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Ende-Gelände-Aktivistin über die Zukunft„2040 haben wir das Klima verheizt“

Weil sich die Bilder von Tagebaubesetzungen langsam abnutzen, diskutieren die Aktivisten von „Ende Gelände“ neue Aktionsformen. Ein Gegner ist die Autoindustrie.

Ein Hut ist zu wenig: Wie geht es mit Ende Gelände weiter? Foto: dpa
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Vries, Sie haben Anfang November die erfolgreichste Aktion von Ende Gelände hinter sich gebracht. Soll man aufhören, wenn es am schönsten ist?

Insa Vries: Nein. Wir haben gerade den bisherigen Höhepunkt der Anti-Kohle-Bewegung in Deutschland erlebt. Das liegt zum einen an der Größe der Aktion – im Rheinland haben sich 3.000 Leute für Klimagerechtigkeit eingesetzt …

ist das so viel? Beim Castor haben bis zu zehntausend Menschen die Züge blockiert.

Wir sind viel jünger als die Anti-Castor-Bewegung, die über Jahre gewachsen ist. Sie wurde außerdem stark von der Bevölkerung im Wendland getragen. Die Menschen in den Kohleregionen sind aber wirtschaftlich abhängig von der Kohle, das macht die Basis für den Protest schwieriger. Gerade vor diesem Hintergrund ist es sehr schön, wenn unsere AktivistInnen in Wohnungen in Bonn, Köln und im Hambacher Forst unterkommen können. Wir haben es im August und November so gut wie nie zuvor geschafft, uns mit anderen Akteuren zu verbinden, mit NGOs, Bürgerinitiativen vor Ort, Betroffenen und Graswurzelbewegungen aus der ganzen Welt.

War das bei der ersten Aktion 2015 noch anders?

Damals gab es schon seit Jahrzehnten den Kohlewiderstand im Rheinland und in der Lausitz. Wir haben uns zusammen mit diesen Gruppen gegründet, um das Thema Kohle auf eine bundesweite Ebene zu heben. Anfangs war Ende Gelände eine Kampagne, jetzt gibt es einen ganzen Prozess mit Gruppen in den meisten großen deutschen Städten, in denen sich Menschen für Klimagerechtigkeit organisieren und das Prinzip „Think Globally, Act Locally“ umsetzen.

Zum Beispiel?

Die Ende-Gelände-Gruppe aus München war aktiv in dem Bürgerentscheid für das Aus des Steinkohlekraftwerks München Nord. Die Regionalgruppen haben viel mehr als eine Massenkampagne das Potenzial, kleinere Kampagnen zu fahren und in die Gesellschaft zu wirken. Diese langfristige Klimabewegung wurde auch durch die Aktionen von Ende Gelände mit aufgebaut, viele Menschen wollten darüber hinaus aktiv sein. Parallel dazu ist der große diskursive Erfolg der Klimabewegung, dass man das Wort „Klimaschutz“ in Deutschland nicht mehr sagen kann, ohne über den Kohleausstieg zu sprechen.

Im Interview: Insa Vries

24, ist Klima­aktivistin aus Berlin und eine der Sprecherinnen von Ende Gelände.

Und wenn, sofern es eine Regierung gibt, Beschlüsse zum Ausstieg kämen?

Was auch immer eine Regierung beschließt, es wird nicht reichen. Falls der Kohleausstieg 2040 kommen sollte, was nach jetzigem Stand fast überraschend wäre, ist das aus unserer Perspektive total verrückt: Dann haben wir das Klima faktisch verheizt. Deshalb müssen wir trotz solcher möglichen Beschlüsse weiter Druck aufbauen. Wenn wir jetzt lockerlassen, droht uns das Schicksal der Anti-Atom-Bewegung, die mit den Ausstiegsgesetzen stark an Mobilisierungskraft verloren hat.

Die Aktion diesmal war sehr routiniert. Der Überraschungseffekt ist weg, die Bilder gleichen sich. Läuft sich Ihre Aktionsform nicht irgendwann tot?

Die Aktionsform „ziviler Ungehorsam“, mit der wir uns der Klimazerstörung direkt in den Weg stellen, ist sehr identitätsstiftend für die Bewegung. Wenn wir in die Tagebaue gehen, ist es jedes Mal aufs Neue berührend und erschreckend zu sehen, was da passiert. Aber wir kennen aus sozialen Bewegungen auch die Dynamik, dass es irgendwann nicht mehr reicht, immer wieder dieselben Aktionen zu machen – obwohl sie inhaltlich nötig sind. Die spannende Frage ist, wie wir eine Vertiefung und Ausdifferenzierung der Bewegung mit Aktionen koppeln können, bei denen alle zusammenkommen und merken, wir sind viele und können viel bewegen.

Spielt die europäische Ebene dabei auch eine Rolle?

Wir haben dieses Jahr gemerkt, dass das größte Mobilisierungspotenzial nicht in der deutschen, sondern in der europäischen Bewegung liegt. Es gibt auch Steinkohle in Amsterdam oder mit der Transadriatic Pipeline neue Gasinfrastruktur, die in Süditalien gebaut werden soll, was genauso irre ist wie die Kohle hierzulande.

Wie ist die Situation in Polen und Osteuropa? Gibt es da auch eine Bewegung, die Schnittpunkte mit Ihnen hat?

In Tschechien fand dieses Jahr die erste Aktion unserer befreundeten Anti-Kohle-Bewegung statt. Sie haben ebenfalls einen Tagebau besetzt und damit gegen Erweiterungen und Neuaufschlüsse protestiert. 2016 haben wir schon gegen den tschechischen Käufer der Lausitzer Tagebaue zusammengearbeitet, EPH. Auch in Polen beginnen sich Menschen zu organisieren, das gesellschaftliche Klima ist dort aber sehr schwierig für Aktivist*innen. Wir versuchen, etwas von der Solidarität zurückzugeben, mit der viele dieser Bewegungen in den letzten Jahren bei uns waren, und unterstützen sie bei ihren Aktionen. Der Klimawandel kann nicht nur in den deutschen Braunkohlegruben aufgehalten werden, und wie gerade die Lausitz zeigt, geht es in den Konflikten oft um internationale Unternehmen. Wir brauchen eine internationale Klimagerechtigkeitsbewegung.

Was sind die nächsten Schritte, um die aufzubauen?

Das müssen wir jetzt zusammen entscheiden. Wir wollen ja nicht nur das Ende der Kohle, sondern eine Transformation des Systems. Das heißt für uns, keinen kapitalistischen Wachstumslogiken wie „höher, schneller, weiter“ zu folgen. Manche Bewegungen haben als einziges Ziel, immer größer zu werden. Aber das ist für uns kein Selbstzweck. Wir bemühen uns deshalb in unseren Strukturen sehr stark, dass sich alle einbringen können und dass wir Entscheidungen im Konsens fällen. Im Januar werden wir als Ende Gelände diskutieren, wie wir weitermachen. Außerdem wird es eine Strategiekonferenz mit anderen Akteuren der europäischen Klimaszene geben. Dort werden wir das ausdiskutieren und es wird sich zeigen, wo die Leute aktiv werden wollen und wie wir das alles zusammenbringen.

Wollen Sie sich weiter auf Kohle als zentrales Thema konzentrieren?

Grundsätzlich geht es uns um die Abkehr von wachstumsbasiertem Wirtschaften und der Ausbeutung von Ressourcen. Momentan machen wir das in erster Linie an der Braunkohle fest. Aber natürlich geht es um mehr: Manche Leute bei uns denken über die Agrarwende, andere über Flugverkehr oder die Verkehrswende nach. Wie wäre es, wenn es einen kostenlosen Nahverkehr gäbe? Dann gäbe es weniger Verbrennungsmotoren, gleichzeitig wäre es sozial gerechter. Oder überhaupt die Autoindustrie: Das ist ein riesiges Thema und für uns natürlich auch interessant.

Inwiefern?

Bei der Autoindustrie gibt es nach den Abgasskandalen ein öffentliches Verständnis, dass das, was dort passiert, total intransparent und ungerecht ist. Sehr wenige Leute verdienen sehr viel Geld und zerstören dabei das Klima, das die Grundlage für unser gemeinsames Leben ist. Aber alle institutionellen Akteure sind zu verstrickt oder trauen sich nicht zu sagen, dass wir uns von der Industrie in ihrer jetzigen Form perspektivisch werden verabschieden müssen. Die Diskrepanz zwischen dem, was notwendig ist, und dem Handeln von Staat und Konzernen ist ähnlich groß und ungerecht wie in der Kohleindustrie. Es bräuchte einen Graswurzel-Akteur, um das auszudrücken.

Es könnte also sein, dass Ihr nächstes Ziel die Autoindustrie ist?

Für 2018 ist das unwahrscheinlich. Aber der Moment wird kommen, in dem eine weitreichende Mobilisierung gegen diese Industrie möglich ist, die nicht nur Autos, sondern auch Skandale am Fließband produziert. Man müsste sich sehr gut überlegen, was die Ziele sind und wer bereits in diesem Feld aktiv ist: Die Verstrickung von Industrie und Staat müsste ins Visier genommen werden, nicht die kleinen Autofahrer, denen man sagt: Ihr seid schuld. Bei einer Blockade ihrer Autobahnen hört das Verständnis der Deutschen schnell auf.

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15 Kommentare

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  • Ich freue mich schon heute auf 2040 !

  • Atomstrom zu gefährlich, Kohlestrom, bzw. Verbrennung von Öl und anderen fossilen Trägern zu dreckig. Windkraft- und Sonnenstrom lassen sich nicht speichern, Wasserkraft ist (noch?) nicht genügend vorhanden. Wasserstoff und andere Experimentalstoffe zu gefährlich. Fazit: Geht alles nicht. Na prima. Und nun ?

