piwik no script img

Kenia feiert den Machtwechsel

Hoher Oppositionssieg bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Kandidat der Regierungspartei erkennt Niederlage an. Beobachter loben friedliche und faire Wahl. Aber die Rivalitäten im Lager der neuen Machthaber sind deutlich spürbar

aus Nairobi ILONA EVELEENS

„Endlich Veränderung!“, jubelt Michael Juma. Der Kleinunternehmer in Nairobi ist einer von Unzähligen, die gestern ausgelassen feierten. Sie konnten es kaum glauben: Nach 39 Jahren an der Macht muss die ewige Regierungspartei Kanu (Kenya African National Union) in die Opposition. „Jetzt wird alles besser“, sagt Juma. „Wir sind befreit von einer schweren Last.“

Nach dem sonntäglichen Kirchgang haben sich Freunde und Bekannte auf dem Platz vor seinem kleinen Holzbetrieb versammelt. Leere Bierflaschen liegen auf den Boden, die Stimmung ist heiter. Als ein Auto mit fröhlich singenden jungen Leuten vorbeifährt, winken die Gäste mit zwei Fingern wie zum Siegeszeichen – das Zeichen der Oppositionsallianz Narc (National Rainbow Coalition).

Narc-Präsidentschaftskandidat Mwai Kibaki hat die Präsidentschaftswahl vom Freitag Hochrechnungen von gestern zufolge mit 62 Prozent haushoch gewonnen. Sein wichtigster Gegner, Uhuru Kenyatta von Kanu, lag bei 29 Prozent und erkannte gestern seine Niederlage an. Narc erzielte auch die Mehrheit im Parlament, wobei dazu gestern noch kein gesichertes Ergebnis vorlag. Klar ist jedoch, dass noch nie in Kenias Geschichte so viele weibliche Parlamentarier gewählt wurden.

Zum ersten Mal, seit 1991 das Mehrparteiensystem eingeführt wurde, erlebte Kenia relativ friedliche Wahlen. Im Wahlkampf wurden zwar einige Menschen getötet, aber das ist nichts im Vergleich mit den hunderten Toten bei ethnischen Unruhen kurz vor den Wahlen von 1992 und 1997. Damals wählten Kenianer meistens entlang tribaler Linien und Kanu stiftete Unruhen an, um Zwiespalt zu schaffen.

Die Wahlen waren diesmal auch ehrlicher als je zuvor. Zwar standen nach Angaben unabhängiger Beobachter hunderttausende Verstorbene auf den Wahllisten, wäherend viele ganz lebendige Leute ihre Namen nicht finden konnten. Trotzdem waren nationale und internationale Beobachter zufrieden: Es gab diesmal keine schon vor der Öffnung der Wahllokale voll gestopften Urnen wie früher.

Ausschlaggebend für den Machtwechsel war die Einheit der Opposition, die 1992 und 1997 noch getrennt angetreten war. Der neue Staatschef wird allerdings viel Kraft brauchen, um diese Allianz von 15 Parteien zusammenzuhalten. Wie groß die Konkurrenz zwischen den leitenden Narc-Politikern ist, wurde bei einer Pressekonferenz nach der Wahl deutlich. Ex-Vizepräsident George Saitoti und Ex-Energieminister Raila Odinga versuchten beide, das Wort zu führen. Die Spannung zwischen den beiden ehemaligen Kanu-Mitgliedern war deutlich spürbar. Aber Raila Odinga beschwor die Einheit: „Die Kenianer haben uns zur Zusammenarbeit gezwungen. Wir hoffen, bald aus der Allianz eine Partei zu gründen.“

Wie demokratisch Narc regiert, wird sich zeigen, wenn Kibaki eine neue Regierung zusammenstellt. Frühere Kanu-Politiker, die mithalfen, Kibakis Erdrutschsieg zu erreichen, waren jahrelang Teil des Systems. Manche von ihnen werden in Untersuchungsberichten als Anstifter ethnischer Unruhen genannt.

Während die Bevölkerung sich der Euphorie hingibt, warnt Kommentator Macharia Gaitho in der Sunday Nation, dass die Flitterwochen von Narc und Kibaki nur kurz sein werden. „Die Kenianer wollen schnell Veränderungen sehen. Sie gönnen Kibaki nur wenig Zeit, um ihnen zu beweisen, dass sie an der Urne keinen schrecklichen Fehler gemacht haben.“

meinung & diskussion SEITE 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen