Kolumne Geht's noch?: Varoufakis drückt sich
Schon wieder Varoufake! Der griechische linke Superstar tritt zur Europawahl an, will aber gar nicht ins Parlament. Was soll das Manöver?
D iEM 25 ist eine erfreuliche, neue Bewegung, die die Demokratie retten will. „Demokratisieren wir Europa! Denn die EU wird entweder demokratisch sein, oder sie wird zerfallen“ so ist es bei DiEM 25 zu lesen. Das sind Sätze, bei der alle aufrechten Demokraten und Europafreunde naturgemäß nur nicken können. Denn, mag es auch kühn klingen, nur ein echtes Parlament in Brüssel und eine föderale europäische Republik können das Ziel sein.
Yanis Varoufakis ist geradezu abonniert auf Kühnheit. Der eloquente Wirtschaftsprofessor ist als tapferer, linker Konterpart von Wolfgang Schäuble zu raschem Ruhm gekommen. Er ist der Spitzenkandidat von DiEM 25. Die Wahlaussichten von DiEM sind übersichtlich, die Fraktion wird recht klein. Gregor Gysi hat dem Professor aus Athen im taz Interview sogar angeboten, bei der Linksfraktion im europäischen Parlament anzudocken. „Was soll er da sonst einsam rumsitzen?“, so Gysis sorgenvolle Frage.
Die Sorge ist, wie wir nun wissen, überflüssig, die Gefahr, dass Varoufakis in Brüssel vereinsamt, ist gebannt. Denn der will gar nicht ins EU-Parlament. Das gab er am Donnerstag, drei Tage vor Wahl, bei der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll. Die Wahlen zum Europaparlament seien ja „viel wichtiger ist als das Parlament selbst“, so seine Analyse.
Ja Moment: Der Wahlkampf ist also brauchbares Debattenforum, das EU-Parlament an sich aber irgendwie uncool? Das ist für den Spitzenkandidaten einer aufstrebende Partei mit vibrierendem Idealismus eine erstaunliche Haltung. Diese als Demokratisierung der EU zu verkaufen, ist wahre Kühnheit. Sie siedelt nahe an dem, was in der trockenen Prosa des Strafgesetzbuches „Vorspiegelung falscher Tatsachen“ heißt (Paragraph 263, Betrug).
Klugheit und Moral
Klar, WählerInnen sind, was Politwerbung bei dieser Europawahl angeht, einiges gewohnt. KandidatInnen verjüngen sich per Fotoshop wundersam bis sie aussehen wie ihre eigenen Enkel. Für die Grünen macht Robert Habeck auf Großplakaten einen gewohnt lässigen Eindruck – dass man ihn oder Gregor Gysi, der auf Linksparteiplakaten altersweise lächelt, gar nicht in das EU-Parlament wählen kann, ist ja wirklich eine Spitzfindigkeit.
Uns umwerben Politiker, die wir nicht wählen können, dafür können wir einen wählen, der gar nicht in das EU-Parlament will. Varoufakis möchte lieber bei den nationalen Wahlen in Griechenland mit einer neue Partei antreten – wir nehmen an, als Spitzenkandidat. Das ist natürlich klug. Und wo steht schon, das Klugheit und Moral verschwistert sind?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“