Essay BND und NSA: Eine grauenhafte Allianz

Mit einer Reform der Geheimdienste ist es nicht getan. Denn: Geheimdienste und Demokratie sind nicht miteinander vereinbar.

Protestaktion gegen den staatlichen Überwachungswahn. Bild: imago/Florian Schuh

Schon wieder ein Geheimdienstskandal. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat offenbar im Rahmen seiner Auslandsüberwachung auch Wirtschaftsspionage betrieben – aber nicht etwa im Auftrag der Bundesregierung, sondern klammheimlich im Dienst des US-Geheimdienstes NSA unter dem Deckmantel des gemeinsamen Kampfes gegen den internationalen Terrorismus.

Die enge Kollaboration zwischen beiden Geheimdiensten machte es möglich. Der Whistleblower Edward Snowden hatte recht, als er davon sprach, dass NSA und BND „miteinander ins Bett gehen“ – eine wahrlich grauenhafte Vorstellung.

Tatsächlich tauschen sie nicht nur massenhaft Informationen, sondern teilen auch Instrumente, gemeinsame Datenbanken, Spähprogramme sowie Infrastrukturen; und im neuesten Fall nutzte der BND sogenannte Selektoren wie Telefonnummern oder IP-Adressen, die ihm die NSA geliefert hatte.

Zigtausende dieser Suchkriterien betrafen deutsche und europäische Firmen und Politiker, deren Kommunikation der BND auf diese Weise für die NSA ausspionierte – ob vorsätzlich, fahrlässig oder einfach willfährig muss sich noch zeigen.

Rolf Gössner ist Anwalt, Publizist und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, außerdem Mitherausgeber des „Grundrechte-Reports“ und Mitglied der Jury des Negativpreises Big Brother Award (www.bigbrotherawards.de). Er ist Autor zahlreicher Bücher zu innerer Sicherheit und Bürgerrechten.

Der Autor stand vier Jahrzehnte unter Beobachtung des Verfassungsschutzes – grundrechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Köln 2011 urteilte.

Nun hat sich herausgestellt, dass das Bundeskanzleramt, das den BND zu beaufsichtigen hat, bereits seit Jahren über diese illegale Massenspionage informiert ist – offenbar ohne sie gestoppt zu haben.

Also haben wir es sowohl mit einem Geheimdienst- als auch mit einem Regierungsskandal zu tun. Skandal? Das klingt so wie Ausnahme, Einzelfall oder Ausreißer. Doch davon müssen wir uns verabschieden – denn die zahlreichen „Skandale“, von denen wir seit Snowdens Enthüllungen, seit Aufdeckung der NSU-Mordserie und der Verwicklungen des „Verfassungsschutzes“ in Neonaziszenen erfahren mussten, führen uns deutlich vor Augen: Diese Skandale haben System, und dieses System ist ein Geheimsystem, das mit den technologischen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters Gesellschaften und Demokratien auf immer aggressivere Weise durchsetzt.

Der „tiefe Staat“ lässt grüßen. Dafür verantwortlich sind Bundesregierungen und Parlamentsmehrheiten, die dieses System aufrechterhalten und es wuchern lassen – trotz aller Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaats und seiner Bürger, trotz millionenfacher Verletzung ihrer Freiheitsrechte und Privatsphäre.

Big Brother Award für BND und Kanzleramt

Da fällt mir ein, dass ich erst kürzlich die zweifelhafte „Ehre“ hatte, den BND mit dem berühmt-berüchtigten Negativpreis Big Brother Award auszuzeichnen. Und vor einem Jahr durfte ich die „Laudatio“ auf das Bundeskanzleramt halten, vertreten durch die Hausherrin, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), den Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und den Staatssekretär für Nachrichtendienstangelegenheiten, Klaus-Dieter Fritsche (CSU).

Wie sich zeigt, hat es tatsächlich die richtige „Kombi“ erwischt, die Richtigen ohnehin, die es aber versäumten (oder die zu feige waren), die Preistrophäe auch abzuholen.

Der Auslandsgeheimdienst BND erhielt den „Preis“ unter anderem, weil er aufs Engste in den NSA-Überwachungsverbund verflochten ist und damit in die globale Massenüberwachung; und weil er täglich Abermillionen von Telekommunikationsdaten sammelt, speichert, auswertet und an ausländische Partnerdienste übermittelt. Darunter auch grundrechtlich geschützte Daten von Bundesbürgern und Unternehmen, deren Weitergabe illegal ist.

Dreiste Vertuschungen

Nicht zuletzt erhielt der BND den Negativpreis für seine dreisten Vertuschungen geheimdienstlicher Praktiken vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags.

Und warum verdiente sich das Bundeskanzleramt den Big Brother Award? Weil ihm die oberste Fachaufsicht über den BND obliegt sowie die Koordination aller drei Bundesgeheimdienste untereinander und mit anderen Dienststellen im In- und Ausland.