    • @Thomas Schöffel:

      Bzgl. der Speicherung von Wind- und Sonnenenergie sind sie nicht informiert: natürlich das technisch möglich. Es passt aber in viele Köpfe noch nicht hinein.

       

      Als Benzin am Anfang noch in Apotheken gekauft wurde, konnte sich ja auch niemand vorstellen, dass es einmal ein weltweites Tankstellennetz geben würde.

      • @Herbert Zahn:

        Ich habe kürzlich einen Vortrag eines Physikers gehört, der u.A. über die Speichermöglichkeiten von Strom referierte. Wissen Sie, wie groß diese Speicher sein müßten, nur um eine Grundlastversorgung sicherzustellen? Beispiel: In der Nähe vom Hamburg gibt es einen gigantischen Wasserspeicher. Im Notfall reicht der, um Hamburg 21 Minuten mit Strom zu versorgen. Wie wollen Sie die gigantische Menge von Strom speichern, für die Zeit, in der es dunkel ist und kein Wind weht ? So große Batterien gibt es noch gar nicht. Abgesehen mal vom Platzbedarf, der Brandgefahr usw. Das ist alles überhaupt noch nicht richtig zuendegedacht. Natürlich kann man bei uns einfach alles abstellen und dann den heißen Kaffee vor dem Computer mit französischem Atomstrom trinken. Na prima. Sie brauchen hier auch gar nicht unverschämt werden, so von wegen: Paßt nicht in die Köpfe hinein. Andere haben auch Bildung.

    • @Thomas Schöffel:

      Verbrauch verringern! Also weniger von allem: weniger Kilometer fahren, weniger Häuser heizen, weniger fressen, weniger Kinder zeugen, weniger Plunder kaufen.......

      • @Energiefuchs:

        ... und dann ? Ein bischen essen und heizen ist ja wohl nicht vermeidbar.

      • @Energiefuchs:

        Das Dogma des Verzichts und der Entsagung also. Schauen wir mal, wer alles sich dafür gewinnen lässt ... !?

  • Ich habe leider immer mehr das Gefühl, dass es rückwärts geht. Sogar Siegmar Gabriel hat gesagt, Umweltschutz darf nicht vor dem Schutz von Arbeitsplätzen kommen. Das ist doch irrsinnig!

    • @Energiefuchs:

      Sie Fuchs, Sie !

  • Mann aus Eisen

     

    Wie immer trete ich allein aus meiner Tür

    Wie immer geht schon nach der Kreuzung einer neben mir

    Wie immer kriege ich im Bus Antwort auf meinen Gruß

     

    Wie immer steh ich wie die anderen am Spind

    Wo Hose, Helm und Handschuh' und die Lederstiefel sind

    Wie immer spür ich meine Kraft vom Scheitel bis zum Schaft

     

    Hundert Meter unterm Gras

    Wartet die Maschine, dass ich ihre Hebel fass'

    Und nach einer Stunde schon

    Ist die Hand ein Schaufelrad, der Mund ein Telefon

     

    Mein Rücken ist ein Förderband

    Und im Schein von 1000 Watt sind mir die Augenbrau'n verbrannt

    Auf Raupenplatten kriech' ich Schritt um Schritt nach vorn

    Bei Havarien blute ich

     

    Abends dann tau' ich langsam auf

    Unter'n Händen einer Frau

    Geh'n in mir die Fenster auf

    Himmel wird grün, rot und blau

    Und blau

    Und blau

     

    Gerhard Gundermann (Lyriker, Musiker und Baggerfahrer in der Lausitz)

    • @Frank Erlangen:

      Der Motor tuckert in meinem Kopf

      und durch meine Adern fließt Benzin

       

      (unbekannter Lyriker)

  • "Grundsätzlich geht es uns um die Abkehr von wachstumsbasiertem Wirtschaften und der Ausbeutung von Ressourcen."

     

    Ich fürchte, diesen jungen Idealisten ist überhaupt nicht klar, was sie da fordern. Ein Ende der "Ausbeutung von Ressourcen" würde ja bedeuten, keine Bodenschätze mehr zu nutzen.

     

    Die einzigen Hilfsmittel des Menschen wären dann wohl Holzknüppel und Faustkeile. Kein Metall, keine Energie.

     

    Meinen die Leute das ernst?

    • @joseber:

      Gegenfrage: Ist Ihnen klar, wie zerstört, vergiftet ... das Ökosystem bereits ist? Soll das bis zum letzten geförderten/erbeuteten Gramm Erz u.ä. so weitergehen? Wieviele Ressourcen sollen zu welchem Preis gefördert/erbeutet weren?

    • @joseber:

      Kohle oder Erdgas zu verbrennen ist keine Nutzung sondern die Vernichtung von Rohstoffen. Die Sonne liefert uns permanent das 5000-fache unseres Energiebedarfs. Wir werden Speicher- und Transportmöglichkeiten schaffen müssen - bald.

    • @joseber:

      Sie kennen den Unterschied zwischen Ausbeutung und verantwortungsvollem Nutzen?