Von Fledermäusen und Hainbuchen: Wenn der Hambacher Wald spricht
In diesen Tagen ist der Wald bei Köln Kulisse für gesellschaftliche Konflikte. Aber was ist dort eigentlich zu finden? Schnöder Forst oder seltenes Biotop?
Der Habicht bleibt unsichtbar, ruft noch einmal über den Blättern der Eichen und Buchen im dichten Kronendach. Darunter, in der zweiten Etage, wachsen die Hainbuchen, an denen Efeureben zum Licht streben. Hier und dort stehen Wurzelteller senkrecht, wie umgekippte Esszimmertische, an denen statt Tischbeinen ganze Bäume hängen. Ein Sturm hat sie gefällt und eine Lücke im Blätterdach geschaffen, durch die nun das Licht bis auf den Boden fällt. Die nächste Generation Eichen und bleistiftzarte Linden buhlen unter fingerdicken Hainbuchen um das Sonnenlicht. Sie machen das, was jeden Waldbesitzer jauchzen lässt: Sie verjüngen den Wald auf natürliche Weise. Baumstümpfe ragen aus dem Boden, von Mikroben und Pilzen zu Kästchen zerfressen. Drei, vier Eichen weiter klebt deckweißartig ein feuchter Greifvogelschiß am Fuße einer beindicken Ulme. Taubenfedern liegen auf dem Laub, gerupft und nicht gebissen, die Reste einer Habichtmahlzeit.
Der Hambacher Wald steht als Symbol für die deutsche Klimaschutzpolitik, die in der Welt tönt und zu Hause nicht viel hinbekommt. Nach diesem Wochenende steht der Hambacher Wald auch für das Versagen der nordrhein-westfälischen LandespolitikerInnen, die die UmweltaktivistInnen mithilfe von Polizeihundertschaften aus dem Wald holen ließen. Dieser Konflikt markiert längst nicht mehr nur für die Waldschützer ein gesellschaftspolitisches Versagen, das in einer Reihe mit den großen industriepolitischen Auseinandersetzungen des Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern steht: Wackersdorf, Gorleben, Hambacher Wald.
Die gut 200 Hektar Bäume sind jedoch kein Symbol. Sie bilden das Rückgrat des Ökosystems Wald, das die nordrhein-westfälische Landesregierung nicht schützt, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet wäre. Bechsteinfledermäuse leben hier. Deren Lebensraum darf laut Paragraf 44, Absatz 3 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht zerstört werden.
Einer der letzten natürlich wachsender Wälder
Der BUND Nordrhein-Westfalen klagt deshalb gegen das Land Nordrhein-Westfalen. Im entscheidenden Verfahren muss das Oberverwaltungsgericht Münster demnächst entscheiden, ob der Hambacher Wald unter die FFH-Richtlinie der EU fällt. FFH steht für Flora-Fauna-Habitat und ist ein europäisches Rechtsgut. Der Wald wäre als FFH-Gebiet nicht mehr Sache der Deutschen, sondern ein EU-Schutzgebiet. Damit wäre der Wald gerettet.
Der Hambacher Wald ist einer der seltenen natürlich wachsenden Wälder in Deutschland. Die Bäume wachsen, wie sie wollen, mit Pilzen zwischen den Wurzeln und Sämlingen rund um den Stamm. Sie drängen zum Licht, faulen, sterben, fallen und sind tot eine Quelle des Lebens für Würmer, Käfer, Spechte, Fledermäuse. Wenn der Wald verschwindet, stirbt die Hoffnung, dass die Tiere und Pflanzen sich eines Tages in der zersiedelten Region ausbreiten können.
Die Bahngleise der RWE-Werksbahn, eine alte ungenutzte Autobahn, eine neue Autobahn, noch mal Gleise zerteilen die Landschaft, darin Äcker, Felder, Waldrelikte und auch der Hambacher Wald. Aus der Luft betrachtet wird klar, welche Strecken die Samen von Birke, Ahorn und Linde zurücklegen müssen, um auf den Boden zu fallen. Vielleicht fliegen Eichelhäher zwischen den Waldresten und tragen Eicheln und auch mal eine Buchecker hin und her. „Mein bester Waldarbeiter“ nennen Förster den Eichelhäher, denn er hackt mit dem Schnabel ein Loch in den Boden, legt eine Eichel hinein, um sie später zu fressen, lässt sie dort oft genug liegen und pflanzt so Eichen, wie kein Mensch einen Wald schaffen könnte.
