V-Mann „Corelli“: NSU-Ermittler belogen
Der V-Mann „Corelli“ hatte laut einem Sonderermittler „unmittelbaren Kontakt“ zu Uwe Mundlos. Gegenüber dem BKA behauptete Corelli das Gegenteil.
BERLIN taz | Als das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr den jahrelang einflussreichen Neonazi Thomas R. als Zeugen vernahm, sagte der nicht viel. Die mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kenne er nur aus den Medien. Er habe „zu diesen Typen“ keinerlei Kontakt gehabt. Auch wie er auf einer Adressliste von Mundlos landete, könne er sich nicht erklären.
Doch Thomas R. war nicht nur fast zwei Jahrzehnte unter dem Tarnnamen „Corelli“ als V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz in der Neonaziszene unterwegs – offenbar hat er in seiner Aussage vor einem Dreivierteljahr auch das BKA belogen. Das ergibt sich aus dem nun vorliegenden Abschlussbericht des Sonderermittlers des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Bernd von Heintschel-Heinegg.
Der frühere Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht hatte sich von März 2012 an mit seinem Team insbesondere durch Akten der Bundesbehörden gewühlt. Laut seinem Bericht soll „Corelli“, anders als behauptet, im Jahr 1995 „unmittelbaren Kontakt zu Mundlos“ gehabt – und dem Verfassungsschutz über das Treffen mit dem späteren NSU-Mörder berichtet haben, der damals in der „Kameradschaft Jena“ sein Unwesen trieb.
Allein das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte laut Bernd von Heintschel-Heinegg drei V-Leute „im näheren Umfeld des Trios“. Auf einer geheim gehaltenen Liste mit 129 Personen, die im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen von Bedeutung sind, stehen nach taz-Informationen insgesamt sogar mindestens acht V-Leute der Behörden von Bund und Ländern. Ein ehemaliger V-Mann des Berliner Landeskriminalamts gehört sogar zum Kreis der als NSU-Helfer Beschuldigten.
In den Fokus der NSU-Ermittler gerückt war zuletzt auch Ralf M., der unter dem Tarnnamen „Primus“ bis 2002 für den Verfassungsschutz gespitzelt haben soll. In Zwickau betrieb er zwischenzeitlich eine Baufirma sowie rechte Szeneläden. Später wanderte er in die Schweiz aus. Eine Zeugenaussage, Beate Zschäpe habe im Untergrund in einem seiner Läden gearbeitet, ließ sich nicht erhärten – dafür kam laut Spiegel und SZ die Vermutung auf, Ralf M.s Baufirma könnte etwas mit der Anmietung von Fahrzeugen für den NSU zu tun gehabt haben. Er bestreitet das.
Die Rolle der V-Leute wird in den kommenden Wochen auch noch mal verstärkt den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags beschäftigen. Aber auch in dem am 17. April in München beginnenden Prozess gegen Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des NSU wird das Thema voraussichtlich noch für einige Schlagzeilen sorgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung