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Kommentar FriedensnobelpreisEine grausame Entscheidung

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Die Entsorgung der Chemiewaffen wird in Syrien keinen Frieden bringen. Aber sie hilft Assad, seinen Krieg gegen die Zivilbevölkerung fortzusetzen.

Kinder in Aleppo am 13. September. Bald kommt der Winter. Bild: dpa

A lle sind zufrieden: Der Nobelpreis für das Anti-Chemiewaffen-Komitee der UNO ist prima, diesmal habe Oslo wieder die Richtigen erwählt. Thema abgehakt. Doch die Entscheidung hat Konsequenzen, und die sind blutig.

Die einsetzende Zerstörung von Chemiewaffen befördert den Frieden in Syrien nicht. Im Gegenteil. Die Auszeichnung für die UN-Inspektoren kommt einem der größten Warlords dieser Tage zugute: Baschar al-Assad. Indirekt zeichnet Oslo nämlich ihn aus, immerhin arbeite er so prima mit der Kommission zusammen. Und lässt unterdessen fleißig weiter bombardieren, und zwar nicht nur Rebellenstützpunkte, sondern Schulen, Krankenhäuser, Bäckereien und Wohngebiete.

Das Internationale Rote Kreuz wird nicht müde, auf die humanitäre Katastrophe in Syrien hinzuweisen und auch darauf, dass Assad Hilfsgüter nach Gutdünken an seine Anhänger verteilt. Auch das ist ein Verstoß gegen die Genfer Konvention, sie kümmert den Westen aber nicht.

Doch selbst wenn man sich nicht für die Lebenden interessiert, sondern dabei bleibt, Tote zu zählen, selbst dann stehen 100.000 konventionell Getötete (Aktivisten gehen inzwischen von 140.000 Toten aus) rund 1.400 Giftgasopfern gegenüber. Nur über Letztere zu sprechen, geht an der Situation also brutal vorbei.

Und die Lage wird immer schlimmer. Assad setzt längst nicht mehr auf Gas, sondern auf Hunger und Kälte. Quasi auf Biowaffen, wie auf Webseiten der Assad-Gegner bitter gescherzt wird. Diese werden weiteren Tausenden das Leben nehmen: Denn der nächste Winter steht bevor, und es fehlt an allem, auch an Brot und Brennmaterial. Viele haben ihre Holzmöbel schon 2012 verheizt. Die Zeit arbeitet für Assad – und der Westen mit seiner Fixierung auf die Chemiewaffen schenkt sie ihm.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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9 Kommentare

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  • KS
    Kritische Stimme

    Es began vor 2,5 Jahren in Syrien als Geheimoperation von US+UK+FR+DE+Israel.Syrische Waehler wurden bezahlt um gegen Assad zu stimmen+Aufstaendische wurden trainiert,bewaffnet,finanziert.Elitetruppen+Geheimagente aus US+EU wurden aktiv in Syrien.Syriennachbarlaender wurden bestochen.Europaeische Presse wurde getaeuscht oder gekauft.Dies Alles ist eine klare Verletzung von internationalem Recht,Art 2 Ziffer 4 UN Charta.Das Resultat 6 mio Opfer wovon 100.000 Tote. Christen in Syrien werden v/d Aufstaendischen Islamisten gejagt Als durch ein Wunder haben gute russische Diplomatie und mahnende moralische Worte von Papst Franziskus massive Bombenangriffe gestoppt.Inzwischen sind die Angreiferstaaten ueberall bekannt geworden+versuchen von ihrem Tat abzulenken.Ein Internationaler Hof kommt nicht in Anspruch fuer diese Staatsoberhaeupte weil der Hof gerade von diesen Laendern bezahlt wird,ein noch nicht reorganisierter VN unter BanKiMoon ist auch nicht neutral genug,als bleibt vorlaeufig fuer diese Laender straffreiheit.Das NobelKomitee koennte wenigstens den NobelFriedensPreis vom Hauptagressor Obama zurueckfordern

  • Wenn die Chemiewaffen weg sein werden, wird es nicht mehr so gefährlich sein, Syrien anzugreifen...

  • KW
    Konventionelle Waffen stoppen!

    Interessanter Ansatz. Ich würde allerdings nicht zustimmen, dass Assad für eine Zusammenarbeit mit dem Anti-Chemiwaffen-Komitee indirekt ausgezeichnet wird, das erscheint mir doch als leeres Argument. Richtig ist aber, dass den durch Giftgas Getöteten die durch konventionelle Waffen Getöteten nicht gegenüberstehen, dass sie aber in der Betrachtung unterzugehen drohen und eine Fokussierung auf Chemiewaffen(vernichtung) eine Relegitimierung Assads Gewaltausübung im konventionellen Sinne bedeuten kann. Nämlich dann, wenn man vergisst, dass das Töten mit nicht-chemischen Waffen weiter geht.