Aus den Wäldern rund um den Tagebau müssen eines Tages die Samen und Sporen, die Tiere und Pflanzen kommen, die die sandige Grube wieder fruchtbar machen. 85 Quadratkilometer wüstes Land, 85.000 Hektar durch- und durchgewühlt im Tagebau. Es wird Jahrzehnte dauern, bis sich wieder nahrhafte Erde auf dem Sand gebildet hat. Bis 2040 will RWE dort baggern und danach die Bergbaufolgelandschaft erblühen lassen. Tiere, Pflanzen und die mit ihnen in Symbiose verbündeten Bakterien und Pilze müssen bis dahin irgendwo überleben, um das zu unterstützen, was die Landschaftsplaner Renaturierung nennen.
Wie eine Arche erhebt sich der Hambacher Wald zwischen Äckern und dem größten Braunkohletagebau Deutschlands. Haselmäuse flechten ihre Nester aus Laub und Gras in die Hecken, Kreuzspinnen weben Netze zwischen Holunder und Linde, ein Laufkäfer drückt mit seinem dicke Kopf einen modernden Ast auseinander, um an das weiche Innere zu gelangen. 142 geschützte Arten unter den Säugetieren, Vögeln, Insekten hat die Umweltschutzorganisation BUND im Hambacher Wald gezählt. 1.600 Käferarten haben die Naturschützer in dem alten Mischwald entdeckt, den die Menschen der Region Bürgewald nennen, so wie ihre Eltern und Großeltern davor.
Forst oder Wald? Das ist keine semantische Frage
Der Tagebau Hambach hat zu Beginn des Braunkohleabbaus in dem damals noch 4.100 Hektar großen Bürgewald seinen Namen verpasst: Hambacher Forst. Forst bedeutet, dass es hier um Wirtschaft und nicht um Natur geht, und diese semantische Feinheit ist keine Wortklauberei, sondern Politik. Denn Forst ist gepflanzt, einem Acker gleich. Forst kommt unter den Harvester, eine Maschine auf fetten Rädern, die zwischen den Bäumen fuhrwerkt, sie fällt, durch Greifzangen zieht, die Äste entfernt, entrindet und die Stämme innerhalb von Minuten transportabel portioniert. Wald hingegen bedeutet Natur und das, was heutzutage dermaßen selten ist, dass Investmentbanker es mit Geld beziffern wollen, um es als Kapitalanlage zu vergolden: die biologische Vielfalt.
Dirk Jansen vom BUND Nordrhein Westfalen geht es ganz bestimmt nicht um die Ökonomisierung der Natur, wenn er beharrlich vom Hambacher Wald spricht. „In Größe und Qualität ist dieser Eichen-Hainbuchen- und Buchenwald von herausragender Bedeutung“ sagt er. „Da wächst ein seit der Nacheiszeit kontinuierlich bestehender Dauerwald mit einer großen Artenvielfalt.“
Strolcht man durch die Bäume und Büsche, steht völlig außer Frage, dass es ein Wald ist, selbst wenn einige der früheren Waldbesitzer ihre Schläge mit ortsfremden Fichten bepflanzt haben. Das mit den Fichten ging wohl im 19. Jahrhundert los, so groß und harmonisch, wie sich die Bäume heute zwischen die Eichen und Buchen fügen. Auf einer feldartigen Pflanzung mitten im Wald stehen die Fichten auch in Reihe, so wie man das in den vergangenen einhundert Jahren gemacht hat. Ein Förstchen im Wald.
Ein geschützter Wald, der nicht geschützt wird
Die Rote Waldameise hat die Fichten in das Ökosystem eingebunden und nach und nach vier Hügelnester entlang der sonnenbeschienenen Kante der Fichtenschonung gebaut. Der Boden sirrt inmitten dieser Superkolonie, Tausende Ameisenbeine trappeln über Laub und Nadeln und stärken vom Boden aus das System Wald. Förster erkennen an der Dichte von Ameisenhügeln, wie gesund der Wald ist. Und weil die Waldameise systemrelevant für die biologische Vielfalt im Wald ist, wurde sie schon vor 200 Jahren gesetzlich geschützt. Das Umweltministerium NRW gibt unumwunden zu, aus wirtschaftlichen Gründen den Hambacher Wald nicht als europäisches FFH-Gebiet geschützt zu haben. „Der Hambacher Forst entsprach zum Zeitpunkt der Gebietsauswahl in vielerlei Hinsicht den Anforderungen der FFH-Richtlinie“, schreibt das Umweltministerium NRW am 16. 3. 2016 an den BUND Kreisgruppe Rhein-Erft. „Er wurde jedoch nicht für eine Meldung in Betracht gezogen, weil der im Jahre 1977 genehmigte Braunkohlenplan seine vollständige Inanspruchnahme vorsah und damit eine rechtliche Bindung vorlag.“
„Laut FFH-Richtlinie dürfen Meldungen aus wirtschaftlichen Gründen nicht unterlassen werden“, sagt Thomas Krämerkämper, der stellvertretende Landesvorsitzender des BUND Nordrhein-Westfalen. Er hofft, dass das Oberverwaltungsgericht Münster entscheidet, bevor die Harvester von RWE den Wald vollständig zerlegt haben.
