piwik no script img

Ich auf der Tretmine

Man muss sich auch mal ernsthaft Gedanken machen: Albrecht Kunze alias Lamé Gold versucht, auf „The Homecoming Concert“ den verfeinerten Elektrosounds zu mehr Nachdenklichkeit zu verhelfen

von ANDREAS HARTMANN

Romantischer Edelkitsch, das fällt einem zuerst ein beim Hören von Lamé Golds „The Homecoming Concert“. Alles fließt, evoziert ein Gefühl von Endlosigkeit, Erhabenheit und Bilder von Bergseen, in denen sich der deutsche Wald spiegelt. Es empfiehlt sich, Kerzen bereitzustellen.

Pop-Ambient nennt sich diese Art von elektronischer Musik, bei der Streicher, Glöckchengebimmel und Synthesizerflächen zu einem wabbrigen Klangbrei verarbeitet werden, der garantiert beatfrei daherkommt. Doch zu dieser Musik, so das Anliegen von Albrecht Kunze aka Lamé Gold, soll man nun nicht etwa die Augenlider auf halbmast setzen, sondern sich ernsthafte Gedanken machen. Über Kriege und ihre Auswirkungen und „inwieweit man darin auch als vermeintlich Außenstehender involviert ist“.

Beim reinen Hören dieser Musik käme man nicht auf die wahren Absichten Albrecht Kunzes, nie im Leben. Ist schließlich nur Klang, reiner Wohlklang: Kriegsgebrüll scheint da ganz weit weg. Doch Kunzes Trick besteht darin, dass er, so wie er in seinen textbasierten Hörspielen auch mit Musik arbeitet, umgekehrt in seine ausgewiesenen Musikprojekte auch Texte mit einfließen lässt. Das ist bei seinem Projekt März so, einer Art elektronischer Neofolkband, die er zusammen mit Ekkehard Ehlers betreibt und die mit Popliteraturzitaten arbeitet. Und das ist nun auch auf der zweiten Lamé-Gold-Platte „Homecoming Concert“ so, auf der seine Sprecherin Karolina Sauer an zwei Stellen auf der CD, die keine Tracktitel aufweist, schwer verdauliche Textbrocken vorträgt: Worte voller Zweifel und Selbstanklage, technisch verfremdet und ohne irgendeine offensichtliche Anbindung an die Musik.

„Was, wenn wir zurückkehren – aus den Resten der Ruinen, der Erinnerung, und zurückkommen, dorthin, wo alles begann?“, solche Dinge fragt die Sprecherin. Und wer sich nun für schlau genug hält, das Gesagte mit dem Plattentitel „The Homecoming Concert“ verbinden zu dürfen, der hat einen Vorteil: Er kann sich einbilden, dass er versteht, um was es hier gehen könnte. Vielleicht um die Worte eines GIs, der sich nach einer missglückten Mission seine Gedanken macht und dessen Scheitern an der Front nun durch ein „Homecoming Concert“ zu Hause zurechtgerückt werden soll? Doch so einfach will es uns Albrecht Kunze nicht machen: „Ich wollte, dass es in meinem ‚Homecoming Concert‘ offen bleibt, ob es tatsächlich um eine kriegerische Mission geht, zumal den Text eine Frau spricht“, sagte er in einem Gespräch mit der Spex.

Etwas offen lassen, vage halten, mit Metaphern jonglieren, das liebt Kunze. „Ich schreibe keine Handlungsstücke, ich arbeite mit Textblöcken. Es gibt zwar immer einen Rest roten Faden. Aber eigentlich behaupte ich nur, es gebe eine Handlung“, beschreibt er das Arbeitsmuster für seine Hörspiele. Genauso soll auf „The Homecoming Concert“ etwas „unterschwellig“ vermittelt werden.

