Aktivist*innen besetzen leeres Haus: 40 Wohnungen übernommen
Berlin erlebt die größte Besetzungsaktion seit Langem: Aktivist*innen haben ein seit fünf Jahren leer stehendes Haus in Neukölln übernommen.
Unterdessen machen Bilder und Nachrichten von weiteren besetzten Häusern in Steglitz, Friedrichshain und Köpenick die Runde. Ob es sich dabei um echte oder nur um vorgetäuschte Besetzungen handelt, ist nicht klar. Eindeutig ist die Lage in der Reichenberger Straße 114 in Kreuzberg. Hier haben sich AktivistInnen des vor einem Jahr geräumten linksalternativen Kiezladens Friedel 54 ein Ladenlokal in einem Haus des Immobilienkonzerns Akelius angeeignet. Berlin erlebt an diesem Sonntag die größte Besetzungsaktion seit Langem.
„Wir wollen die Häuser dem freien Markt entziehen“, sagt Sommer zum Ziel ihrer Aktion. Dafür haben sich, so erzählt sie, ein halbes Dutzend politischer Gruppen schon vor Monaten zusammengetan, um die Aktionen zu planen. In der Stadt, die inzwischen in allen Bezirken von Gentrifizierung und enormen Mietsteigerungen betroffen ist, geht es den AktivistInnen um Grundsätzliches: „Wir wollen nicht nur über die soziale Nachjustierung von neoliberaler Politik reden, sondern über radikale Alternativen.“ Nutzen wolle man, so Sommer, die „Dynamik der gesellschaftlichen Debatte um Wohnraum“. Vor einem Monat waren 25.000 Menschen zur Mietenwahnsinn-Demo auf die Straße gegangen.
Das Haus, vor dem Sommer im strahlenden Sonnenschein steht, gehört dem kommunalen Wohnungsbauunternehmen „Stadt und Land“. Nach Recherchen der BesetzerInnen steht es seit fünf Jahren leer. Auf dem Klingelschild sind keine Namen mehr zu erkennen, einige Fensterscheiben in den oberen Stockwerken sind kaputt. Das städtische Unternehmen hatte das Haus 2015 gekauft, die Ausschreibung für eine Generalsanierung 2016 verlief ergebnislos.
Es sind 40 Wohnungen von geschätzt etwa 100.000, die stadtweit leer stehen. Eine Vorstellung, wer hier bei einem dauerhaften Erfolg der Besetzung einmal wohnen soll, haben die AktivistInnen noch nicht, das soll gemeinsam mit der Nachbarschaft erarbeitet werden. Noch während AktivistInnen mit Holzbalken und Akkuschraubern die Haustür verstärken, ziehen andere durch die umliegenden Straßen, um Flyer in die Briefkästen zu stecken. Unterdessen steht vor dem Haus ein Nachbar, der zufällig auf die BesetzerInnen gestoßen ist. Er begleitet sie auf seinem Akkordeon mit „Let it be“.
Hoffnung auf Kompromissbereitschaft
20 Minuten nachdem die ersten BesetzerInnen das Haus betreten haben, sind in der ersten Etage bereits Gemeinschaftsräume eingerichtet, mit Teppichen und Grünpflanzen. Eine junge Frau hat es sich auf einem Sessel bequem gemacht. Von der Polizei ist zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu sehen.
Die Auswahl des Hauses ist auch eine Kritik an den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften: „Das sind immer noch profitorientierte Kapitalgesellschaften, die Wohnraum auch gerne für 12-15 Euro pro Quadratmeter vermieten“, so Sommer. Die „Stadt und Land“ sei zudem jene der fünf öffentlichen Gesellschaften, die am häufigsten zwangsräumen lasse.
Trotz der Kritik spielte bei der Auswahl des Hauses auch die Hoffnung eine Rolle, dass das Unternehmen die Besetzung zunächst tolerieren könnte und nicht sofort die Polizei um eine Räumung bittet. „Wir stehen für Verhandlungen bereit“, sagt Sommer. Das Unternehmen sei bereits angeschrieben worden. Insgeheim hoffen die BesetzerInnen auch darauf, dass der rot-rot-grüne Senat nicht so kompromisslos auf Besetzungen reagiert, wie seine Vorgänger. Die Linksfraktion etwa beschloss im März auf ihrer Klausurtagung ein Papier, in dem die „Entkriminalisierung von Wohnraumbesetzungen unter bestimmten Bedingungen“ gefordert wurde.
Die Besetzungen am Sonntag waren von der Initiative #besetzen schon seit Wochen angekündigt worden. Das auf ihrer Website veröffentlichte Manifest unter der Überschrift „Paläste für alle, statt Wohnraum als Ware“ ist eine Anklage gegen neoliberale Stadtpolitik. Mehr als eine Stunde nach Beginn der Besetzung erreichen die ersten Polizisten das aus. Die AktivistInnen richten sich derweil weiter ein.
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