Kommentar Entwicklung im Irak: Isis darf nicht siegen
Was im Irak passiert, ist eine Katastrophe für die Weltgemeinschaft. Es muss über neue strategische Partnerschaften nachgedacht werden.
E s ist schwer zu sagen, welches der größere Fehler war: Die Invasion der Amerikaner in den Irak 2003? Oder der Abzug 2011 aus einem Land, dessen staatliche Ordnung nach, wegen und trotz der achtjährigen amerikanischen Besatzung im völligen Zerfall begriffen scheint?
Letztlich ist es müßig, darüber zu streiten, ob Präsident Bush schuldiger ist an der aktuellen Situation oder Präsident Obama, der vor drei Jahren den endgültigen Abzug des Militärs befahl. Was jetzt zählt – und was Anlass zu allergrößter Besorgnis sein muss –, sind die Berichte, die uns erreichen: Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht vor der scheinbar unaufhaltsam vorrückenden Isis-Miliz, einer radikalislamischen Terrororganisation, die so brutal ist, dass selbst al-Qaida die Zusammenarbeit mit ihr verweigert.
Eine Stadt nach der anderen nehmen die Terroristen ein, ohne dass die irakischen Armee nennenswerten Widerstand leistet. Im Gegenteil: Sie kapituliert und hinterlässt dem Mob modernstes, nicht zuletzt amerikanisches Kriegsgerät, das dessen militärische Schlagkraft weiter stärkt.
Was hier geschieht, ist nicht allein für die Menschen in der Region eine Katastrophe, sondern für alle Demokraten, ja die Weltgemeinschaft. Diese Katastrophe ist auch das Ergebnis der westlichen Militärinterventionen, die eben nicht dazu führen, dass Freiheit und Demokratie einziehen, sondern dass Staaten zerfallen.
USA müssen mit Iran ins Gespräch kommen
Es ist das erste Mal, dass es eine islamisch-fundamentalistisch-terroristische Gruppe über mehrere Ländergrenzen hinweg schafft, ein zusammenhängendes Territorium vom Libanon über Syrien bis in den Irak zu kontrollieren. Mit dem Ziel, unter der Führung von ultraradikalen sunnitischen Extremisten ein islamisches Kalifat zu etablieren.
Das muss die Weltgemeinschaft auf den Plan rufen. Und es muss über ganz neue strategische Partnerschaften nachgedacht werden. So schwer es den USA auch fallen mag: Sie müssen mit dem Iran intensiver ins Gespräch kommen. Israel und auch die Türkei sind in diesem Konflikt die Bündnispartner, mit denen man für ein gemeinsames Ziel kämpfen muss.
Eine Gruppe, für die grenzenlose Gewalt eine selbstverständliche Handlungsoption ist, muss unsere Regierungen zwingen, über die Schatten der Geschichte zu springen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“