Das „Kongo-Tribunal“ 3: Wie ein Bruegel’sches Bild

Regisseur Milo Rau dreht derzeit im Osten Kongos. Für die taz berichtet er über seine Reise in ein kriegsgeplagtes Niemandsland.

Milo Rau im Kongo. Bild: International Institute of Political Murder

Seit ich das erste Mal geflogen bin, habe ich eine Schwäche für Militärhelikopter: die Bänke, auf denen man sich gegenübersitzt, das Dröhnen der Rotoren, die langsamen Bewegungen des Körpers der Maschine.

Vor allem aber mag ich es, dass alle Helikopterpiloten in Zentralafrika Russen sind. Früher, als ich öfter in Ruanda war, spielte ich mit ihnen bei „Chez Lando“ in Kigali Billard, und wir sprachen über die Tschetschenienkriege und die Trash-Romane von Limonow. Russische Militärpiloten, die in Zentralafrika stationiert sind, langweilen sich. Sie sind deshalb große Leser – und natürlich genauso große Zyniker.

Vor ein paar Tagen brachte uns ein Helikopter der UNO vom ostkongolesischen Goma nach Walikale, einer malariaverseuchten Minenstadt im Bürgerkriegsgebiet. Walikale wurde das letzte Mal im Jahr 2013 ernsthaft geplündert, seither ist es verhältnismäßig ruhig, abgesehen von den üblichen Scharmützeln in den Wäldern rund um die Stadt.

Besonders gefürchtet bei den hier stationierten pakistanischen UNO-Soldaten sind die Milizen des ehemaligen Geschäftsmanns Ntabo Ntaberi Sheka. Obwohl ein gesuchter Kriegsverbrecher, dem alttestamentarische Folterungen und Massenvergewaltigungen zur Last gelegt werden, ist er bei der einheimischen Bevölkerung beliebt. „Seine Forderungen sind unsere Forderungen“, sagt ein Sprecher der Minenarbeiter.

Milo Rau, 1977 in Bern geboren, inszenierte unter anderem „Die letzten Tage der Ceausescus“, „Hate Radio“ über den Genozid in Ruanda und „Die Moskauer Prozesse“, ein Bühnenstück und Film zur Repression gegen Künstler in Russland. Für die taz berichtet er regelmäßig während der Arbeiten zu „Das Kongo-Tribunal“ aus dem zentralafrikanischen Land.

Schürfrechte im Niemandsland

Die Forderungen der Bevölkerung sind klar: Sie wollen ihre Schürfrechte nicht verlieren. Nahe Walikale liegt mit Bisie die bedeutendste Zinn- und Coltan-Mine des Kongo, zu Beginn des Jahrtausends lebten über hunderttausend Menschen vom Bergbau.

Doch die einheimischen Schürfer wurden ab 2006 von einer Minenfirma vertrieben, unterstützt von der kongolesischen Armee. Zugleich Rückzugsgebiet der ruandischen Völkermordmilizen der FDLR, ist die Region heute eine Art Niemandsland.

Gleich nach der Ankunft in Walikale treffe ich mich mit F., der 2009 mit Sheka die Miliz gegründet hat, aktuell gemäß Schätzungen die größte des Kongo. Die beiden waren Händler gewesen, kurze Zeit sogar Vertrauensmänner der Minengesellschaft, bis sie mit der Geschäftskasse durchbrannten und in den Wäldern verschwanden.

Seither plündert Shekas Miliz regelmäßig die Depots seines ehemaligen Chefs. F. jedoch kehrte schon nach zwei Jahren im Rahmen einer Amnestie nach Walikale zurück: „Unsere Strategie entfernte sich immer weiter von dem, was wir ursprünglich geplant hatten.“ In anderen Worten: Mit der Robin-Hood-Phase war es schnell vorbei, Sheka begann auf eigene Rechnung zu plündern, immer häufiger auch die mit Arbeitslosen angefüllten Dörfer der Minenarbeiter.

Denn die internationale Gemeinschaft reagierte auf die Auseinandersetzungen, wie sie immer reagiert: mit einem Handelsembargo, das erbarmungslos die lokale Mikroökonomie, nicht aber den illegalen Export ins Ausland zum Erliegen brachte.

Die Minengesellschaft schmuggelt seither ihre Mineralien mit Helikoptern und Lastwagen außer Landes, Sheka schafft sie auf Trampelpfaden nach Ruanda und Uganda. Die hübschen Vignetten für „saubere Rohstoffe“ werden auf dem Schwarzmarkt verkauft – falls überhaupt noch jemand Wert auf die in Deutschland produzierten Siegel legt.

Gewalt und Gegengewalt

Der Fall Bisie, den wir vor dem „Kongo Tribunal“ verhandeln werden, vereinigt alle Paradoxien der kongolesischen Tragödie: Eine internationale Firma kauft in Kinshasa eine Konzession, worauf nach einigen halbherzigen Vermittlungsversuchen der Konflikt mit den Einheimischen ausbricht.

Die arbeitslosen Minenarbeiter treten zu Tausenden in die Milizen ein, um sich mit der Kalaschnikow zu holen, was ihnen ihres Erachtens zusteht. Unsere Zeugenbefragungen unter den Einwohnern der Minendörfer, die wir für das „Kongo Tribunal“ in den vergangenen Tagen führten, zeigen ein Bruegel’sches Bild der Gewalt und Gegengewalt. Wer sich zu tief in den Wald wagt, wird vergewaltigt, entführt oder ermordet.

Und als sich einmal einige Milizionäre nach einer Plünderung etwas zu sehr betranken, rächten sich die Dorfbewohner. „Wir haben sie mit Benzin übergossen und angezündet“, erzählt mir eine der vergewaltigten Frauen.

Als der Helikopter wieder in Walikale landet, um uns abzuholen, hat sich ein Grüppchen pakistanischer UNO-Soldaten mit ihren Maschinenpistolen um den Flughafen postiert. In den Augen der jungen Soldaten stehen Ratlosigkeit, Angst, auch etwas Langeweile. Um das Bild zu komplettieren, fährt im Hintergrund ein Lastwagen mit Coltan oder Zinn vorbei, der offiziell natürlich nicht existiert. „Die Jungs können nicht mal sich selbst schützen“, meint der russische Helikopterpilot freundlich lächelnd. Alles weitere geht im Lärm der Rotoren unter.

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