CHÁVEZ IST UNBERECHENBAR – ABER DEMOKRATISCH LEGITIMIERT: Erdöl als Waffe
Venezuelas Präsident Hugo Chávez bleibt stur. Seine Gegner ebenfalls. Nach über drei Wochen Generalstreik sind sich beide Seiten keinen Schritt näher gekommen. Am Verhandlungstisch sind Regierung und Gegner, wenn überhaupt, nur aus formellen Gründen erschienen. Chávez sieht nicht ein, warum er als gewählter Präsident zurücktreten soll: Er hat niemanden umbringen lassen, ihm wird kein größerer Korruptionsskandal angehängt – er hat eben nur eine Politik gemacht, die der priviligierten Klasse des Landes nicht behagt: Er hat den Armen des Landes – über 80 Prozent der Bevölkerung – eine Stimme gegeben.
Weiter ist er mit seinen Reformen allerdings nicht gekommen. Zwar ließ er Schulen bauen, Krankenhäuser renovieren und Häuser in Armensiedlungen errichten. Doch viel erreicht hat er bislang nicht. Seine Gegner haben nun Angst vor dem, was kommen könnte, und vor dem, was Chávez noch machen könnte: den Reichtum des Landes umverteilen und die Gewinne des staatlichen Erdölkonzern stärker für den Aufbau des Landes nutzen.
Grund genug für die Bourgoisie, auf die Barrikaden zu gehen. Unterstützt von allen privaten Medien im Land rufen sie zum Sturm auf den Präsidentenpalast Miraflores und treffen Chávez an seinem wunden Punkt: dem Erdöl. Die Produktion steht fast still, und im Land wird die Versorgungslage immer kritischer. Lebensmittel können nicht ausgeliefert werden, weil es kein Diesel gibt, Gas zum Kochen ist in den ärmeren Vierteln bereits ausgegangen. Bis die Erdölproduktion wieder ihr altes Niveau von etwa drei Millionen Barrel pro Tag erreichen wird, vergeht mindestens ein Monat. Die Zwangsmaßnahmen der Chávez-Gegner erfüllen den Tatbestand der Nötigung.
Aber seine inländischen Gegner sind vermutlich nicht die Einzigen, die Chávez aus dem Amt jagen wollen. Auch die USA sehen ihn als Störfaktor. Chávez verehrt Fidel Castro, hat Saddam Hussein einst einen Besuch abgestattet und in Caracas eine Generalversammlung der Opec abgehalten. Da Venezuela der drittgrößte Ölproduzent in der Opec ist, ist Chávez außerdem eine der zentralen Figuren bei der Hochpreispolitik des Kartells. Und sein Land ist einer der wichtigsten Öllieferanten der Supermacht. Vor einem möglichen Krieg gegen den Irak ist er ein denkbar unberechenbarer Partner. Dabei hatte der Streik für die USA bislang vor allem ein Ergebnis: Seit Anfang Dezember bekommen sie kaum noch Erdöl aus Venezuela. INGO MALCHER
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