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Flucht aus Rafah im GazastreifenRückkehr ins Nichts ​

Aus Angst vor einer Offensive kehren Palästinenser aus Rafah wieder zu ihren alten Wohnorten zurück. Dort stehen sie vor den Trümmern ihres Lebens. ​

Die Heimat ist eine Trümmerlandschaft: Palästinenser am Samstag in Deir al-Balah Foto: Mohammed Talatene/dpa

Kairo taz | Während hinter den Kulissen die Verhandlungen um einen Waffenstillstand und die Freilassung der israelischen Geiseln auf Hochtouren laufen, hat Israels Premier Benjamin Netanjahu eines bereits deutlich gemacht: Ein möglicher Waffenstillstand wird nur temporär sein. Er werde früher oder später auf jeden Fall eine israelische Militäroffensive gegen die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens anordnen.

Manche der Menschen, die in den letzten Monaten nach Rafah geflohen sind, haben nun beschlossen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, und sind von Rafah wieder Richtung Norden zu ihren ursprünglichen Häusern zurückgekehrt. Doch allerdings stehen sie meist vor dem Nichts.

Einer von ihnen ist Muhammad Abu Rabia, der vor einem Monat mit seiner Familie aus Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens nach Rafah geflohen ist, um jetzt wieder zurückzukehren. „Rafah, sagten die Israelis, sei sicher und es würde dort nicht bombardiert. Daher haben wir uns mit über einer Million Palästinenser dorthin begeben. Aber Rafah ist nicht sicher. Sie haben uns angelogen. Also haben wir beschlossen, wieder in unser ursprüngliches zu Hause zurückzukehren“ – und das, obwohl auch Deir al-Balah bombardiert wird und die Versorgungslage wie in Rafah extrem schlecht ist.

„Weil wir um unsere Sicherheit fürchteten und weil die Kinder mich immer wieder gefragt haben, wann wir wieder nach Hause zurückzukehren, dachte ich, das ist die beste Option, selbst wenn auch Deir al-Balah immer noch bombardiert wird“, sagt Abu Rabia.

Seine Hoffnung, mit seiner Familie in ihrem alten Haus unterzukommen, wurde schnell enttäuscht. „Wir haben unser zerbombtes Haus vorgefunden. Also haben wir unser Zelt, das wir aus Rafah mitgebracht haben, in Deir al-Balah aufgebaut. Eigentlich ist es kein Zelt, sondern nur ein paar Plastikplanen. Aber immerhin haben wir und die Kinder etwas über unseren Köpfen“, beschreibt er seine Lage.

Wenn der gesamte Gazastreifen unsicher ist, ist es zu Hause vielleicht noch am besten, selbst wenn das eigentliche Zuhause nicht mehr steht. Doch die Angst bleibt, auch in Deir al-Balah: „Bei den Luftschlägen können die Kinder nicht schlafen. Wir müssen sie dann beruhigen und sagen, dass die Einschläge weit weg sind“, sagt Abu Rabia.

Hoffnung auf Waffenstillstand

Auch Anwar Jusef ist, wie er es beschreibt, „jedem abgeworfenen israelischen Flugblatt zur Evakuierung gefolgt“, bevor er in Rafah landete. Nun ist er wieder in sein Zuhause im Flüchtlingslager Bureidsch in unmittelbarer Nachbarschaft von Deir al-Balah zurückgegangen. „Meine Familie und ich sind aus Angst hierher zurückgekehrt, weil die Israelis immer wieder sagen, dass eine militärische Offensive in Rafah unmittelbar bevorsteht“, sagt er.

Aber auch er steht mit seiner Familie vor dem Nichts. „Wir standen vor unserem total zerstörten Haus. Nicht ein Stein steht auf dem anderen. Unsere Wünsche und Träume sind dort unter den Trümmern begraben, all die kleinen Einzelheiten, die das Leben vor diesem Krieg ausgemacht haben“, schildert er. Und schließt: „Es gibt keine Worte, diese Tragödie zu beschreiben“.