  • P
    Peter

    Vielleicht ist Frau Kappert entgangen, warum sich "der Westen" so auffallend zurückhält gegenüber Assad. Denn so gern wie man über Assads Sturz Irans Position schwächen würde, so ungern würde man einen neuen islamistischen "failed state" im Nahen Osten sehen, noch dazu in unmittelbarer Nachbarschaft zu Israel. Das Beispiel Libyen, wo man den "Rebellen" den Weg freibombte und wo nun ein derartiges Chaos herrscht, daß sogar der Regierungschef kurzerhand mal entführt werden kann, ist wohl doch einigen Politikern eine Mahnung.

    Der Krieg in Syrien ist nicht militärisch zu gewinnen, weder für die "Rebellen", noch für Assad; es sei denn zum Preis einer Friedhofsruhe. Die "Rebellen" lehnen nach wie vor Verhandlungsangebote ab, und sie werden dies wohl auch weiter tun, solange Unterstützung, Geld und Waffen aus Katar, Saudi-Arabien und der Türkei kommen.

  • T
    Tema7

    Was soll nun die Aussage des Kommentars sein? Etwa in der Richtung "Sch****, jetzt haben wir keinen Vorwand mehr, über Syrien herzufallen und den nächsten Versuch einer zum Scheitern verurteilten "Arabellion" zu starten?

    Dass sich die "Rebellen" inzwischen gegenseitig bekämpfen ist Frau Kappert wohl entgangen. Dass die "Rebellen" munter foltern und morden und, vor allem auf Kosten der Zivilbevölkerung, Boden gut machen wollen ignoriert sie.

    Passt ja auch nicht zur für mich Mähr vom "edlen Wilden" (ist nicht rassistisch gemeint).

  • GS
    Günter Scholmanns

    Antwort auf "Paulibahn":

    Ich habe den Mangelzustand in Ines Kapperts Journalismus-Handhabung, in Sachen Rebellenuntaten (immerhin einen Kriegsverbrechertitel) tunlichst radikal zu verschweigen, wegen der davon ausgehenden drastischen Unerträglichkeit hier schon des Öfteren drastisch kritisiert. Nun hat letztens die taz meinen letzten Kommentar: "entfernt weil ausfallend gegen unsere Autorin geworden".

    Nun müsst Ihr anderen alleine weiter machen. Weil bei dieserart Journalismusbenutzung darf ich mich nicht beherrschen, sonst müsste ich gewollt ungenau beschreiben und dadurch sowas wie unwahr werden.

    Das sehe ich aber ausdrücklich nur für mich so, und auf gar keinen Fall für jemanden von Euch! Schließlich muß weiterhin jemand gegen diese spezifizierten Wahrheiten protestieren.

  • U
    Uli

    Die Rebellen sind ja sowas wie Revolutionäre, solche

    Leute können per Definition keine bösen Menschen sein.

    Selbst wenn es sich um Massenmörder handelt, werden sich immer ein

    paar vermeintliche Wohlstandsverteilungsbenachteiligte finden,

    die sich die Massenmörderfratzen auf die T-Shirts drucken.

  • "Und lässt unterdessen fleißig weiter bombardieren, und zwar nicht nur Rebellenstützpunkte, sondern Schulen, Krankenhäuser, Bäckereien und Wohngebiete."

    das würden die rebellen natürlich nie tun, niemals!

    erst vorgestern ist ein 8jähriges mädchen in damaskus in der nähe des hotels der inspektoren durch eine granate der rebellen getötet worden. das ist mitten in damaskus, da wimmelt es von zivilisten! aber scheißegal, frau kappert. immer wenn man denkt, dass sie, frau kappert, mit ihrem letzten kommentar einen neuen tiefpunkt in sachen logik und faktenwissen präsentiert hätten, setzen sie einen drauf. respekt dafür, das ist wenigstens konsequent!

  • P
    PeterWolf

    Stimmt, so habe ich das noch gar nicht gesehen.

    Mit Chemiewaffen könnte der Krieg in Syrien natürlich schon viel früher beendet sein.

    Das die USA da nicht selbst drauf gekommen sind.

    Aber mal ernsthaft: Was soll der Rest der Welt machen, um den Krieg zu beenden, und zwar so, dass es nicht gleich wieder zu einem Terrorregime kommt?

    Ergo denkt der Rest der Welt erstmal an sich selbst und die Gefahr, dass die Chemiewaffen in die Hände der Religionsextremisten kommen und dann außerhalb Syriens eingesetzt werden.

    Und das ist sehr vernünftig und keineswegs auf Kosten der syrischen Bevölkerung gehandelt.