Göttinger Forschung zu linker Militanz: Der kommende Aufsatz
Die Uni Göttingen will „Linksextremismus“ erforschen. Die autonome Szene aber will das nicht. Sie befürchtet eine Einmischung des Staates.
Das Institut, so erklärten die Protestierenden ihre Aktion, arbeite für oder zumindest im Sinne des Geheimdienstes. Im Verdacht haben die Aktivisten dabei vor allem die Forschungen zum Linksextremismus.
Seit dem Juli existiert die „Bundesfachstelle Linke Militanz“, sie ist am Institut für Demokratieforschung angesiedelt. Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ fließen zwar Mittel vom Familienministerium, doch es handele sich „um unabhängige Grundlagenforschung“, versicherte der Politologe und wissenschaftliche Mitarbeiter des Institutes, Julian Schenke, am Donnerstag der taz. „Eine Einmischung von Sicherheitsbehörden oder Regierungsinstitutionen ist ausgeschlossen.“
Dasselbe gelte für die ebenfalls am Institut angesiedelte „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen“. Sie beschäftigt sich mit Rechtsextremismus, religiösem Fundamentalismus und linker Militanz im Bundesland Niedersachsen.
Radikale Linke in den Blick nehmen
Die Fördermittel seien dem Landesverfassungsschutz infolge des NSU-Skandals gegen seinen Willen von der rot-grünen Landesregierung abgenommen worden, so Schenke. Gleichwohl nutzt diese Forschungsstelle aber auch offen zugängliches Material, das der niedersächsische Verfassungsschutz bereitgestellt hat.
Das Institut für Demokratieforschung an der Göttinger Universität besteht seit 2010. Leiter und Chef der rund 60 Mitarbeiter*innen war bis zum September der Politologe Franz Walter, die Politikwissenschaftlerin Stine Marg leitet zurzeit die Einrichtung kommissarisch. Das Institut hat zahlreiche Studien veröffentlicht. Auf Interesse stießen Untersuchungen zu Pegida und zur Pädophilie-Debatte bei den Grünen.
Im Sommer sorgte die Arbeit zu „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland“ fürKontroversen. Nach Kritik an angeblichen Methodenfehlern ließ die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, die von ihr in Auftrag gegebene Studie fallen.
Die Bundesfachstelle will dagegen die radikale Linke in ganz Deutschland und Europa in den Blick nehmen. Bis Ende 2019 wollen die Forscher nach eigenen Angaben Erkenntnisse zur Rekrutierung und Zusammensetzung, zu inneren Kommunikationsweisen und zu Entscheidungsprozessen der Szene gewinnen. Und pädagogische Ansätze „zur Prävention demokratiefeindlicher Aspekte linksradikaler Denk- und Verhaltensweisen“ entwickeln. „Dabei fassen wir Radikalität nicht als per se verwerflich auf“, betont Schenke.
Um an ihr Forschungsziel – „eine wissenschaftlich fundierte Ethnologie der linken Militanz“ – zu gelangen, wollen die Göttinger Forscher zunächst lokale Milieus untersuchen. Schenke drückt das so aus: „Im Rahmen definierter lokaler Strukturen wollen wir Handlungsmotive und Radikalisierungsgründe, Mentalitäten und Einstellungsmuster, infrastrukturelle Vernetzungen und Aktionsformen wie unter einem Brennglas analysieren.“
Als Methoden kämen etwa leitfadengestützte und biografisch-narrative Interviews, Gruppendiskussionen, die Analyse und Deutung politischer Schriften sowie von Debatten in sozialen Netzwerken und auch „Feldforschung im Sinne von teilnehmender Beobachtung“ infrage – „allerdings ganz ohne klandestine Praktiken und unter Gewährleistung wissenschaftlicher Datenschutzrichtlinien“.
Erste Publikationen und Forschungsberichte will das Institut bereits ab 2018 vorlegen. Ein ehrgeiziger Zeitplan, denn ob die Forschungsobjekte wie erhofft mitmachen, erscheint äußerst fraglich. Eine Frau, die in der Göttinger autonomen Szene unterwegs ist, sagte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich unsere Gruppe für Befragungen zur Verfügung stellt oder duldet, dass Wissenschaftler zu unseren Treffen kommen.“
Schenke hingegen hebt hervor, dass die Arbeit von Behörden wie dem Verfassungsschutz kritisch beurteilt werde. Dies sei „selbstverständlicher Teil unserer Analyse“. Ein wesentlicher Teil der Arbeit bestehe auch darin, adäquatere Begrifflichkeiten zu finden, „den Extremismusbegriff halten wir selbst für unzureichend“.
Proteste wie die „Schnipsel-Aktion“ am 11. November verdammen die Göttinger Wissenschaftler ungeachtet ihrer Klarstellungen nicht: „Handelt es sich hier doch um die Ausübung demokratischer Rechte in einer stets konfliktgeladenen politischen Kultur.“
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