Für Netajahu ist eine Bodenoffensive gegen Rafah unabdingbar, um – wie er es formuliert – den totalen Sieg über die Hamas zu erringen. Im Weg stehen ihm dort weiterhin 1,4 Millionen Menschen. Selbst wenn die israelische Armee vermeintlich sichere Korridore schafft, damit die Zivilbevölkerung Richtung Norden fliehen kann, wird diese ohne Versorgung vor den Trümmern ihres Lebens stehen.

Aber eine Hoffnung bleibt für den schon jetzt zurückgekehrten Muhammad Abu Rabia, der mit seiner Familie wieder einen Verschlag Deir al-Balah aufgebaut hat. „Wir hören in den Nachrichten, dass es bald einen Waffenstillstand geben soll“, sagt er und fügt hinzu: „Wir hoffen, dass das tatsächlich passiert, und dass dieser Krieg endlich aufhört“.

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12 Kommentare

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  • Die israelische Regierung könnte jetzt sagen: Zieht in die Orte eurer Väter und Mütter zurück, auf dem Gebiet des heutigen jüdischen Staats. Da ist die Infrastruktur grundsätzlich intakt, auch wenn natürlich viele palästinenische Dörfer bewusst abgerissen und überpflanzt wurden.



    Diese Einladung wäre ein Meilenstein.

    • @Janix:

      "Diese Einladung wäre ein Meilenstein."



      Mir fiele eher das Wort Grabstein ein.

  • Es ist unvorstellbar! Das ganze Land wird in Schutt und Asche gelegt. Furchtbar!

    Genauso unverständlich aber ist die Aussage, die Israelis hätten gelogen. Nicht, dass sie es nicht täten. Aber ich habe von noch keinem einzigen Palästinenser dort gehört, dass die Hamas ihnen das eingebrockt hat. Ist das common sense? Hamas bringt 1000+ Israelis um und Israel schlägt zurück, bis die Hamas aufgibt, dann nur die Israelis zu beschuldigen?

    Um es klar zu sagen: ich heiße die Flächenbombardements nicht gut, im Gegenteil.

  • Na ja, sobald die Kämpfe beendet sind, können die Häuser wieder aufgebaut werden. So nicht wieder alles Geld in Hamas-Tunnels und Terror-Raketen fließt, kann der Wiederaufbau sehr schnell gehen. Allgemein sollte man dort wissen, wie man Gebäude hochzieht. Es wäre wirklich zu wünschen, dass Hamas einlenkt. Der Frühling hat gerade begonnen. Bis zum Winter könnten die ersten Häuser stehen.

    • @mdarge:

      Ja, ich denke, es kann dort richtig schön werden. Vielleicht eine nachhaltig gebaute, schöne, menschenfreundliche (Öko-?)Stadt, evtl. ein Architekturwettbewerb (Geld spielt in Gaza ja keine Rolle) mit vielen Ideen und frühzeitiger Einbindung der Bürgerinnen und Bürger.

      Im unten genannten taz-Artikel wird auch über palästinensische Stickkunst geschrieben. Ich wünsche mir so sehr, dass diese Kunst in Gaza dann ein Export-Schlager werden würde. So etwas wie italienische Schuhe, Schweizer Uhren, französischer Käse ...

      taz.de/Palaestinen...bb_message_4682670

      Für mich besteht die wichtigste Frage der Gaza-Zukunft darin, kann die Nicht-Hamas-Bevölkerung die Hamas-Bevölkerung einhegen, will die Mehrheit Frieden mit den jüdischen Nachbarn/Israel und kann sie ihre "Weiter-wie-bisher-"Mitbürger überzeugen.

      Klar gibt es mit Iran und Israel noch andere wichtige Mitentscheider, aber ich denke, dass jede/r Bürger/in in Gaza nach dem Krieg die entscheidende Wahl hat. Wenn die Gaza-Bevölkerung wirklich Frieden möchte und es ihnen gut geht, sind die äußeren Agressoren relativ einflusslos, zumal die Hamas-Mitarbeiter größtenteils gefangen oder verschieden sind.

  • Es braucht endlich einen dauerhaften Waffenstillstand, eine Friedenskommission und eine politische Lösung. Dafür ist internationaler Druck nötig. Auch aus Deutschland. Auch von Seiten der Zivilgesellschaft.

  • Eine Schande, was die Hamas ihren eigenen Leuten mit dem Terrorüberfall auf Israel angetan hat.

  • Es wäre wirklich zu wünschen, dass die Kampfhandlungen bald vorbei sind. Wann lenkt die Hamas endlich ein?

    • @vieldenker:

      Wie sollten sie einlenken? Die israelische Regierung hat der Hamas den totalen Vernichtungskrieg erklärt und zwar ohne wenn und aber. Wer könnte da die Waffen strecken wenn es schlichter Selbstmord wäre?

      Israels Politik ist das Problem, wegen dem es hier keine Lösung geben kann. Auch wenn die Hamas eine brutale Terrororganisation ist, gibt Israel ihr keine Chance, einzulenken. Ob sie es tun würde wenn, weiß ich auch nicht. Aber solange die halbfaschistische rassistische Regierung Netanjahus an der Macht ist, die die Palästinenser als "menschliche Tiere" betrachtet (O-Ton des israelischen Verteidigungsministers) gibt es dort keinen Frieden.

      • @Jalella:

        "Wer könnte da die Waffen strecken wenn es schlichter Selbstmord wäre?"

        Sie könnten sich von der UN zusammengestellten Militärs ergeben und vor Gericht stellen lassen. Ich kann mir aber vorstellen, dass sie auf Grund ihrer Konditionierung eher denken, dass der Tod und der Nachtod die bessere Alternative ist.

        Aus dem am Ende genannten taz-Artikel:

        "Bei mehreren Aussagen ist freilich umstritten, ob sich Bezeichnungen wie „Monster“ oder „menschliche Tiere“ nur auf die Hamas-Terroristen oder aber Be­woh­ne­r*in­nen des Gazastreifens im Allgemeinen beziehen."

        Hieran kann man gut sehen, welchen Unterschied Interpretationen machen, je nachdem auf welcher Seite man steht:



        Ihre Interpretation setzt als selbstverständlich voraus, dass alle Menschen in Gaza gemeint waren.

        Ich gehe, ebenso selbstverständlich, davon aus, dass die Hamas gemeint ist, auch wenn ich die Begriffe "Monster" und "menschliche Tiere" für diese Personengruppe trotzdem ablehne.

        taz.de/Suedafrikas...n-Israel/!5982581/

        Hoffen wir, dass nach dem Krieg die Hamas ebenso wie die Netanjahu-Regierung aufgelöst sind.

    • @vieldenker:

      Der Druck auf die Hamas-Mitglieder muss meiner Meinung nach deutlich erhöht werden, von allen Seiten (UN, UNRWA, EU, NGOs, deren Freunden in Katar, der Türkei, Saudi-Arabien ...) auf finanzieller, moralischer und politischer Ebene. Sonst bleibt der jüdischen/Israel-Seite nur die Option, den militärischen Druck zu erhöhen, was "eigentlich" meiner Meinung nach niemand wollen sollte.

      • @*Sabine*:

        Die "normalen" Menschen in und aus Gaza müssen die Hamas unter DRuck setzen. Die genannten Institutionen haben bereits gezeigt, dass sie dazu - aus welchen Gründen auch immer - nicht in der Lage sind.



        Dass da Begriffe wie Monster und/oder menschlcihe Tiere genutzt werden, ist für mich angesichts der Taten der Hamas am 07.10.23 durchaus nachvollziehbar, ob sie deswegen angemessen sind, weiss ich nicht...