Linke-Politikerin über Rot-Grün in Hessen: „Tolerierung ist möglich“
Eine Zusammenarbeit mit Rot-Grün könne klappen, sagt die Linke Janine Wissler. Selbst die neue Landebahn am Frankfurter Flughafen sei kein Hindernis.
taz: Frau Wissler, nach der Wahl vom Sonntag hat Schwarz-Gelb im Hessischen Landtag keine Mehrheit, Rot-Grün auch nicht. Kommt jetzt Rot-Rot-Grün?
Janine Wissler: Der Ball liegt bei der SPD, sie muss überlegen, was sie möchte. Für die Linke ist regieren kein Selbstzweck, wir wollen einen Politikwechsel. Wenn wir Kompromisse eingehen, dann müssen sie in die richtige Richtung gehen.
Sie müssten fürs Mitregieren Opfer bringen.
Wieso sollen wir etwas opfern? Viele Menschen finden unsere Positionen wichtig und haben uns darin bestätigt. Wir haben ein gutes Wahlprogramm und wollen so viel wie möglich davon umsetzen.
SPD und Grüne machen Ihre Forderung nach der Schließung der neuen Landebahn am Frankfurter Flughafen zu einem Ausschlusskriterium.
Sozialdemokraten und Grüne rücken doch selbst von den Ausbauplänen ab und sind gegen den Bau des Terminals 3. Wenn man dieses nicht baut, kann man auch die neue Landebahn stilllegen, weil man die gar nicht braucht. Wir haben die paradoxe Situation, dass der Flughafen mit vier Pisten weniger Flugbewegungen abfertigt als mit drei, aber deutlich mehr Lärm macht. Und ich weiß, dass viele Mitglieder von SPD und Grünen genau unsere Position vertreten.
32, Politologin aus Frankfurt/Main, seit 2009 Chefin der Linken-Fraktion im Hessischen Landtag. Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl, Ergebnis: 5,2 Prozent.
Aber die Beschlüsse der Parteispitzen von SPD und Grünen sind klar: Niemand will die Landebahn stilllegen.
Dann müssen SPD und Grüne erklären, wie sie die Gesundheit der Menschen sonst schützen wollen. Sollen Hunderttausende umgesiedelt werden?
Würde die Linke sich mit der Schuldenbremse arrangieren?
Wir haben es in den letzten Jahren nicht mit steigenden Ausgaben, sondern mit sinkenden Einnahmen zu tun. Deshalb wäre die beste Schuldenbremse eine vernünftige Besteuerung von hohen Vermögen. Wir beteiligen uns nicht an einer Regierung, die eine Politik des sozialen Kahlschlags, der Privatisierung oder des Stellenabbaus vorantreibt, nur um die Schuldenbremse einzuhalten.
Also Schuldenbremse ja, aber nur mit Steuererhöhungen?
Wir lehnen die Schuldenbremse weiterhin ab. Aber natürlich ist es schwer, diese wieder aus der Verfassung herauszukriegen, dort hinein ist sie per Volksabstimmung gekommen. Wir wollen jedenfalls eine stärkere Besteuerung von Reichtum.
Ist denkbar, dass die Linke Rot-Grün toleriert wie in NRW?
Ich schließe eine Tolerierung nicht aus.
Ist das nicht Blödsinn? Entweder Sie stimmen bei allem zu, ohne in der Regierung zu sein – oder Sie lassen sie platzen.
Das glaube ich nicht. Nehmen Sie die Situation 2008 in Hessen, das hat die Demokratie vorangebracht. Das Parlament war wesentlich spannender, weil man vorher oft nicht wusste, wie eine Abstimmung ausgeht.
SPD und Grüne haben gegen die Linke Wahlkampf gemacht. Ist da eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich?
Sicher stärkt dies nicht das Vertrauen oder die Zusammenarbeit. Aber es geht hier nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um politische Inhalte.
Die Linke sitzt in fast keinem westdeutschen Parlament mehr. Was hat Ihre Partei in Hessen anders, vielleicht besser gemacht als in anderen West-Ländern?
Wir sind auch vom Bundestrend abhängig, und die Linke in NRW zum Beispiel hatte das Pech, dass wir damals in den Bundesumfragen schlecht standen. Dazu haben uns die Piraten etliche Wählerstimmen gekostet. Bundespolitisch ist die Stimmung jetzt aber besser. Und wir hatten in Hessen fünf Jahre Zeit, uns landespolitisch aufzustellen und uns zu profilieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?