Umweltministerin über erstes Jahr im Amt: „Panik können wir uns nicht leisten“

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zieht Bilanz. Sie spricht über den Kohle-Kompromiss und ihre Kritik an Fridays for Future.

Svenja Schulze steht im roten Blazer auf einem Podium hinter einem Pult und redet

Svenja Schulze kritisiert „Pauschalvorwürfe“ an die Umweltpoltik Foto: dpa

taz am wochenende: Frau Schulze, Sie sind die fröhlichste Ministerin, die wir je gesehen haben. Wie kommt das? Als Umweltministerin haben Sie doch nicht viel zu lachen.

Ich bin ein positiver Mensch. Der Job hier ist hart genug. Wenn ich den ganzen Tag sauertöpfisch rumlaufen würde, wäre damit niemandem geholfen.

Aber Ihr erstes Jahr als Ministerin klingt wie ein Horrortrip: Sie mussten das Klimaziel kassieren und wurden von der eigenen Parteispitze abgewatscht, als Sie einen CO2-Preis vorgeschlagen haben. In Brüssel mussten Sie gegen Ihren Willen für lasche CO2-Grenzwerte stimmen, das Agrarministerium hat sich bei der Genehmigung von Glyphosat über Sie hinweggesetzt.

Sie übertreiben bewusst mit Ihrer Beschreibung, nehme ich an. Als ich vor einem Jahr das Umweltministerium übernommen habe, wusste ich, dass es nicht einfach wird, aber meine Bilanz sieht ganz anders aus.

Das haben wir uns fast gedacht.

Wir als SPD haben die Strukturwandelkommission durchgesetzt und damit den Kohleausstieg organisiert. Wir wollten es nicht wie Jamaika am grünen Tisch machen, sondern die Betroffenen einbeziehen. Auch wenn es vorher niemand geglaubt hat: Es gibt nun ein gutes Ergebnis. Wir können uns jetzt endlich der internationalen Allianz der Kohleausstiegsländer anschließen, der Powering Past Coal Alliance – was ich in die Wege leiten werde.

Und nicht nur das: Deutschland ist weltweit das erste Land, das gleichzeitig aus Atom und aus Kohle aussteigt. Wir bekommen das hin, ohne dass hier die Gelbwesten marschieren. Das ist ein Riesenerfolg der Großen Koalition. Dass darüber so hinweggegangen wird, finde ich nicht richtig.

50, ist seit einem Jahr Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Bis 2017 war die gebürtige Düsseldorferin Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen und danach dort SPD-Generalsekretärin.

Den Kohlekompromiss gibt es seit sechs Wochen. Aus der Union wird er schon wieder in Frage gestellt, RWE baggert weiter – wann wird aus den Empfehlungen der Kommission konkrete Politik?

Es liegt noch viel Arbeit vor uns, na klar, und Gesetze brauchen Zeit. Wichtig ist, dass wir uns in der Koalition einig sind, die Vorschläge so schnell wie möglich umzusetzen. Das Stärkungsgesetz für die Kohleregionen soll noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Und die Abschaltungen der Kraftwerke werden so umgesetzt, wie es der Kompromiss vorsieht.

Der nächste große Konflikt ist Ihr Klimaschutzgesetz. Die Union läuft dagegen Sturm.

Da gab es den einen oder anderen, der ein bisschen emotional reagiert hat. Dabei ist es ja eigentlich keine Überraschung, dass ich ein Klimaschutzgesetz vorlege, wenn im Koalitionsvertrag steht, dass wir 2019 ein Klimaschutzgesetz verabschieden. Da muss die Union mitarbeiten, und das tut sie auch. Sie ist ja nicht blind und sieht, was auf der Welt passiert und dass wir internationale Verpflichtungen haben.

Von außen wirkt es nicht so, als würde die Union mitarbeiten. Die sagt: So steht das nicht im Koalitionsvertrag, so machen wir das nicht.

Die Union selber hat in den Koalitionsverhandlungen darauf Wert gelegt, dass die Fachminister in ihren Ressorts ihre Kompetenzen behalten, dass es kein Superumweltministerium gibt. Genau das steht im Entwurf meines Klimaschutzgesetzes. Fachlich bleiben die Ressorts zuständig. Dass wir in der EU Geld zahlen müssen, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen, auch das ist komplett überraschungsfrei, das steht seit vielen Jahren fest. Und dass das nicht aus dem Umweltetat finanziert werden kann, sondern aus den Etats der betroffenen Ministerien kommen muss, ist auch völlig klar.

Der Fraktionsvize der Union, Georg Nüßlein, hat das in der taz abgelehnt. Steht wenigstens die Kanzlerin an Ihrer Seite?

Die Beschlüsse der Koalitionsspitzen von Donnerstagabend begrüße ich jedenfalls sehr. Neben der großen Zukunftsaufgabe Digitalisierung, für die es das Digitalkabinett gibt, hat der Klimaschutz nun im Klimaschutzkabinett den geeigneten Steuerungsort gefunden.

Aber aus den problematischen Ministerien Verkehr und Bauen kommt bisher nichts. Oder haben Sie schon deren Konzepte gesehen?

Ich denke, dass aus der Kommission im Verkehr gute Vorschläge kommen werden, auch das Bauministerium wird liefern. So gern ich mich mit meinen Kollegen dabei reibe, will ich auch sagen: Die Aufgabe ist nicht trivial, die da ansteht. Das sind komplexe, schwierige Fragen, die nicht mit einem Fingerschnippen zu erledigen sind. Wir müssen sehen, was funktioniert und auch, was sozial fair ist. Klimaschutz darf zum Beispiel die Mieten nicht hochtreiben.

Wenn Ihr Gesetz blockiert wird, scheitert dann die Koalition?

Wir sind angetreten, um in dieser Koalition erfolgreich zu sein. Dafür muss man verhandeln, nicht drohen. Die Koalitionsspitzen haben jetzt erneut klargemacht, dass wir in 2019 alles Notwendige zur Umsetzung der Klimaschutzziele 2030 verabschieden werden. Mein Entwurf liegt auf dem Tisch. Sollte jemand bessere Vorschläge haben, nur zu!

Wie schwierig ist eigentlich die Zusammenarbeit im Kabinett, wenn der Verkehrsminister sorglos mit Fakten umgeht und die Agrarministerin Sie bei der Zulassung von Glyphosat einfach übergeht?

Wer Fakten verdreht, auf den fällt das selbst zurück. Und die umstrittene Genehmigung von Pflanzenschutzmitteln ist ein klarer Verstoß gegen die Regeln. Darüber wird noch zu reden sein. Das wird auf Dauer keinen Bestand haben.

Auch aus Ihrer eigenen Partei gab es Gegenwind. Olaf Scholz hat Sie im Regen stehen lassen, als Sie eine CO2-Abgabe forderten. Und Parteichefin Nahles hat Klimaschützer mit Klimaleugnern verglichen. Wie groß ist Ihr Rückhalt in der SPD?

Olaf Scholz und Andrea Nahles haben beide gesagt, wie wichtig sie das Klimaschutzgesetz finden und dass sie es unterstützen. Beide haben sehr deutlich gemacht, dass wir handeln müssen – auch im Koalitionsausschuss. Es stimmt einfach nicht, dass es da einen Keil zwischen uns gibt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Ist die SPD jetzt plötzlich eine Öko-Partei?

Umwelt gehört zum Profil der SPD, seit Willy Brandt den blauen Himmel über der Ruhr gefordert hat. Wir sind die einzige Partei, die Umwelt und Soziales gleichzeitig in den Blick nimmt und Wege aufzeigt, wie Klimaschutz und Arbeitsplätze zusammengehen. Es kann nicht sein, dass sich die Reichen von den Folgen des Klimawandels freikaufen und die Armen die Leidtragenden sind. Das ist ein zutiefst soziales Thema und eine riesige Herausforderung für klassische Industriepolitik. Wie schaffen wir es, das erste CO2-freie Stahl- oder Chemiewerk in Deutschland zu bauen? Darum kümmert sich nur die SPD.

Die Bilanz von auch sozialdemokratischer Umweltpolitik ist aber, dass seit zehn Jahren die CO2-Emissionen kaum sinken.

Wir regieren nicht allein. Und nicht mit den Grünen, vielleicht wäre da manches einfacher. Aber für Rot-Grün gab es keine Mehrheit.

Derzeit regt sich in der Gesellschaft mehr als in der Regierung: Umfragen zeigen breite Mehrheiten für Klimaschutzmaßnahmen, Schülerinnen und Schüler gehen auf die Straße, Forscher unterstützen sie. Die Politik dagegen wirkt immer noch wie im Abwehrmodus gegenüber ernsthaftem Klimaschutz.

Ich sehe das anders. Es ist nicht trivial, gleichzeitig aus Kohle und Atom auszusteigen, Netze zu erweitern, Erneuerbare auszubauen und alles auf Strom umzustellen, im Verkehr, in der Industrie. Es ist schnell gefordert: Macht doch morgen mal die Kohlekraftwerke aus! Aber das geht nicht so schnell. Wir wollen ja auch nicht abhängig sein vom Atomstrom unserer Nachbarn. Wir müssen zeigen, dass das besser geht.

Sie finden die SchülerInnen-Proteste naiv?

Ganz im Gegenteil. Erst mal finde ich es klasse, dass sich da junge Menschen politisch artikulieren. Es zeigt, dass das nicht eine Generation ist, die nur am Handy daddelt und sich für nichts interessiert. Und für den Klimaschutz ist das auf jeden Fall Rückenwind, weil es das Thema sehr stark in der öffentlichen Diskussion hält.

Was ich nicht teile, ist die Ansicht, dass überhaupt nichts passiert. Das stimmt einfach nicht, die Bundesregierung befindet sich auf dem richtigen Pfad: Wir haben die Ergebnisse der Kohlekommission. Wir haben einen Koalitionsvertrag, der klar sagt, dass wir handeln werden. Wir werden ein Klimaschutzgesetz verabschieden. Bei der Klimakonferenz in Kattowitz hat die Weltgemeinschaft ein Regelwerk vereinbart. Kurz: Wir können umsteuern und tun das auch. Ich will, dass wir das den jungen Leuten auch beweisen.

Aber der Erfolg steht vor allem auf dem Papier. Die Klimapolitik hangelt sich von Erfolg zu Erfolg – und die Emissionen steigen. Die Situation wird nicht besser, sondern schlechter.

Das ist ja genau die Kritik, die ich auch teile. Wir müssen aufhören, über Ziele nur zu reden, sondern ihre Umsetzung sicherstellen. Deshalb will ich dieses Klimaschutzgesetz. Das will ich ja nicht als Profilierung für mich. Ich will, dass sich niemand mehr in die Büsche schlagen kann. Es muss eine Verbindlichkeit geben, mit der für die nächsten Generationen festgeschrieben wird, welchen Weg wir gehen. Ich will eine Mechanik, die auch kommende Regierungen bindet, Schritt für Schritt CO2 zu reduzieren.

Die Fridays-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg sagt an die Adresse der Politik, also auch an Sie: Ich will, dass ihr Panik bekommt!

Es ist normal, dass wir unterschiedliche Sichtweisen haben. Ich bin ja keine Schülerin, sondern die amtierende Umweltministerin. Und deshalb sage ich ganz klar: Politisch können wir uns Panik nicht leisten. Sie führt eher dazu, erstarrt dazusitzen und nicht zu handeln. Wir können aber noch handeln und ich will, dass wir handeln.

Die Politik sitzt aber ohne Panik bisher da und handelt nicht.

Solche Pauschalvorwürfe an „die Politik“ sind mir zu einfach. Ich plädiere dafür, etwas genauer hinzuschauen, wer vorantreibt und wer blockiert beispielsweise. Mich besorgt das wirklich sehr, wenn junge Menschen mir sagen: Das bringt doch alles nichts, ihr Alten hinterlasst uns eine marode Erde. Ich plädiere für etwas mehr Differenziertheit und Zuversicht. Politik ist kompliziert, vor allem wenn es um globale Problemlösungen geht, aber wir kommen voran.

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