piwik no script img

Jumping, flying, jo, jo, jo

„Wenn der Weihnachtsmann nach Texas geht, hat er Cowboystiefel an“: Auf dem Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz kann man sich mal so richtig durchschütteln lassen. Wer dann noch essen kann, ist dort auch gut aufgehoben. Ein Selbstversuch

von SUSANNE MESSMER

Die Sache mit der Dramaturgie muss bereits im Vorfeld verhandelt werden: Soll man zuerst etwas essen, dann mit den harmlosen Maschinen anfangen und sich langsam steigern? Oder zuerst die schlimmen Maschinen und dann der Rest? Abgesehen davon, dass wir noch vor alldem einen Batzen Geld aus der Wand ziehen müssen, entscheiden wir uns für die Schlimme-Maschinen-zuerst-Variante.

Zunächst sieht der Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz zwischen Grunerstraße und Dircksenstraße ganz harmlos und ziemlich winzig aus. Das täuscht, haben wir uns sagen lassen, er ist der Prolligste around, Ballermann zwölf, der Beste, wenn man mal so richtig durchgeschüttelt werden will. Also: Die ersten drei Euro gehen für „Jumping“ weg. „Jumping“ sieht ziemlich gefährlich aus. Wir sitzen in einer Kabine, die sich auf zwei Achsen dreht. Hinten singen Truck Stop, die Jungs, die Karl May in die Unterhaltungsmusik getragen haben: „Wenn der Weihnachtsmann nach Texas geht, hat er Cowboystiefel an.“ „Jumping“ heißt nicht umsonst „Jumping“, denn mitten im Flug, den man mit etwas Phantasie noch als beglückend empfinden kann, sackt die Drehscheibe plötzlich ruckartig ab. „Kaputt?“ kreischen wir uns zu, können uns aber nicht ansehen, weil die Schubkraft unsere Köpfe in die Stützen drückt. Glücklich, lebend rausgekommen zu sein, wanken wir wacklig weiter.

Es braucht etwas Zeit bis zur nächsten Maschine, also werfen wir dem lustigen Klomann der Firma „Meisel Group“ fünfzig Cent in den Rachen und kaufen uns zwei batteriebetriebene Weihnachtsmützen mit blinkenden Sternchen, vier Euro das Stück. So welche tragen alle hier, die keinen Haarreif mit Rentiergeweih haben. Und dann ein, zwei Lose. Das Aktionspaket, zwanzig Lose für fünf Euro, können wir uns nicht leisten. Während alle Kinder vor uns Stofftiere bekommen, die größer sind als sie selbst (Aktionspaket), und sich bedanken, indem sie ins Mikro „Ich bin Willi aus Deutschland“ schreien, kriegen wir ein zehn Zentimeter großes, gelbes Plüschkaninchen, das, wie uns der freundliche Mann auf der Bühne versichert, auf den schönen Namen „Blasi Hasi“ hört.

So langsam sind wir bereit für das nächste Schleudertrauma. Das allerschlimmste Gerät auf dem Weihnachtsmarkt ist der „Flying Circus“, ein kompliziertes Ineinanderspiel unterschiedlichster Drehrichtungen, das sich an dieser Stelle nur mit Hilfe einer technischen Zeichnung hinreichend erklären ließe. Wieder drei Euro weg. Der Rest lässt sich schwer beschreiben. Es sei nur vermerkt, dass es ganz schön weh tut, einige Sekunden, die sich wie zwanzig Minuten anfühlen, auf dem Kopf gestellt und dabei in einen kalten Plastiksitz gepresst zu werden. Hinterher erscheinen uns die kulinarischen Angebote des Weihnachtsmarkts inakzeptabel. Halber Meter Curry mit Pommes? Graue Geflügelleber mit Knoblauchbaguette? Schlabbrige Pilzpfanne? Du meine Güte.

Warum sieht hier eigentlich alles aus wie aus den Achtzigern? Auf der „Breakdance“-Maschine sind Mädchen mit Schweißbändern abgebildet. Selbst auf „Techno-Power“ steht geschrieben: „Echt stark“. Vorbei die Zeiten, als man sich einen Schausteller zum Freund wünschte, damit man endlos Berg-und-Tal-Bahn fahren konnte. Da hilft es auch nicht, dass „Schaustellerfamilie Jürgen Böttcher ein frohes Weihnachten wünscht“ und Herr Wollenschläger „jo jo jo, hotti jo“ ins Mikro ruft. Berg-und-Tal-Bahnen gibt es übrigens gar keine mehr. Auch keine fliegenden Teppiche. Und wo sind überhaupt die Schießstände hin? Elfterseptember? Erfurt?

Langsam, während wir an vielen Ständen mit Handyhüllen und mexikanischem Kunsthandwerk vorüberflanieren – überhall halten sich verliebte Pärchen aus Marzahn und Hellersdorf an ihrem Glühwein fest, sie in überdimensioniertem Daunensteppmantel, er in Elefantenjeans mit aufgenähten Kordeln und funktionslosen Zierreißverschlüssen – fühlen wir uns wieder besser und der Hunger kehrt zurück. Ob das Glücksgefühl der Schwerelosigkeit doch irgendwie mit Fresslust zusammenhängt?

Wir fangen an mit einer Rostbratwurst vom Schwenkgrill für zwei Euro. Es folgen Kartoffelpuffer für zwei Euro, Steak im Brötchen für drei Euro, Schmalzkuchen für zwei Euro, Schokobanane für eins fünfzig. Macht acht Euro pro Person. Dafür hätte man schon okay essen gehen können. Nur, dass wir dann nie Mandy vom Schmalzkuchenstand kennen gelernt hätten, Mandy mit der kunstvollen Kurzhaarfrisur und der Landschaftsmalerei auf den Fingernägeln.

Wir fragen uns ernsthaft, wie sich das all die Menschen hier leisten können. Da ich meiner tapferen Begleiterin zum Dank noch ein Lebkuchenherz schenke – ich habe die Wahl zwischen „Ich liebe Dich“, „voll cool äi“ und „Geiler Bock“ – bin ich nach nur einer Stunde 22 Euro los. Dabei haben wir uns nicht mal eine Zuckerwatte gekauft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen