Pussy-Riot-Musikerinnen über Russland: „Wir können uns nicht ausruhen“
Russland hat ein großes Problem mit aktiven Frauen, sagen zwei Musikerinnen von Pussy Riot. Sie sind inkognito auf Welttour und sprechen über ihren Protest.
taz: Die britische Zeitung Guardian bezeichnet Sie als die gefährlichste Band der Welt dieser Tage.
Pussy Riot: Na ja. Was stimmt, ist, dass der russische Staat ziemliche Angst vor uns hat.
Angst vor einer einzelnen Künstlerinnengruppe? Das versteht sich jetzt nicht von selbst.
Wenn Künstler sich auf die wunden Punkte in einer Gesellschaft stürzen, wenn sie die allgemeine Denkweise ändern wollen, dann kann das schon gefährlich werden.
Haben Sie damit gerechnet, dass Sie womöglich ins Gefängnis müssen, wenn Sie Ihr „Punkgebet“ in einer Kirche aufführen?
Nein. Wir wussten natürlich, dass das nicht allen gefallen wird. Aber da nie jemand bei unseren Aktionen zu Schaden gekommen ist, kam diese Härte völlig überraschend. Solche „Einbrüche“ in den öffentlichen Raum wurden bislang als Ordnungswidrigkeiten behandelt. Dafür gab es Geldstrafen. Für unsere Aktion in der Kirche wären 1.000 Rubel, ungefähr 30 Euro, normal gewesen.
Seit einigen Wochen sind zwei Mitglieder der Band Pussy Riot auf Tour. Berlin war nach Helsinki, New York, London, Brüssel und Paris ihre sechste Station. Die Frauen trafen PolitikerInnen, AktivistInnen und MusikerInnen wie Patty Smith. Mit ihnen allen verständigten sie sich darauf, dass ihre Identität nicht preisgegeben wird – wie auch in diesem Interview. Fragen zu sich als Privatperson beantworteten sie nicht.
Hat diese Reaktion mit den neuen Protesten in Russland zu tun?
Auch. Aber vor allem ist Russland ein machistisches Land mit einem sehr chauvinistischen Anführer. Wenn da eine feministische Gruppe auftaucht und das System kritisiert, Putin selbst interessiert uns ja nicht so, dann erschrecken er und seine Entourage sich natürlich.
Aber Sie sind doch nicht die ersten Feministinnen in Russland. Das Establishment muss solche Positionen ja nicht mögen, aber doch kennen.
Natürlich haben wir hier feministische Künstlerinnen, auch Punkmusikerinnen. Aber wir sind die ersten, die Feminismus, Politik und Kunst miteinander verbinden, unsere Videos auf Youtube posten und damit viele erreichen. Das ist neu. Und in Russland hat man inzwischen ein großes Problem mit aktiven Frauen. Einerseits werden wir zunehmend unterdrückt, andererseits schreibt man uns eine große Kraft zu. Deshalb muss man uns bei jeder Abweichung auf unseren Platz verweisen.
Wer unterstützt Sie in Russland?
Wir sind in so vielen Bereichen unterwegs, Kunst, Musik, Protest, dass ganz verschiedene Leute etwas bei uns finden. Es gibt auch einige Geistliche, die uns unterstützen …
… aus der orthodoxen Kirche?
Genau. Und dann einzelne Bürger, die von den Entwicklungen schockiert sind. Und natürlich andere AktivistInnen.
Haben Ältere mehr Schwierigkeiten mit Ihnen als Jüngere?
Es gibt einen Generationenkonflikt, klar. Unter Studierenden ist es mittlerweile irgendwie „in“, gegen das System zu sein.
Fühlen Sie sich in dieser Szene aufgehoben?
Nein, die Kritik geht nicht besonders tief. Wir fühlen uns eigentlich nirgendwo aufgehoben.
Wie hält man das aus?
Indem man das tut, was wir tun: protestieren.
Und nationale Protestgrößen wie der Jurist und Blogger Alexej Nawalny – unterstützt er Sie?
Nein. Unsere Aktion auf dem Roten Platz in Moskau „Putin hat Schiss“ fand er gut, aber mit dem „Punkgebet“ hatte er Schwierigkeiten. Das war zu nonkonform. Außerdem lehnen wir Nationalismus strikt ab, und Nawalny hat sich mit den rechten Gruppen verbrüdert. Nationalismus ist eine ganz wichtige Trennlinie unter den Regimekritikern. Und von wegen Alter: Gerade die jungen Nationalisten gehen am schärfsten gegen Leute wie uns vor. Und auch unter den Ultraorthodoxen sind die eifrigsten die Jungen.
Blieben noch die Frauen – können Sie da mit etwas mehr Solidarität rechnen?
Wir zählen uns zum Third-Wave-Feminismus. Das biologische Geschlecht ist für uns nicht wichtig, sondern die politische Haltung. Im Moment bringen gerade Frauen in der Duma Vorschläge ein, die die Situation von Frauen verschlechtern. Das Abtreibungsgesetz ist massiv verschärft worden. Eine aktuelle Initiative zielt darauf, dass die Familie drei Kinder haben muss und Frauen, die bis zu ihrem 23. Lebensjahr noch kein Kind geboren haben, demnächst Strafe zahlen sollen.
Wenn das biologische Geschlecht nicht im Vordergrund stehen soll, warum sind Sie dann eine reine Frauengruppe?
Sobald in unserem Land ein Mann auftaucht, schreiben ihm die Leute eine Führungsrolle zu. Das kam also nicht infrage.
Was ist jetzt Ihre Strategie?
Solange zwei von uns noch inhaftiert sind, können wir keine Performances mehr machen. Das wäre zu gefährlich für sie. Außerdem wurden jetzt lauter Gesetze verabschiedet, die sich direkt gegen uns wenden. Das Vermummungsgesetz wurde verschärft: Bunte Hasskappen, wie wir sie tragen, sind nun verboten. Religiöse Gefühle der Orthodoxen zu verletzen ist verboten. Wenn du in deinem Blog schreibst, Gott gibt es nicht und Schwulsein ist okay, machst du dich strafbar. Wir gelten als „Extremisten“, und auch das Extremismusgesetz – Stichwort Landesverrat, Hochverrat – wurde verschärft. Wir sind umzingelt von neuen Gesetzen.
Wie also machen Sie weiter?
Erst mal auf juristischem Weg. Wir klagen gegen das Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Außerdem gab es bei dem Urteil so viele Verfahrensfehler, dass wir gute Chancen haben müssten, dass es schon aus formalen Gründen aufgehoben wird. Dann haben wir noch einen Fonds gegründet, um Feministinnen in Russland finanziell zu unterstützen.
Was halten Sie eigentlich von den Performances von Femen?
Wir verfolgen ihre Aktionen natürlich. Aber wir setzen ja gerade nicht auf Enthüllung, sondern auf Verhüllung. Und zwar nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch weil wir gegen die Vermarktung des weiblichen Gesichts und Körpers sind.
Aber Sie tragen doch auch hautenge Kleider.
Bei uns entscheidet jede Frau selbst, wie sie ihren Körper zeigen möchte. Den Zwang, seinen Busen zu entblößen wie bei den Femen, lehnen wir ab. Wir lehnen Uniformierung ab. Aber klar, jeder soll sehen, dass wir junge Frauen sind, aber eben queere Frauen, die sich nicht in die Schubladen „männlich“ oder „weiblich“ einsortieren lassen.
Dem Queerfeminismus wird häufig ökonomische Blindheit vorgeworfen. Welche Rolle spielt Kapitalismuskritik für Sie?
Bei uns gilt ja alles, was es in der Sowjetunion gab, als schlecht. Linkssein sowieso. Wir aber bezeichnen uns als links. Früher hat sich niemand über Arztrechnungen Gedanken gemacht, die Versorgung war gut und kostenlos. Jetzt überlege ich mir dreimal, ob ich mir einen Arzt leisten kann. Das Gleiche gilt für das Bildungssystem und für die Stellung der Frau. Die war in der Sowjetunion nicht gut, aber viel besser als jetzt.
Woher kommt dieser Rückschritt?
Sobald die Liberalen oder Linken sich entspannen und denken, ihnen kann nichts mehr passieren, verlieren sie das eroberte Terrain wieder. Das gilt nicht nur für Russland, auch in den USA steht in manchen Staaten das Recht etwa auf Abtreibung massiv unter Beschuss. Deswegen ist es so wichtig weiterzukämpfen. Wir können uns nicht ausruhen. Wir müssen das Erbe sichern, aber unsere Generation hat das noch nicht verstanden. Sexismus ist ein ganz lebendiger Mechanismus, weltweit.
Was wünschen Sie sich von Ihren internationalen UnterstützerInnen?
Dass unsere Themen unabhängig vom russischen Kontext weiterentwickelt werden. In London erschien gerade das Buch „Let’s start a Pussy Riot“ mit Beiträgen von mehr als 60 Künstlerinnen. Eine der wichtigsten Erfahrungen unserer Tour war, dass wir viele Probleme gemeinsam haben. Wir wünschen uns, dass ein riesiges Netzwerk entsteht. Wir dürfen nicht nachlassen! Wir dürfen die nicht vergessen, die für unsere Rechte gekämpft haben! Und auch nicht, dass Nadeschda und Marija noch im Gefängnis sind.
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