Just hier in dieser politischen Machtzentrale sitzen also die Hauptverantwortlichen dafür, dass deutsche Geheimdienste in die menschen- und völkerrechtswidrige NSA-Überwachungsstruktur verzahnt sind, dass Deutschland das am stärksten überwachte Land Europas ist und dass notwendige Abwehr- und Schutzmaßnahmen unterlassen wurden.

Denn sämtliche Bundesregierungen haben es bis heute sträflich unterlassen, die Bürger und von Wirtschaftsspionage betroffene Betriebe vor illegalen Überwachungsattacken zu schützen – obwohl es zu ihren verfassungsrechtlichen Kernaufgaben gehört, diesen Schutz zu gewährleisten.

Gehilfe und Mittäter

Die geradezu unterwürfige Haltung der Bundesregierung gegenüber den USA ist der engen deutsch-amerikanischen Kooperation geschuldet und auch der Tatsache, dass Deutschland längst Teil des US-„Kriegs gegen den Terror“ geworden ist. Seit Jahren und Jahrzehnten sind die Bundesregierungen und ihre Nachrichtendienste Komplizen, Gehilfen, ja Mittäter im großen aggressiven Zusammenspiel westlicher Geheimdienste – oder, anders formuliert, willfährige Partner.

Deshalb und angesichts der amtlichen Lethargie nach Snowdens Enthüllungen haben sich die Internationale Liga für Menschenrechte und die Datenschutzvereine Digitalcourage und Chaos Computer Club 2014 genötigt gesehen, beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen Bundesregierung und Geheimdienstverantwortliche zu erstatten.

Bekanntlich hat der oberste Ankläger ein offizielles Strafermittlungsverfahren eingeleitet – aber nur wegen des unfreundlichen US-Spionageangriffs auf das Handy der Kanzlerin. Eine Entscheidung, die an der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zweifeln lässt. Denn auf ein Ermittlungsverfahren wegen der ungleich schwerer wiegenden massenhaften Ausspähung der ganzen Bevölkerung verzichtet der Generalbundesanwalt – kurioserweise mangels „zureichender Tatsachen“.

Offenbar soll der BND sein Image als „Wurmfortsatz“ der NSA, wie ihn NSA-Exmitarbeiter Thomas Drake despektierlich nannte, loswerden und sich vom großen Bruder emanzipieren. Was wir gerade erleben, ist kein In-sich-Gehen, kein Innehalten angesichts der ungeheuerlichen Praktiken.

Globaler Informationskrieg

Im Gegenteil, anstatt endlich die Menschen und Unternehmen vor geheimdienstlicher Ausforschung zu schützen, werden wir Zeugen eines fatalen Wettrüstens im globalen Informationskrieg der Geheimdienste – einem Informationskrieg, in dem es nicht nur um „Terrorbekämpfung“ und „Sicherheit“ geht, sondern um geostrategisch-wirtschaftliche Interessen sowie um präventive Vormacht- und Herrschaftssicherung bis hin zur Absicherung militärischer Operationen.

Mit Enthüllungen und „lückenloser“ Aufklärung, so wichtig sie auch sind, ist es nicht mehr getan. Auch bloße Reformen, wie derzeit in Planung, werden an den grundsätzlichen Problemen, die Geheimdienste verursachen, nicht allzu viel ändern.

Warum? Weil Geheimdienste, die Staat, Verfassung und Demokratie schützen sollen, selbst demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widersprechen und deshalb zu Verselbstständigung, Machtmissbrauch und Willkür neigen. Wenn Geheimdienste ihre Finger im Spiel haben, dann bleibt Aufklärung regelmäßig auf der Strecke. Denn das Geheimhaltungssystem etwa zum Schutz von Informanten, V-Leuten und verdeckten Ermittlern umschlingt auch Justiz und Parlamente, die Geheimdienste kontrollieren sollen und zumeist daran scheitern.

Auch Kontrolle ist nicht demokratisch

Die parlamentarische Kontrolle erfolgt ihrerseits geheim, also wenig demokratisch; und Gerichtsprozesse, in denen etwa V-Leute eine Rolle spielen, werden zu Geheimverfahren, in denen Akten manipuliert und geschwärzt, Zeugen gesperrt werden oder nur mit beschränkten Aussagegenehmigungen auftreten dürfen.

Angesichts solch struktureller Defizite und Bedrohungen ist es tatsächlich höchste Zeit, das fundamentale Problem von Geheimdiensten in einer Demokratie anzugehen und diesen undurchsichtigen und übergriffigen Überwachungs- und Datenkraken das Handwerk zu legen. Dazu bedarf es einer wirksamen Abrüstung und Zerschlagung des ausufernden geheimdienstlich-informationell-militärischen Komplexes.

Um dafür den nötigen politischen Druck aufzubauen, braucht dieses Land dringend eine starke Bürgerrechtsbewegung und widerständige Menschen, die demokratische Gegenwehr entwickeln, die Bürgerrechte und Privatsphäre für das digitale Zeitalter neu erkämpfen und die sich staatlichem Überwachungswahn mit Fantasie widersetzen.

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