Die Psyche einer Spitzelin: „Hier die Guten, dort die Bösen“

Wie Schauspieler schlüpfen sie in Rollen, tun auch Dinge, die sie ablehnen. Spitzel müssen spalten können, sagt die Psychoanalytikerin Iris Schipkowski.

Was hätte sie gesagt, wenn Maria B. bei ihr auf der Couch gelegen hätte? Psychoanalyse-Ikone Margarete Mitscherlich. Foto: dpa

taz: Frau Schipkowski, lesen Psychoanalytiker besonderes gerne Spitzelgeschichten?

Iris Schipkowski: Ich glaube, das interessiert aus der Berufsgruppe einige, weil das so ein Phänomen ist, das gravierende Auswirkungen hat.

Welche Persönlichkeitsstruktur braucht es, um als verdeckte Ermittlerin im Einsatz zu sein?

Allgemein gesprochen, muss man spalten können.

Was heißt das genau?

Man muss wie ein Schauspieler in eine Rolle hineinschlüpfen, also die einer verdeckten Ermittlerin, die vortäuscht, jemand zu sein, die sie nicht wirklich ist. Um das zu können, muss man spalten. Das heißt, man muss etwas inkompatibles voneinander getrennt halten. Normalerweise würde man in Konflikt geraten mit seinen moralischen Werten, wenn man Menschen täuscht. Also muss man eine andere Seite, die wahre Identität in dem Moment komplett abspalten. Sonst hätte man Probleme, das durchzuhalten.

Die verdeckten Ermittlerinnen Iris P. und Maria B. haben ihren Lebensmittelpunkt in die linke Szene Hamburgs verlegt. Müssen sie auf eine bestimmte Weise gestrickt sein?

Nicht jeder kann diesen Spaltungsmechanismus professionell einsetzen. Viele Menschen würden das nicht hinkriegen, weil sie mit ihren anderen, gegenläufigen Persönlichkeitsanteilen in Konflikt kämen.

Iris Schipkowski, 54, psychologische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin, lebt im Hamburger Schanzenviertel.

Sprechen wir da vom Borderline-Syndrom?

Borderliner können sehr gut spalten. Sie sind meist im Modus alles ist gut oder alles ist schlecht. Verdeckte Ermittler müssen sich sehr kontrollieren. Das können Borderliner nicht, sie sind meist impulsiv, haben ihre Emotionen nicht unter Kontrolle. Das wäre ein zu großes Risiko, so jemanden einzusetzen.

Muss man diese persönliche Dispositionen vorfinden oder kann man sie auch zum Beispiel auf der Polizeischule lernen?

Soweit mir bekannt ist, ist Maria B. in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Dort war die Sozialisation ja schon politisch-kulturell spaltend vorgegeben: Hier die Guten, dort die Bösen. Ich denke, viele haben das Denken in diesen Kategorien schon durch die politische Spaltung über Generationen vermittelt bekommen. Ähnlich ist es in der Kindheit: Kleine Kinder müssen die Welt in Gut und Böse aufteilen, normalerweise entwickelt man sich aber dann weiter. Manche Menschen bleiben da aber auch stecken. Sicher kann man vieles lernen, aber die Bereitschaft muss schon da sein, sonst kriegt man den Spagat nicht hin.

Der Job einer verdeckten Ermittlerin ist darauf angelegt, Vertrauen aufzubauen, um es anschließend zu missbrauchen. Wie lässt sich das moralisch vertreten?

Das kann man schwer pauschal beantworten. Normalerweise bekäme man Schuldgefühle, wenn man Leute verarscht, Vertrauen erschlichen hat. Das ist ja eine große Lüge, um das hinzubekommen, muss man so strukturiert sein, dass man bestimmte Aspekte von sich abspaltet.

Wie läuft das genau?

Wenn man etwa mit den Leuten in der Flora zusammen ist, muss man völlig ausblenden, dass man eigentlich eine Rolle spielt und eine ganz andere Gesinnung hat. Du musst also eine Mauer zwischen der gespielten und deiner wirklichen Persönlichkeit ziehen. Das können viele Menschen nicht.

Ein Beispiel?

Eine Mutter, die berufstätig ist und ihr Kind in der Kita unterbringt, muss in manchen Momenten ausblenden, dass das Kind vielleicht traurig ist, lieber zu Hause wäre oder dergleichen. Wir switchen immer zwischen Ich-Zuständen hin und her, das ist ganz normal, weil wir zu den verschiedenen Persönlichkeitszuständen eben eine Verbindung aufnehmen können. Mal sind wir die arbeitende Person, mal gehen wir feiern und mal sind wir sehr intensiv am Textschreiben. Aber wenn man so einen Job als verdeckte Ermittlerin hat, muss man die Verbindung zwischen den Ich-Zuständen von sich fernhalten. Das ist eine Funktion, die einen schützt.

Und sie ist Stoff für Agentenfilme.

Ja, Agenten machen nichts anderes. Die können sich verlieben und Sex haben, sicher auch, weil sie komplett mit der Rolle identifiziert sind.

Iris P. und Maria B. hatten auch sexuelle Kontakte in die Szene. Fraglich ist, inwiefern auch das Teil des Jobs ist.

Ich kann mir vorstellen, dass so eine Rolle zum Selbstläufer wird. Schauspieler haben manchmal auch Schwierigkeiten, aus ihren Rollen herauszufinden.

Sexualität gehört zum Leben dazu, wenn man seinen Lebensmittelpunkt in eine Szene hinein verlegt, fällt man vermutlich auf, wenn man ganz asexuell auftritt.

Ja, das wäre wahrscheinlich auffällig. Aber um das überhaupt zu können, muss man sich in einen anderen Selbstzustand hineinbegeben. Das heißt, dass man sich eine bestimmte Rolle überstülpt, sich damit identifiziert, um eine Funktion zu erfüllen.

Ist das nicht eine enorme psychische Belastung?

Das kann aber auch eine Faszination haben, einem Triumphgefühle verschaffen. Man ist ja in dieser Situation die einzige, die weiß, was für ein Spiel gespielt wird. Das bedeutet auch Überlegenheit, narzisstischen Gewinn.

Was macht es mit den Opfern, so hintergangen worden zu sein?

Ich habe mich auch gefragt, wie geht eine Person damit um, dass sie Opfer zurücklässt. Sie muss ausblenden, dass man schweren Schaden anrichtet. Die Geschädigten lässt man zurück.

Aber es handelt sich dabei ja nicht nur um ein persönliches Problem: Der Täter ist auch der Staatsapparat, der dieses Handeln veranlasst hat.

Ich finde es schon angemessen, wenn diejenigen, die diesen Job ausüben, Verantwortung übernehmen. Wenn man sich darauf zurückzieht, dass man im Auftrag gehandelt hat, versteckt man sich hinter dieser Verantwortung. Den Leuten werden dafür ja auch Karrieren in Aussicht gestellt, so wie Iris P., die jetzt an der Polizeischule eine höhere Laufbahn einschlägt, soweit mir bekannt ist. Da wird schon eine Bereitschaft vorhanden sein, so etwas, also den Schaden, den man anrichtet, in Kauf zu nehmen.

Und dabei sozusagen auch über Leichen geht?

Die Opfer müssen das erst mal verarbeiten, dass sie jemandem auf den Leim gegangen sind, Vertrauen missbraucht wurde.

Lässt sich solcher Schaden reparieren?

Das stelle ich mir schwierig vor, weil diejenigen, die den Schaden angerichtet haben, nicht mehr zur Verfügung stehen, nicht mit denen in den Dialog gehen, die sich funktionalisiert und missbraucht fühlen. Das ist problematisch, weil das Einlenken von der Gegenseite fehlt. Es ist besonders schwer zu verkraften, dass man emotional benutzt wurde. Vielleicht hilft es, zu rationalisieren, um die Kränkung kleiner zu halten. Wunden bleiben in jedem Fall zurück.

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