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Fischer schaffen sich selbst ab

Umweltverbände sind schwer enttäuscht über die Brüsseler Beschlüsse zu Fangquoten und sehen den Kabeljau akut bedroht. WWF sagt: Ohne grundlegende Änderung der Fischereipolitik werden Europas Fischer bald nichts mehr zu fangen haben

„Wir sollten Fischer dafür bezahlen, dass sie die Fische nachhaltig nutzen“

von GERNOT KNÖDLER

Die Frustration war enorm groß. Die Fangquoten für den bedrohten Kabeljau werden nur unzureichend gesenkt, die grüne Agrarministerin Künast hat bei der Tagung der Fischereiminister der EU in Brüssel eine schwere Niederlage eingesteckt (siehe Berichte Seiten 1 und 3). Die Umweltverbände sagen nun sowohl den Fischen, aber genauso auch der Fischerei selbst eine dunkle Zukunft voraus.

Die Umweltorganisation World Wildlife Fund (WWF) zeigte sich vom Ergebnis der Verhandlungen schwer enttäuscht. Heike Vesper, die Fischerei-Referentin des WWF-Deutschland, hatte die Vorschläge der EU-Kommission, die zunächst auf dem Tisch gelegen hatten, als „im Großen und Ganzen gut“ bezeichnet. „Sie hätten aber weiter gehen können“, so Vesper.

Im Vorfeld der Verhandlungen hatte der WWF versucht, der Fischereiwirtschaft und den europäischen Regierungen vor Augen zu führen, dass die Fischerei, wie sie derzeit in den Gewässern der EU betrieben wird, ökonomisch und ökologisch unsinnig ist. Ralf Döring von der Universität Greifswald rechnete in zwei Gutachten vor, dass sich eine nachhaltige Fischerei mit niedrigen Fangquoten und geringen Beifängen schon nach wenigen Jahren für die Fischer und die Gesellschaft rentieren würde. „Im Augenblick zahlen wir für die Fischerei Subventionen“, sagt der Greifswalder Wissenschaftler. Dabei könnten die Staaten der EU seiner Schätzung nach in zehn bis 15 Jahren Geld verdienen mit den Fischbeständen ihrer Küstengewässer.

„Ich glaube, dass es nicht verkehrt ist, mal so eine Rechnung zu machen, und den Fischern die Augen zu öffnen“, sagt Matthias Keller vom Hamburger Fisch-Informationszentrum zu Dörings Ansatz. Für die deutsche Fischindustrie wäre es ein Vorteil, wenn sie sich auf kontinuierliche Lieferungen einstellen könnte. Dazu müssten die Fischbestände eine langfristige Planung ermöglichen.

Nach Angaben des WWF sind 70 Prozent der kommerziell nutzbaren Bestände in EU-Gewässern überfischt. Das heißt, es werden mehr Fische aus dem Meer geholt als nachwachsen können. Dabei sind die Europäer aus dem Schaden anderer nicht klug geworden: 1992 brach der ehemals größte Kabeljau-Bestand der Welt vor der Küste Kanadas zusammen. Mehr als 40.000 Menschen verloren ihre Arbeit. Bis heute hat sich der Bestand nicht erholt.

Jetzt droht dem Nordsee-Kabeljau das gleiche Schicksal. Nach Angaben der EU-Kommission schwimmen heute nur noch 37.000 Tonnen Kabeljau in der Nordsee. Bei vernünftiger Bewirtschaftung könnten nach Schätzung der Kommission jährlich 200.000 Tonnen gefangen werden. Der WWF geht von einer Zahl von 140.000 Tonnen aus, die gefischt werden könnten, ohne dass der Bestand auf Dauer schrumpft.

Vorher müsste der Bestand allerdings Gelegenheit haben, sich gründlich zu erholen. „Es ist mir ein Rätsel, dass manche immer noch behaupten, es genüge, Quoten festzusetzen“, schrieb EU-Agrarkommissar Franz Fischler am 11. Dezember Europas Fischern. „Muss erst der Kabeljau ganz verschwinden, bevor man erkennt, dass Nichthandeln auch eine Form von Handeln ist?“

Das Problem der Überfischung wird dadurch verschärft, dass viele Meerestiere als unerwünschter Beifang über Bord geworfen werden, was viele nicht überleben. Das können Fische der gewünschten Art sein, die noch zu klein sind, um vermarktet zu werden, aber auch andere Tiere, die nur wenige gerne essen: In der südlichen und zentralen Nordsee sterben Jahr für Jahr 7500 Schweinswale in den Stellnetzen für Kabeljau und Steinbutt. Weltweit verenden nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) zehn bis zwölf Millionen Haie und 300.000 Schildkröten als Beifang.

Allein der wirtschaftliche Schaden der hierdurch entsteht, ist immens: Nach der WWF-Studie zum Beifang sind 1983 mehr als drei Millionen Nordsee-Kabeljaue ins Meer zurückgeworfen worden. Damit brachten sich die Fischer im nächsten Jahr um 3000 Tonnen Nachwuchs, der ihnen nach heutigen Preisen rund 5,4 Millionen Euro eingebracht hätte.

Den Wert zurückgeworfener Grundfische wie Kabeljau, Schellfisch und Seehecht aus der Nordsee habe nach Schätzung der FAO „mit 700 Millionen Euro bis 1994 etwa den gleichen Marktwert wie die angelandeten Fischmengen erreicht“, schreibt Döring. Von den 2,5 Millionen Tonnen Fisch, die im Jahresdurchschnitt in der Nordsee gefangen werden, landen 550.000 Tonnen wieder im Meer, schätzt der Internationale Rat zur Erforschung der Meere (Ices).

Den Schaden aus der Überfischung errechnete Döring aus der Differenz zwischen der langfristig möglichen Fangmenge und dem, was heute tatsächlich gefangen wird. In der Ostsee wurden 2002 beispielsweise 76.000 Tonnen Dorsch gefangen. Im langjährigen Mittel sind 235.000 Tonnen gefangen worden, nachhaltig wäre eine Fangmenge von 165.000 Tonnen jährlich. Daraus ergibt sich nach heutigen Preisen ein Verlust von 286 Millionen Euro im Vergleich mit dem langjährigen Mittel und von 160 Millionen Euro im Vergleich mit der nachhaltigen Fangmenge. Beim Nordseekabeljau liegt der Ertragsverlust im Vergleich zur nachhaltigen Fangmenge bei 243 Millionen Euro.

Hinzu kommen die ökologischen und sozialen Kosten einer solchen auf kurzfristigen Gewinn ausgerichteten Fischerei. Weil die Fische in der Nahrungskette fehlen, droht eine langfristige Veränderung der Ökosysteme im Meer oder gar deren Zusammenbruch. Viele Arten, die im Beifang landen, wie etwa Wale und Haie, sind vom Aussterben bedroht. Die Fischerei mit Baumkurren, die über den Meeresboden geschleift werden, beeinträchtigt sensible Ökosysteme.

Dabei subventioniert Europa selbst nach Meinung der EU-Kommission eine Wirtschaftsweise, die langfristig immer mehr Fischer arbeitslos macht. Sie unterstützte den Kauf größerer und effizienterer Fangschiffe und trug damit kräftig dazu bei, die Meere zu leeren. Um die schwindenden Bestände zu finden, mussten die Fischer immer weiter aufs Meer hinaus und immer modernere Technik einsetzen, was die Trawler der großen Reedereien gegenüber den kleinen Küstenfischern begünstigte.

Für Döring ist deshalb klar, dass die EU ihre Subventionspolitik ändern muss. „Wir sollten die Fischer auch dafür bezahlen, dass sie die Fische nachhaltig nutzen oder nicht nachhaltige Nutzung verteuern“, schlägt er vor. Bei der Umstellung müssten die Fischer zwar eine kurze Durststrecke überbrücken, weil sie weniger fangen dürfen und in neue Netze mit größeren Maschen investieren müssen. „Langfristig lohnt sich das immer“, glaubt Wissenschaftler Döring.

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