Krise im Ruhrgebiet: Glück auf, Glück unter
Opel will keine Autos mehr bauen, ThyssenKrupp ist in Schwierigkeiten. Was wird aus Bochum, wenn das letzte Stahlwerk schließt?
BOCHUM taz | Ein Lächeln, das irritiert. Wer Bochumer auf die drohende Schließung der Opel-Werke anspricht, erntet oft dieses Lächeln. Etwas süffisant, mitleidig. „Seit Jahren ist doch klar, dass Opel dichtmacht“, sagt ein Mann in den Dreißigern, der Opel-Arbeiter im Freundeskreis hat.
„Die Opelaner bekommen alle hohe Abfindungen“, stellt eine Pizzabäckerin an der Hattinger Straße klar. Auch in Kneipen sind die „Spitzenlöhne“ bei Opel ein Thema. In Bochum, das seit über 50 Jahren im Strukturwandel steckt und wo die letzte Zeche schon 1973 verschwunden ist, wächst der Sozialneid.
Ulrike Kleinebrahm kennt dieses Lächeln, diese Sprüche. „Eine Gesellschaft, die so tickt, ist krank“, sagt sie. Kleinebrahm ist Chefin der Bochumer IG Metall, ihr Büro liegt im „Jahrhunderthaus“. Das hat die Gewerkschaft 2004 in den Stadtteil Stahlhausen bauen lassen. Die Faustform des Hauses soll an das Symbol der IG Metall, die schützende Hand, erinnern. Auf dem Dach weht trotzig die rote Fahne der Gewerkschaft.
Park statt Stahlwerk
Mit dem Jahrhunderthaus ist Ulrike Kleinebrahm umgeben von Symbolen für schwere Arbeit und deren Niedergang: Ein paar Meter weiter in der Alleestraße produziert der 1854 gegründete Bochumer Verein Radsätze für die Bahn. Das dazugehörige Stahlwerk ist längst verschwunden – ein Großteil des Geländes ist heute ein öffentlicher Park. Die Jahrhunderthalle, in der die Hochöfen einst angeblasen wurden, diente als einer der zentralen Veranstaltungsorte des Kulturspektakels „Ruhr 2010“.
Mit dem Mythos von den „spitzenmäßig“ bezahlten Opel-Arbeiter kann die IG-Metall-Mitarbeiterin schnell aufräumen: Die Tariflöhne der Industriearbeiter bei Opel seien ordentlich, aber nicht überdimensioniert. Ungelernte verdienen bei dem Autohersteller um 2.000 Euro brutto im Monat, Facharbeiter können es in „Entgeltgruppe 10“ auf bis zu 2.748,50 Euro bringen. Hinzu kommt eine Prämie von rund 10 Prozent.
Ulrike Kleinebrahm blickt mit Sorgen auf das Jahr 2016. Denn dann soll nicht nur die Fahrzeugproduktion bei Opel mit ihren aktuell noch immer über 4.000 Arbeitsplätzen eingestellt werden – nach Schätzungen des Betriebsrats hängen in ganz Nordrhein-Westfalen bis zu 40.000 weitere Jobs an dem Werk. Die Industrie- und Handelskammer des mittleren Ruhrgebiets spricht von 20.000.
„Warme Phase“ verkauft
Bedroht ist aber auch Bochums letztes verbliebenes Stahlwerk: Den Verkauf der „warmen Phase“ – also der eigentlichen Stahlherstellung – an den finnischen Edelstahlproduzenten Outokumpu hat ThyssenKrupp besiegelt. 2015 soll es eine „Wirtschaftlichkeitsprüfung“ geben. Sollte Outokumpu das Werk dann dichtmachen, wäre auch die Weiterverarbeitung, die ThyssenKrupp in Eigenregie fortführen will, nicht mehr gesichert. Auf dem Spiel stehen abermals 3.000 Arbeitsplätze.
An das vollständige Aus für das Stahlwerk will Ulrike Kleinebrahm im IG-Metall-Haus gar nicht denken. „Die Autokrise ist schon schlimm genug.“ Sie redet stattdessen über die „erweiterte Mitbestimmung im Stahl“ und davon, dass „ohne die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter gar nichts geht“. Die erfahrene Gewerkschafterin weiß, was eine Werkschließung für die Beschäftigten bedeutet – als der Telefonhersteller Nokia 2008 fluchtartig Bochum verließ, hat Kleinebrahm verhandelt. „Gute Chancen hatten die Ingenieure“, erinnert sie sich.
Schlimm kam es für die vielen angelernten ArbeiterInnen in Produktion und Verpackung: Ungefähr 500 von ihnen sind heute noch– oder schon wieder – arbeitslos. Anderen blieb nur eine prekäre Beschäftigung: befristete Stellen, Leiharbeit, 400-Euro-Jobs.
Worst Case?
Auch Luidger Wolterhoff will sich den Worst Case nicht vorstellen. Der Leiter der Bochumer Agentur für Arbeit sitzt im grauen Businessanzug in einem rot verklinkerten Bürogebäude. Bis 1958 förderte hier die Zeche Dannenbaum Kohle, heute verläuft vor der Tür die Universitätsstraße – die Hochschule ist mit ihren 35.000 Studierenden und 6.000 Arbeitsplätzen längst der größte Arbeitgeber der Stadt.
Wolterhoff formuliert betont positiv: Über die Lage des ThyssenKrupp-Konzerns, der mit Fehlinvestitionen in Stahlwerke in Brasilien und den USA gerade 5 Milliarden Euro verloren und den halben Vorstand gefeuert hat, will er „nicht spekulieren“. Unklar sei, wie viele Arbeitsplätze bei Opel verschwinden werden – schließlich verspricht der kommissarische Vorstandsvorsitzende Thomas Sedran, der Autohersteller werde mit einem Logistikzentrum und einer „Komponentenfertigung“ im Ruhrgebiet bleiben.
Lieber verweist Wolterhoff auf die relativ geringe Bochumer Arbeitslosenquote von aktuell 9,5 Prozent – in den Nachbarstädten Dortmund und Essen beträgt sie über 12 Prozent. Ein Schlag für die Stadt und die ganze Region wäre die gleichzeitige Schließung von Autofabrik und Stahlwerk aber schon, räumt der Arbeitsamtschef dann doch ein.
Auf dem Briefkasten eine leere Schnapsflasche
„Keine Katastrophe herbeireden“ will auch Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz. Sie kennt die Gerüchte, ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger verliere das Interesse an der Stahlproduktion insgesamt. Vor dem Rathaus steht die 15 Tonnen schwere Glocke, die der Bochumer Verein 1867 für die Weltausstellung in Paris gegossen hat, auf dem Briefkasten der Stadt eine leere Schnapsflasche.
Sozialdemokratin Scholz empfängt in ihrem Dienstzimmer. Teppiche dämpfen den Schall, die Wände sind mit schwerem Holz vertäfelt. Nein, ihre Verwaltung habe „keinen endgültigen ’Plan B‘ “ in der Tasche, mit dem die Schließung der Opel-Werke problemlos aufgefangen werden könnte, gesteht Scholz ein. Vom Ende der Fahrzeugproduktion hat sie aus der Presse erfahren, den amtierenden Opel-Chef Sedran kennt sie wie seinen Vorgänger Karl-Friedrich Stracke persönlich nicht. Letztlich fielen die Entscheidungen in der Zentrale des Opel-Mutterkonzerns General Motors in Detroit, erklärt die Oberbürgermeisterin.
Lieber spricht Ottilie Scholz über die „sieben Hochschulen“, die mittlerweile ihren Sitz in Bochum haben. Hoffnung setzt sie insbesondere auf die 2009 gegründete Hochschule für Gesundheit – die Zukunft der Stadt soll im Kompetenzcluster Gesundheitswirtschaft liegen. Schon heute arbeiteten mehr als 100 Unternehmen in diesem Bereich. Neben der Ruhr-Universität entsteht gerade der neue „Gesundheitscampus“.
„Ein Teil der Zukunft“ könne der Campus sein, bestätigt der Verwaltungswissenschaftler Jörg Bogumil, der in Bochum studiert hat und heute dort lehrt – noch aber werde das seit Jahren vor sich hin dämmernde Projekt von Scholz’ Verwaltung „schlecht vermarktet“. Viel zu lange sei im Ruhrgebiet auf großindustrielle Strukturen gesetzt worden, viel zu lange habe man sich nicht ausreichend „um den Mittelstand bemüht“.
Industrieller Kern Nordrhein-Westfalens ist das Ruhrgebiet deshalb schon längst nicht mehr: Im Revier arbeitet nur noch jeder Fünfte in der Industrie – im mittelständisch geprägten Südwestfalen liegt die Quote bei 37 Prozent. Was bleibt, sind Jobs im Dienstleistungssektor – doch dass die oft „prekär und schlecht bezahlt“ sind, weiß Bogumil auch.
Koffer mit Geld
Noch betreten Tausende täglich die Bochumer Opel-Werke. Der Betriebsratsvorsitzende Rainer Einenkel ist selbst seit 40 Jahren bei Opel, er kann direkt von seinem Büro aus auf Tor 1 des Hauptwerks sehen. Er weiß, wie gern General Motors sie loswerden will. Noch verhandelt der Gesamtbetriebsrat mit dem Opel-Vorstand über den Bestand aller Werke. „Die wollen uns aus den Verhandlungen herauskaufen. Die haben die Koffer mit Geld in der Hand“, sagt Einenkel.
Vom Einfluss der Politik redet der Betriebsratschef wenig. Er setzt auf die Solidarität der Bochumer, des gesamten Reviers. Im Frühjahr soll ein vom Betriebsrat organisiertes Fest zum 50-jährigen Jubiläum der Opel-Werke Mut machen. Denn das Management fürchtet nichts mehr als die Bilder von Tausenden, die sich für den Erhalt der Arbeitsplätze bei Opel starkmachen. Die zuletzt für Dezember geplante Jubiläumsfeier hat der Vorstand mehrfach abgesagt – offiziell aus Sicherheitsgründen.
Opel will den einstigen DKP-Mann Einenkel schnellstens loswerden. Schon der alte Chef Stracke habe ihm eine großzügige Vorruhestandsregelung angeboten, berichtet der Betriebsrat. Es gebe doch mehr als Opel, habe Stracke gesagt. Der 58-Jährige ignoriert die für 2016 angekündigte Schließung: „Ich will noch sieben Jahre bei Opel bleiben. Bis zur Rente.“
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