Katja Kipping über Linken-Absturz: „Unser Verhalten war ein Fehler“

Warum ist die Linke bei der Wahl so abgestürzt? Die frühere Vorsitzende Katja Kipping sieht einen Grund in der jüngsten Enthaltung zum Afghanistaneinsatz.

Katja Kipping, ehemalige Bundesvorsitzende der Linken, beim Wahlkampfauftakt im August

Schmerzhaftes Wahlergebnis: Katja Kipping fordert, die Linke müsse sich „neu erfinden“ Foto: Matthias Wehnert/Future Image/imago

taz: Frau Kipping, die Linke liegt bundesweit unter 5 Prozent und Sie konnten das Direktmandat in Dresden nicht gewinnen. Wie tief sitzt der Frust?

Katja Kipping: Das ist ein schmerzhaftes Ergebnis. Wir haben in Dresden alles gegeben. Immerhin holte ich doppelt so viele Erststimmen wie die Partei Zweistimmen und wir konnten die AfD auf den dritten Platz verweisen. Aber in einer konservativen Stadt wie Dresden um das Direktmandat zu kämpfen war Arbeit am Wunder, zumal wenn es keinen Rückenwind durch den Bundestrend gibt.

In Leipzig hat Sören Pellmann ein Direktmandat für die Linke gewonnen. Was hat er besser gemacht?

Er hat einen großartigen Wahlkampf gemacht, und ich bin der Linken in Leipzig sehr dankbar. Leipzig ist als Stadt anders zusammengesetzt. Viele, die in Sachsen links sind, ziehen irgendwann dorthin.

Im Bund sind 4,9 Prozent für die Linke ein Desaster. Spitzenkandidat Dietmar Bartsch meinte, die Gründe dafür seien in den vergangenen Jahren zu suchen. Sie haben die Partei bis zum Februar geführt. Welche Verantwortung tragen Sie persönlich für das schlechte Abschneiden der Linken?

Bis kurz vor der Coronakrise zum Ende meiner Amtszeit lagen wir immerhin bei 10 bis 11 Prozent. Und dann kamen äußere Umstände, auf die wir zunächst keinen Einfluss hatten: Die Coronakrise und ein Bundestagswahlkampf, der stark auf Trielle fokussiert war. Aber natürlich haben wir auch Fehler gemacht.

Welche?

Spätestens am Abend der Europawahl im Mai 2019 war mir klar, dass wir an einem Punkt nachsteuern müssen. Die Frage der sozialökologischen Transformation steht dringend im Raum. Um soziale und ökologische Krisen zu entschärfen, braucht es auch die Machtinstrumente der Regierung. Insofern reicht ein rein rhetorisches Bekenntnis zu Regierungsverantwortung nicht. In der Breitenwirkung fehlte es uns da an Ernsthaftigkeit und Klarheit.

Über 1,4 Millionen Wäh­le­r:in­nen sind von der Linken zu SPD und Grünen abgewandert. Was zeigt das?

Das zeigt ganz klar, dass unsere Wäh­le­r:in­nen nicht einfach mehr Krawall wollen, sondern ernsthaft eine Durchsetzungsperspektive suchten. Die wir nicht bedienen konnten.

Horst Kahrs von der Rosa-Luxemburg-Stiftung bemängelt in seiner Wahlanalyse, dass der Linken bereits seit 2012 eine schlüssige Erzählung fehlt, wohin sie will und was sie mit der Gesellschaft vorhat.

Die Strategie war da, aber wir sind damit nicht durchgedrungen. Unser Außenbild wurde stark durch Wortmeldungen einiger weniger bestimmt, die für Irritationen sorgten. Zum Beispiel in der Außenpolitik entstand der falsche Eindruck, dass wir eher an der Seite von Despoten Politik machen wollen.

43, sitzt seit 2005 im Bundestag und war bis Anfang 2021 Vorsitzende der Linken. Sie ist als Listenkandidatin erneut ins Parlament eingezogen.

Sie meinen Frak­ti­ons­kol­le­g:i­nnen wie Sevim Dağ delen, Heike Hänsel und Andrej Hun­ko, die auch gegen die Afghanistanevakuierung durch die Bundeswehr stimmten?

Ich will keine Namen nennen. Aber was ich am Infotisch, egal ob in der Plattenbausiedlung in Dresden oder im tiefsten Erzgebirge oft gehört habe: Euer Verhalten bei der Abstimmung zum Evakuierungseinsatz in Afghanistan war ein Fehler. Wir waren vorher argumentativ mit unserer Kritik an Militärinterventionen und dem Versagen des Westens in Afghanistan in der Offensive. Mit der Abstimmung gerieten wir in die Defensive. Unser Verhalten war ein großer Fehler.

Welche Verantwortung trägt die Fraktion, die von Bartsch und Amira Mohamed Ali geleitet wird?

Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Wir müssen gemeinsam die richtigen Lehren für die Zukunft ziehen.

Manche Ge­nos­s:in­nen geben Sahra Wagenknecht die Schuld für das miese Wahlergebnis. Sie habe mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ polarisiert und verschiedene Anliegen – Klimapolitik, Identitätspolitik und Sozialpolitik – gegeneinander gestellt. Haben sie recht?

Ich bleibe dabei, dass uns persönliche Schuldzuweisungen nicht weiterbringen. Ich kann nur sagen, dass sowohl Sören Pellmann als auch ich auf eine verbindende Politik gesetzt haben, eine, die sowohl Streikende unterstützt als auch in Plattenbau- wie Univierteln präsent ist. Die Gesellschaft ist eh schon gespalten und die vielen, die keine Lobby haben, stärkt man nicht, indem man anfängt, sie gegeneinander auszuspielen. Wir müssen die Klimakatastrophe abwenden und soziale Krisen entschärfen. Hier hätten wir als Linke eine wichtige Rolle spielen können.

Hätte. Nun reicht es nur noch dank dreier Direktmandate zum Einzug in den Bundestag. Die Fraktion hat sich fast halbiert. Welche Rolle wird die Linke noch spielen?

Wir werden unsere Arbeitsweise umstellen müssen. Müssen effizienter werden und stärker prüfen, womit wir nach außen strahlen können. Wir müssen uns neu erfinden. Es kann jetzt nicht so weitergehen wie bisher.

Das bisherige Machtbündnis aus Reformern und Ultra-Linken, welches die Linke inhaltlich gelähmt hat, ist passé?

Ich hoffe auf die kollektive Weisheit, dass wir jetzt nur gemeinsam einen Neuaufbruch schaffen. Alle wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, jetzt eine Politik zu fahren, die einen beachtlichen Teil der Fraktion ausschließt.

Muss die Linke jetzt eine Debatte darüber führen, wen sie ansprechen und vertreten will, und braucht sie ein neues Grundsatzprogramm? Das Erfurter Programm ist immerhin schon 10 Jahre alt.

Als erfahrene Straßenwahlkämpferin weiß ich, dass es Unsinn ist, verschiedene Milieus gegeneinander auszu­spielen. Aber wir müssen auf jeden Fall ein paar Punkte klären. Wir müssen zum Beispiel noch einmal deutlich machen, wie eine Friedenspolitik aussieht, die Abrüstung und Abkehr von Interventionspolitik wirklich durchsetzt. Den falschen Eindruck, wir seien für Isolationismus, müssen wir richtigstellen.

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