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BürgerhaushaltDu bist Kreuzberg!

Die Berliner sollen künftig stärker mitbestimmen, wie die Bezirke ihr Geld ausgeben. Jetzt bereitet Friedrichshain-Kreuzberg seinen ersten Bürgerhaushalt vor. Dabei hat man sich aber ein wenig übernommen.

Wie könnten die städtischen Büchereien, Musik- und Volkshochschulen im Kiez ihr Angebot verbessern? Wo fehlt eine Fußgängerampel - und welche kann weg? Und haben die Jugendclubs die richtigen Öffnungszeiten? Die zwölf Berliner Bezirksämter beginnen, ihre Finanzhaushalte für die Ideen der Einwohner zu öffnen - und die Hauptstadt gehört hierbei bundesweit zu den Vorreitern.

Das Prinzip dahinter ist laut Carsten Herzberg, Doktorand im Projekt "Europäische Bürgerhaushalte" des deutsch-französischen Forschungszentrums für Sozialwissenschaften: "Nicht der klassische Experte, sondern der Bürger wird als Träger von Wissen aufgewertet." Zum Beispiel mit seinem Wissen als Nutzer von Parks, Bibliotheken und Jugendclubs. Wer die Bezirksangebote regelmäßig in Anspruch nimmt, dem fallen eher Probleme auf und der hat eher Verbesserungsvorschläge als die Beamten hinter dem Schreibtisch - so die Theorie.

Der Bürger als Experte

Doch das Wissen der Bürger lässt sich nur gewinnen, wenn die Schwelle für Beteiligung möglichst niedrig gelegt wird. Wer bisher über den Haushalt mitbestimmen wollte, musste in eine Partei eintreten und sich ins Bezirksparlament wählen lassen. In Zukunft soll es reichen, zu einer Bürgerversammlung zu gehen oder seine Idee auf der Bezirkswebseite zur Diskussion zu stellen, damit sie in den mehrstufigen Prozess (siehe unten) einfließt. Die endgültige Entscheidung allerdings wird dann wieder von den gewählten Bezirksverordneten getroffen - der Bürgerhaushalt ist keine verbindliche Volksabstimmung.

Bisher gibt es bundesweit erst rund 15 Bürgerhaushalte. Herzberg hat sie verglichen: Lichtenberg steht demzufolge an der Spitze. "In Lichtenberg hat der Bürgerhaushalt erheblich zu einem Stadtmarketing beigetragen. Der Bezirk gilt mittlerweile als nationales Vorbild und findet auch auf verschiedenen Konferenzen im Ausland Beachtung."

Bürger, die sich an der Entscheidung über den Bezirkshaushalt beteiligen wollen, erleben allerdings schnell ein böses Erwachen. Denn der Bezirk hat auf die meisten seiner Ausgaben gar keinen Einfluss - der überwiegende Teil des Geldes fließt etwa als Sozialleistungen an Bedürftige oder als Gehalt an die Beamten. In Lichtenberg können die Bürger daher nicht über den gesamten Jahresetat von rund 500 Millionen Euro entscheiden, sondern nur über die 30,8 Millionen Euro, die für Bibliotheken, Sportplätze, Verkehr, Jugend- und Senioreneinrichtungen, Umwelt oder Kultur zur Verfügung stehen.

Starkes Kontrollverhalten

Auch beim erstmals geplanten Bürgerhaushalt für Friedrichshain-Kreuzberg (taz berichtete) läuft noch nicht alles nach Plan. Bürgermeister Franz Schulz (Grüne): "Wir sind noch fernab vom perfekten Verfahren, wir tasten uns erst heran." Der Bezirk habe mit dem Bürgerhaushalt spät angefangen - die Auftaktveranstaltung war am 14. Dezember - und sei nun "jetzt etwas in Zeitnot" geraten. Ursprünglich waren acht dezentrale Veranstaltungen im Bezirk geplant gewesen, doch damit habe man sich überfordert. Allerdings bleibt auch bei besserer Planung wie in Lichtenberg der Bürgerhaushalt nach Beobachtung von Herzberg noch hinter seinen Möglichkeiten zurück - das Wissen der Bürger werde bisher nur unzureichend genutzt. Als Ursache dafür sieht Herzberg einerseits eine nicht stark genug ausgeprägte Kultur der öffentlichen Debatte über politische Fragen, andererseits ein zu starkes Kontrollverhalten der Verwaltung.

"Möglich ist aber auch, dass es gar nicht die Absicht ist, das Wissen der Bürger zu nutzen, sondern dass es bei den Bürgerhaushalten in Deutschland vorrangig darum geht, den Bürgern in Zeiten der Krise die eingeschränkte Finanzsituation verständlich zu machen beziehungsweise den Kontakt zwischen Verwaltung und Bürgern durch neue Gesprächsmöglichkeiten zu verbessern", so der Haushaltsforscher. Die Ideen der Bürger könnten nur dann optimal genutzt werden, wenn Politik und Verwaltung die Bürgerbeteiligung als Chance sehen - und nicht als Bedrohung.

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