Bis zum letzten Happen

Konkurrenz der Helfer: Zwischen zwei Lebensmittelausgaben für Einkommensschwache in Bremen-Nord tobt erbitterter Streit um Nahrungsmittelspenden. Nach der Pleite der letzten Nordbremer Tafel könnte das für beide Initiativen zum Aus führen

Sie wollen übrig gebliebene Lebensmittel bei Händlern einsammeln, nahezu kostenlos an Bedürftige verteilen und so die Idee der in Konkurs gegangenen Nord-Bremer Tafel e. V. wieder aufleben lassen. 220 einkommensschwache Familien versorgt die Nord-Bremer Lebensmittelhilfe Aumund e. V. nach eigenen Angaben seit August in der Schwaneweder Straße. Anfang Dezember bekam der Verein von der „Hanseaten“ Nahrungsmittelausgabe e. V. im Zentrum von Vegesack ungeliebte Konkurrenz – und der Streit, der schon den Konkurs der Nord-Bremer Tafel e. V. begleitete, tobt wieder.

Mit unlauteren Methoden, sagt Lebensmittelhilfen-Vorsitzender Hansjörg Hörner, mache die „Hanseaten“-Vorsitzende Ursula Boschen seinem Verein die Spenden abspenstig: „Die hat sich gegenüber den Händlern als unsere Chefin ausgegeben und die Ware, die für uns rausgestellt war, einfach mitgenommen.“ Hörner hat inzwischen Anzeige wegen Betrugs erstattet; mehrere Betriebe weigern sich seither, Nahrungsmittel an die „Hanseaten“ abzugeben. Deren Arbeit ist ins Stocken geraten.

„Verleumdung und Rufmord“, wirft dagegen Boschen der Lebensmittelhilfe vor – deren Vorwürfe sie bestreitet: „Das würde ich nie tun.“ Die Lebensmittelhilfe Aumund sei „sauer, dass ich hier einen Laden auf die Beine gestellt habe und sie nicht beteiligt wurden“. Wegen „falscher Anschuldigung“ will Boschen mit den „Hanseaten“ nun ihrerseits ebenfalls Anzeige erstatten – gegen den gesamten Vorstand des Konkurrenz-Vereins.

Eine Filialleiterin, die die „Lebensmittelhilfe“ regelmäßig mit Nahrungsmittelspenden unterstützt, bestätigt indes die Vorwürfe Hörners: Boschen habe ihr gegenüber auf Nachfrage bestätigt, dass sie von dem Verein in der Schwaneweder Straße komme und dieser jetzt „ein neues Logo“ habe.

Auch der Vorsitzende der Bremer Tafel e. V., Wilfried Runge, ist auf Boschen und die „Hanseaten“ nicht gut zu sprechen. Denn während sich die Nord-Bremer Lebensmittelhilfe mit der Bremer Tafel abgesprochen habe, wer in welchem Bezirk um Nahrungsmittelspenden werbe, sei Boschen ohne Rücksprache mit der Tafel bei deren Spendern aufgetaucht – ein „merkwürdiges Vorgehen“, findet Runge.

Boschens Version lautet genau anders herum. Die Bremer Tafel habe überhaupt nur in Bremen-Nord Lebensmittelspenden abholen dürfen, solange es dort keinen Nachfolger für die in Konkurs gegangene Nord-Bremer Tafel gegeben habe. So sei es vertraglich vereinbart worden. Der legitime Nachfolger der Nord-Bremer Tafel aber seien die „Hanseaten“, findet Boschen; dies habe sie Runges Kollege auch schriftlich mitgeteilt. Boschen: „Wir haben Anspruch auf die Ware in Bremen-Nord.“

Aus der Pleite der ersten Nord-Bremer Tafel wollen beide Nachfolgevereine Konsequenzen gezogen haben. Als „seriöses Klein-Klein“ beschreibt eine Kassenprüferin die Tätigkeit der Lebensmittelhilfe. „Alles perfekt und transparent geregelt“, betont auch die „Hanseaten“-Vorsitzende Boschen über ihren Verein.

Wer bei den „Hanseaten“ mehr als einfache Grundnahrungsmittel beziehen will, zahlt 40 Euro Mitgliedsbeitrag im Monat – viermal mehr als die Lebensmittelhilfe verlangt. Dafür soll im nächsten Monat ein Tiefkühl-Bereich im 300-Quadratmeter-Laden installiert werden. „Glauben Sie, dass Bedürftige tatsächlich 40 Euro ausgeben?“, fragt Wilfried Runge von der Bremer Tafel. Boschen, gelernte Kauffrau, verweist auf die mehr als 200 Mitglieder, die ihr Verein bereits habe. In Zukunft werde ihre Nahrungsmittelausgabe noch größeren Zulauf haben: „Ich will, dass das wächst.“

Bedarf für die Gratis-Lebensmittel, sagt Jutta Riegert, Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt in Bremen-Nord, sei genug vorhanden: „Es gibt hier wirkliche Not.“ Am Streit aber, so fürchtet sie, könnten letztlich beide Initiativen zugrunde gehen.

Erste negative Auswirkungen zeigen sich bereits: Der Verband Deutscher Tafeln e. V. ist nicht gewillt, auch nur einem der beiden Streithähne den Namen „Tafel“ zu verleihen. Und die Händler, auf deren Lebensmittelspenden alle Vereine angewiesen sind, könnten des Streits ebenfalls bald überdrüssig werden, fürchtet Boschen: „Dann kriegt keiner was.“ Armin Simon