ZDF-Filmreihe „Shooting Stars“: „Get dirty and have fun!“
Auf der Suche nach Freundschaft besucht die junge Mercedes zum ersten Mal ein Technofestival. Ihr Ausflug wird zu einer abenteuerlichen Odyssee.
Sommerzeit ist Festivalzeit. Kein ganz schlechtes Timing also, wenn das ZDF im „Shooting Stars“-Durchgang dieses Sommer(loch)s einen Film zeigt, der fast ausschließlich auf so einem Musikfestival spielt. Selbst die mitternächtliche Sendezeit („Smile“, 15.7., 23.55 Uhr, ZDF) passt zum Gegenstand, wenngleich das vermutlich gar nicht intendiert, sondern eher dem Stellenwert geschuldet ist, den „Junges Kino im Zweiten“ bei jenem genießt. Tatsächlich hatte der Sender nur für einen („Lucky Loser“) der fünf „Shoting Stars“-Filme einen Primetime-Sendeplatz parat – und für alle anderen einen nach 23:00 Uhr. So viel dazu.
„Smile“ ist also ein Festivalfilm, das fiktive Musikfestival heißt „Heimat“. Und um da hinzukommen, um den DJ wiederzusehen, den sie auf einem Gig in ihrer Heimatstadt kennengelernt hat, entwendet die junge Mercedes (Mercedes Müller) die Kreditkarte ihrer Mutter (Caroline Flemming). So ein Festival kostet.
„Heimat“ ist nicht „Wacken“ und bestimmt nicht „Rock am Ring“ – naheliegender ist die Referenz auf das „Melt“-Festival: Die Mucke ist Techno, das Ambiente postindustriell und die Utopie irgendwann Kirmes geworden – und ein Gewässer gibt es auch.
Welch irre Dynamik ein im originalen Trubel gedrehter Film entwickeln kann, hat vor ein paar Jahren (2011) Ben von Grafensteins ganz auf dem Münchener Oktoberfest entstandene, den Begriff vom dokumentarischen Theater gewissermaßen neu definierende „Kasimir und Karoline“-Adaption bewiesen. Der „Smile“-Ko-Autor/Regisseur Steffen Köhn hat auf dem Sziget-Festival auf einer Donauinsel in Budapest gedreht. Und dann Teile des Sets auf der Pfaueninsel im Wannsee und auf einem Industriegelände nahe Berlin nachgebaut: ein erstaunlicher Aufwand für den Abschlussfilm eines Filmhochschülers, der keine Kinoauswertung erfahren hat – „Junges Kino“ hin oder her.
Ab dem 07. Juli 2019 präsentiert das kleine Fernsehspiel in seiner Sommerreihe deutsche Kinokoproduktionen junger Talente.
„Smile“. Mo., 15.7., 23.55 Uhr, ZDF.
„Every exit is an entry“
Kaum hat Mercedes das einer Apple Watch gleichende Einlassband umgelegt bekommen, wird sie von einer überattraktiven Frauenstimme mit einer Art Selbstermächtigungsesoterik umschmeichelt: „Hey, Mercedes. Welcome to ,Heimat'. Today is the first day of the rest of your life.“ – „Hey, Mercedes. Life is being on the wire. So get dirty and have fun!“
Der Spaß kostet, die Drinks werden mit dem Hightech-Einlassband bezahlt. Dumm nur, dass die Mutter die Kreditkarte bald sperren lässt. Dumm nur, dass auf diesem Festival sogar das Wasser auf dem Klo was kostet. Das Verlassen des Festivals kostet eine „Checkout-Gebühr“. Hey, Mercedes: „Every exit is an entry.“
Ihr DJ-Schwarm mit Namen „Boy“ (Mehmet Sözer) erwartet sie auf der Secret Backstage Party. Die kann so geheim gar nicht sein, alle scheinen davon gehört zu haben. Aber alle, die Mercedes ihre Hilfe anbieten, verfolgen nur ihre eigenen Absichten: das Partygirl (Hanna Hilsdorf), das behauptet, die Türsteherin zu kennen; der Clown (Christoph Bach), der einen Tee verspricht.
Die Suche nach „Boy“ entwickelt sich zur Odyssee. Steffen Köhn, der auch Videokunst für Kunstausstellungen produziert, hat vor seiner Ausbildung an der dffb Anthropologie studiert: „Große Musikfestivals sind immer Utopien, eigene Welten, temporäre autonome Zonen, in denen all das Wirklichkeit werden soll, was wir im Alltag so schmerzlich vermissen: Zauber, Intimität, Kontrollverlust. Aber letztlich sind sie dann doch nur ein potenziertes Spiegelbild unseres Alltags“, sagt er.
Zwischen Alice im Wunderland und Dantes Inferno
Zum Alltag vieler junger Mädchen gehört die Castingshow von Heidi Klum, deren (nur geringfügig) potenziertem Spiegelbild (Julia Dietze) Mercedes in einer der Episoden begegnet: „Also, dein Gang ist wackelig. Du hast überhaupt kein Körpergefühl und leider so gut wie kein Selbstbewusstsein. Aber irgend etwas hast du.“ – „Focus! Attitude! Give me some attitude!“
Der Erfolg bei dem Modelcasting hätte Mercedes den ersehnten Zugang zu der Secret Backstage Party – zu „Boy“ – verschafft. Sie schafft es am Ende, aber das letzte Wegstück ist eine Bootsfahrt durch einen Fluss voller Leichen: den Styx aus der griechischen Mythologie? Der Regisseur selbst sieht seinen Film „angesiedelt irgendwo zwischen Alice im Wunderland und Dantes Inferno“. Das explosive Finale lässt an Antonionis „Zabriskie Point“ denken.
Und daran, dass die von Steffen Köhn verfolgte Absicht ganz offensichtlich nicht die war, sich für künftige Primetime-Sendeplätze des ZDF zu empfehlen.
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