute sagen, und die Frage zu stellen war selbstverständlich völlig in Ordnung.

Normal wie die pubertierenden Männern jeder Altersstufe, die sich in der Anfangszeit des Privatfernsehens, so Ende der Achtzigerjahre, all diese endlosen Reihen von Schulmädchen-, Tanzstunden- und Fahrschulenreports reinzogen. Normal wie auch die Konsumenten der von Hugo-Egon Balder auf RTLplus so trefflich moderierten, tief dem Europagedanken verpflichteten Show „Tutti-Frutti“.

So normal wie auch die scheinbar vorhandene Zielgruppe der spätabends und nachts im Fernsehen inflationär angebotenen Sexmessenreportagen, Wohnzimmerstrips und Telefonsexwerbespots. Doch was haben diese Darbietungen überhaupt mit Sex zu tun? Mit Erotik, ja mit Intimität? Sehr wenig. Sex, Nähe, Intimität und Erotik und Fernsehen? Muss es nicht eher heißen: Sex oder Fernsehen?

Eine liebe Freundin beklagte kürzlich mit gequältem Gesicht ihr nicht gerade aufregendes Privatleben: „Ach“, sagte sie, „er sieht halt sehr gerne fern.“ Allein steigt sie in die Federn, notgedrungen, während er auf der Couch sitzen bleibt, „nur noch ein bisschen“, das blaue Licht aus dem TV-Gerät scheint von seinem Gesicht wider. Was sieht er sich nur wieder an?

STEFAN KUZMANY, 30, taz-Redakteur, nennt Mandarine seine liebste Tutti-Frutti-Stripperin