Doch während sein Hörspiel „Ich auf der Tretmine“ genau dadurch funktioniert, dass dem Individuum angesichts all der Fragen, die sich vor ihm auftun, der Boden unter den Füßen weggerissen wird, wirken die Textbausteine auf „The Homecoming Concert“ wie aufgepfropft, wie nachgereichte Konzeptkunstausschmückungen. Eine Platte mit wunderbarer Musik durch wichtige Textpassagen zum Nachdenken scheinbar aufzuwerten ist eh zweifelhaft. Wenn Jochen Distelmeyer bei den Blumfeld-Platten mit dem Dichten anfängt, hat man schon immer weggeskippt. Tut man sich bei Kunze diesen Gefallen nicht und stellt sich seinem Anliegen, bleibt die Frage: Was soll das? „Meine Musik arbeitet mit Sentiment, ist vielleicht sogar melodramatisch, sie ist schön, aber auch tragisch.“ Oh ja, das ist sie – hat Jerry Bruckheimer sich bereits gemeldet?

In seinem Hörspiel „Ich auf der Tretmine“ werden fleißg Analogien zwischen Front und Dancefloor herausgearbeitet, Kriegs- und Popdiskurs einfach mal kurzgeschlossen. Da geht es um Räume besetzen, sich vor- und zurückbewegen, Ausschlüsse herstellen (vom Türsteher genauso wie von Kriegsparteien) und um die Frage, „ob Chill-out-Räume wirklich Schutzzonen sind und, wenn ja, Schutz wovor“. Eine weitere Frage taucht, leicht variiert, immer wieder auf: Was, „wenn die Dimensionen sich auflösen und Tanzflächen und Krisengebiete ineinander fallen?“

Was also, wenn, wie Tom Holert und Mark Terkessidis in ihrem Buch „Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert“ feststellen, der Krieg spätestens seit dem 11. September „zeitlich und räumlich unbegrenzt, schlichtweg allgegenwärtig“ ist? Also auch die Disco ein potenzielles Anschlagsziel für Terroristen darstellt und der Club ein Refugium für Soldaten nach Dienstschluss? Wird der Rave dann vielleicht sogar, wie es Neue Rechte und Neue Freiheit schon immer gern gehabt hätten, zum Jünger’schen „Stahlgewitter“?

Kunze möchte, so sagt er, in seinen Arbeiten klar machen, dass „der Dancefloor als Kehrseite der Krisengebiete“ zu betrachten ist: „Weil es woanders Krisengebiete gibt, können wir hier tanzen.“ An dieser Stelle beginnt einem langsam die Lust zu vergehen, sich weiter diese Tanzflächen-und-Krisengebiete-Analogien antun zu wollen. Man fühlt sich unangenehm an Betroffenheitsrhetorik erinnert und an die Frage, die schon zum letzten Golfkrieg gestellt wurde: ob man wegen des Kriegs denn auf den Karneval verzichten sollte.

Hier versucht Kunze den Eiertanz, den auch Naomi Klein so gut beherrscht. So wie sie meint, dass man zwar Nike-Schuhe tragen darf, dabei aber Bescheid wissen sollte, dass diese mit Kinderschweiß aus den Sweatshops dieser Welt gewachst wurden, so will auch Kunze nur „bewusst machen, nicht aufklären“ – bewusst machen, „auf wessen Rücken ich tanze. Was nicht heißen soll, dass man gar nicht mehr tanzen darf.“

Albrecht Kunze will so einiges, er hat sein Thema gefunden – das allerdings, wie eine Flut an Publikationen beweist, derzeit das Thema schlechthin ist. Er wandelt künstlerisch auf den Pfaden Paul Virilios, der immer wieder untersucht hat, wie sich Unterhaltungsindustrie und Krieg gegenseitig hoch geschaukelt haben. Und auf denen Friedrich Kittlers, der darauf hinwies, dass ohne das technische Know-how aus der Kriegsforschung eine Platte wie das „Sgt. Pepper“-Album der Beatles niemals drin gewesen wäre.

„The Homecoming Concert“ wird nun zum Opfer dieses Beschäftigungsfeldes. Oder, wenn man so will: Die Platte bringt das ihr zugeordnete Thema auf den Punkt, indem sie daran scheitert.

Lamé Gold: „The Homecoming Concert“ (Payola/EFA)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen