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Die letzte Währungsirritation

Die D-Mark geht den meisten nicht so schnell aus dem Kopf – sie fristet das Dasein eines Phantoms

von GEORG M. OSWALD

„Einerlei Geld kommt auf. Geld wird gemacht, so viel, dass man’s gar nimmer kennen kann“, und es „kriegen die Leut nicht genug daran. Auf einmal gibt’s keins mehr.“ Was dem Bild-Redakteur sein Nostradamus, ist mir der „Mühlhiasl“, ein „Seher“ aus dem Bayerischen Wald, der im ausgehenden 19. Jahrhundert von Dorf zu Dorf wanderte, um in den finsteren Hütten der „Waidler“ genannten Einheimischen seine Prophezeiungen hervorzustoßen.

Die neueste Mühlhiasl-Forschung ist sich einig: Der Mühlhiasl hat den Euro vorausgesehen! Hätt er’s denn noch deutlicher sagen können? Und ist es denn nicht wahr? Kennen wir unser Geld noch? Sollte der Zweihundert-Euro-Schein eingeführt werden? Oder gibt’s den schon? Welches Motiv ist auf die griechische 1-Euro-Münze geprägt? Oder gibt’s die gar nicht? In welchen der folgenden EU-Staaten wird mit dem Euro bezahlt? Schweden, Dänemark, Großbritannien? Hm. Euro-Fragen wären verlässliche Stolpersteine auf dem Weg zu Jauchs Million, die sich ja im Übrigen exakt nach der berüchtigt gewordenen „Euro=Teuro“-Logik von heute auf morgen wertmäßig verdoppelt beziehungsweise ver-1,95583-facht hat, wie ein Fanal gegen das allgemeine Gejammer. Der Mühlhiasl aber hat alles vorausgewusst, auch, dass die Leut erst nicht genug vom Geld kriegen – New Economy! – und es danach „auf einmal“ keins mehr gibt – Steuerlüge!

Ja, nichts ist einfacher, als den Euro in die Pfanne zu hauen, bildlich gesprochen, meine ich jetzt. Aber waren es nicht immer schon die Schlichten im Geiste, die vor ihm gewarnt haben? Unvergessen der Chef vom „Bund Freier Bürger“, Manfred Brunner, der bis zuletzt für deutsches Geld in deutschen Taschen kämpfte, sich aber unterdessen zusammen und zeitgleich mit der D-Mark vom Acker gemacht hat.

Die Einführung der Währungsunion am 1. 1. 1999, der eigentliche Beginn der Euro-Ära, hat die Gemüter nicht so erregt wie die Ausgabe der neuen Münzen und Scheine zum Beginn dieses Jahres. Ist wohl auch verständlich. Meine Großeltern, -tanten und -onkels jedenfalls haben mir von frühester Jugend an eingebläut, was für ein Schock die „Inflation“ in den Zwanzigerjahren für sie gewesen war, ebenso wie die Währungsreform in den Vierzigern. Beide Ereignisse nannten sie schlicht „die Währung“. Sie sagten, „damals, kurz vor der Währung“, „und dann war sowieso alles futsch wegen der Währung“, und so weiter. Als Kind konnte ich nicht so genau auseinander halten, ob es jetzt gut oder schlecht war, wenn „Währung“ war, aber es schien doch auch ein ziemlicher Spaß gewesen zu sein, denn einer meiner Onkels hatte eine Sammlung von Inflationsgeldscheinen, aus der er mir zu Weihnachten schon mal einen „Hundert Billionen Deutsche Reichsmark“-Schein schenkte, nicht ohne mir zu bedenken zu geben, ich solle froh sein, in einer Zeit zuvor nie gekannter Währungsstabilität zu leben.

Ich muss zugeben, dass mich das nicht soo sehr interessiert hat, obwohl ich mich durchaus für Geld in seinen Erscheinungsformen Münzen und Scheine interessierte. Die erste große monetäre Veränderung, an die ich mich erinnern kann, war die Einführung des „neuen“ Fünfmarkstücks 1975, zu einer Zeit also, da mir fünf Mark wie eine schicksalhaft große Summe vorkam. Manche meiner Großeltern, -tanten und -onkels entschlossen sich sofort, die „alten Fünfer“ zu sammeln, weil die in nicht allzu ferner Zukunft schon „was wert“ sein würden, aber das stimmte nicht, sie waren nach einer gewissen Zeit als Zahlungsmittel einfach nicht mehr gültig. Ein bestimmter Teil der Verwandtschaft hat in Gelddingen schon immer aufs falsche Pferd gesetzt, aber gut, das ist etwas anderes. Dabei stand ich numismatischen Erwägungen durchaus aufgeschlossen gegenüber. Die Prägung „Bank deutscher Länder“ auf Zehn- und Fünfzigpfennigstücken verhieß unverhofften Reichtum, denn es hatte sich herumgesprochen, dass sie seltener waren als die mit „Bundesrepublik Deutschland“ drauf. Es dauerte Jahre, bis ich erfuhr, dass nur das Fünfzigpfennigstück „Bank deutscher Länder“ 1950 G sagenhaft viel wert war – ungefähr 700 Mark –, alles andere lohnte kaum die Sammlermühen.

Die nächste Währungsirritation war mit der Ausgabe der neuen Zweimarkstücke verbunden, auf denen Politikerköpfe abgebildet waren. Ich sammelte die Münzen mit Franz-Joseph Strauß auf der Rückseite, um sie aus dem Verkehr zu ziehen, kam aber gegen die Emissionsstrategie der Bundesbank, die offenbar auf die schiere Masse setzte, nicht an. Richtig ernst wurde es dann erst wieder zur Wiedervereinigung. Was man 1949 bei der „Währung“ sprachlich noch nicht so zimperlich „Kopfgeld“ genannt hatte, wurde für die Ossis auf „Begrüßungsgeld“ umgetauft und von 40 auf 100 Mark aufgestockt. Aber immerhin gab es Knete vom Staat, während uns die Euro-Einführung ganz im Stil der neuen Zeit präsentiert wurde: die symbolischen 10,23 Euro im Tütchen hießen voll New-Economy-mäßig „Starter-Kit“, und wir durften es – jeder seine Ich-AG – selbst zahlen. Aus Sicht des Sammlers war das Starter-Kit sowieso ein Flop – die Dinger haben einfach nur den Nominalwert, und weil die Zigarettenautomaten im Viertel blitzschnell ausgetauscht waren, musste ich mein eigentlich für die Enkel gedachtes Plastiksäckchen aus der Bundesdruckerei schon nach ein paar Tagen plündern.

Ansonsten aber hatten insbesondere die ersten paar Euro-Wochen ihren Reiz. Ungewohntes Geld hatte man sonst ja nur im Ausland in der Tasche, doch jetzt spielten sich beim Einkaufen plötzlich Szenen ab wie früher nur unter Deutschen im Urlaub. Umständliches Geldabzählen, Lobpreisungen der D-Mark, Verwünschung unverschämt erhöhter Preise. Darüber, dass alles teurer wird, haben wir uns doch immer schon aufgeregt, und deshalb ist es nur ein Zeichen beginnender Akzeptanz des neuen Zahlungsmittels, wenn wir über den Euro schimpfen.

Gerade die ersten Wochen waren reizvoll – fremdes Geld hatte man ja sonst nur im Ausland in der Tasche

Die D-Mark freilich geht den meisten nicht so schnell aus dem Kopf und führt das Dasein eines Phantoms. Fasziniert verfolgte ich den Dialog zweier Nachbarn, die sich über ein Auto unterhielten, in dessen Windschutzscheibe ein „Zu verkaufen“-Zettel hing. „VB 4.000,00“ stand da, fett gedruckt, und der eine Nachbar sagte, „8.000 ist viel zu viel. Sechsfünf, höchstens sieben darf der kosten.“ Der andere erwiderte: „Ich hab solche schon für 5.000 gesehen, aber der hier ist wirklich zu teuer“, und so fort. Klang schon merkwürdig, aber die D-Mark ist eben immer noch da. Es fehlt einem das seit der Kindheit erworbene Gefühl für den richtigen Wert, deshalb die dauernde Umrechnerei.

Bei mir jedenfalls hat die Einführung des Euro zu einer für mich neuen Konsumfreudigkeit geführt, denn von den Preisschildern gehen Signale aus, die jahrelang „billig“ bedeuteten, und bis ich den wahren Wert der Ware durch Verdoppelung des Preises ermittelt habe, befindet sie sich auch schon in meiner Tasche. Meine Kontoauszüge hingegen lese ich nicht mehr so gern, kommt denn wirklich nur noch so wenig rein?

Da gibt es natürlich noch das Teuro-Problem, angeblich typisch und ausschließlich eine deutsche Erfindung, von dem ich glaube, es existiert nur in unserer Einbildung. Auch das Statistische Bundesamt, das bekanntlich stets die Wahrheit sagt, meldet, „unser Geld“ habe „durch die Einführung des Euro nicht am Wert verloren“ und belegt das mit den angeblich kaum gestiegenen Lebenshaltungskosten im Jahr 2002.

Von heute aus betrachtet muss man sagen, wir, also die Deutschen, haben die Euro-Einführung ziemlich routiniert runtergerissen und das, was wir in Inflation, Währungsreform und -einheit gelernt haben, souverän umgesetzt. Die derzeitige Unpässlichkeit von Regierung und Wirtschaft bringt niemand ernsthaft mit dem neuen Geld in Verbindung, wäre ja auch Quatsch. Die Populisten haben die sentimentale Bindung der Bevölkerung an die D-Mark überschätzt, und auch wenn angeblich zwei Drittel „der Deutschen“ der D-Mark „hinterhertrauern“, steckt hinter dieser Zahl kein wie auch immer verwertbares Potenzial an politischer Unzufriedenheit, sondern etwa das, was Ostdeutsche empfinden, wenn sie sich nach DDR-Ampelmännchen sehnen.

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