Im Hambacher Wald liegen zwei Wochenstubenkolonien der gesetzlich geschützten Bechsteinfledermaus. Die Fledermausart findet nur noch selten alte Laubmischwälder, in denen ausreichend dicke und absterbende Bäume stehen, so wie im Hambacher Wald. Fast überall in Deutschland wurden diese Wälder schon gerodet, aufgeforstet mit Fichten und Kiefern. Die Weibchen der Bechsteinfledermäuse brüten am liebsten in alten Spechthöhlen in Eichen und Buchen. Die Fledermäuse sind gerade so groß wie eine Streichholzschachtel, wiegen nicht mehr als 13 Gramm und ziehen ihre Jungen in Wochenstubengemeinschaften auf. Alle Weibchen sind miteinander verwandt. Verschwinden Cousinen aus der Gemeinschaft, können nicht einfach fremde Tanten mit ihrer Brut einziehen. Und umgekehrt. Haben sie ihre Brutbäume verloren, können sie nicht im nächsten Wald um Asyl bitten.
Asyl für die Bechsteinfledermaus
Zudem sind die Bechsteinfledermäuse sehr traditionell. Jedes Frühjahr fliegen sie aus ihrem Winterquartier wieder in denselben Wald. Sie geben das Wissen der Bäume auch an ihre Nachkommen weiter, denn die Kommune der Mütter braucht einen Verbund von alten Bäumen, in denen Spechte schon eine Höhle gehackt haben. Alle zwei, drei Tage ziehen die Fledermäuse um, sodass die Kolonie 30 bis 50 Baumhöhlen im Laufe eines Sommers bewohnt. Nistkästen finden die Bechsteinfledermäuse uninteressant.
„Die Bechsteinfledermaus gilt als selten mit inselartigen Vorkommen“, schreiben die Beamten des Bundesamts für Naturschutz in einer Analyse. Auf einer Deutschlandkarte haben sie die Gebiete der Bechsteinfledermaus markiert, die wie einsame Eilande auf weiter Fläche liegen. Im norddeutschen Flachland und weiten Teilen Nordrhein-Westfalens ragen die Archipele einzeln hervor.
Aus Knochenfunden wissen BiologInnen, dass die Bechsteinfledermaus in der Vergangenheit auch im Flachland gelebt hat. „Die inselartige Verbreitung und das Fehlen der Art in großen Teilen des Nordwestdeutschen Tieflands ist ein Ergebnis der derzeitigen Waldbestockung Deutschlands, als dass es das natürliche Ausbreitungsmuster der Art abbildet“, heißt es in der Analyse des Bundesamts für Naturschutz.
„Die Zukunftsaussichten für die Bechsteinfledermaus sind „ungünstig–unzureichend“, schreibt das Amt in einer internen Bewertung, die der taz vorliegt. Denn: „Als weitere relevante Gefährdungsursache ist der Lebensraumverlust durch Rodungen im Rahmen von Infrastrukturmaßnahmen oder für Abbauvorhaben, z. B. das großflächige Verschwinden von Eichen-Hainbuchen-Wäldern im Rahmen von Braunkohletagebauen, zu nennen.“ Einzig in 23 ausgewiesenen FFH-Gebieten hat die Bechsteinfledermaus eine Chance. Die Aussichten und die Gebiete beurteilt das Bundesamt zwischen „gut“ und „signifikant (mittel–gering)“. Mit anderen Worten: Auch in den nach europäischem Recht geschützten Gebieten muss die Bundesregierung zusehen, dass sie den Lebensraum der artenschutzrechtlich geschützten Bechsteinfledermaus erhält.
Der gesetzliche Auftrag für den Schutz gilt auch außerhalb der FFH-Gebiete. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) möchte die „Verantwortungsart Bechsteinfledermaus“ fördern. Mit einem Programm soll das Tier gepäppelt werden. Im Hambacher Wald würde es ausreichen, wenn Schulze und ihre Düsseldorfer Kollegin Ursula Heinen-Esser (CDU) das Bundesnaturschutzgesetz anwenden würden. In dessen Paragraf 44 steht unmissverständlich: „Es ist verboten, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.“
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