Energieexperte über Klimaziel: „Es muss nachgelegt werden“

Dass Union und SPD das 2020-Klimaziel aufgeben, überrascht Patrick Graichen, Chef des Thinktanks Agora, nicht. Er hofft trotzdem auf konkrete Maßnahmen.

Ein Erdball hängt von der Decke

Rettung verschoben? Erdball auf der Klimakonferenz in Bonn Foto: dpa

taz: Herr Graichen, im Sondierungspapier erklären Union und SPD, dass das Klimaziel für 2020 nicht mehr zu erreichen sei. Verabschiedet sich Deutschland damit vom Klimaschutz, oder ist das einfach nur ehrlich?

Patrick Graichen: Innerhalb von zwei Jahren 150 Millionen Tonnen CO2 einzusparen, ist tatsächlich unrealistisch, wenn man nicht zu sehr drastischen Maßnahmen greifen will. Insofern habe ich dieses Ergebnis erwartet.

Stattdessen will die Groko jetzt nur versuchen, die Klimaschutzlücke „so weit wie möglich“ zu schließen. Nimmt man damit nicht jeden Druck aus den Verhandlungen? „Möglich“ ist schließlich ein sehr dehnbarer Begriff.

Die Frage, wie nahe man an das 2020er-Ziel rankommen wird, wollen die Koalitionäre erst im Laufe dieses Jahres klären. Und da wird es dann tatsächlich eng. Binnen eines Jahres noch nennenswerte Emissionsminderungen zu bekommen, geht nur über die Abschaltung von Kohlekraftwerken verbunden mit Entschädigungszahlungen. Die Abschaltungen von Kohlekraftwerken für das 2030-Ziel, so ab 2023, werden dagegen vermutlich entschädigungsfrei laufen.

Aber haben nicht Ihre eigenen Experten kürzlich noch erklärt, dass ein entschädigungsfreies Abschalten auch 2020 möglich ist?

Ja, aber nur, wenn man sofort gehandelt hätte. Die Übergangsfrist, die auch verfassungsrechtlich notwendig ist, beträgt anderthalb bis zwei Jahre. Das ist nicht mehr möglich, wenn erst in Laufe dieses Jahres eine Kommission über den Ausstiegsfahrplan entscheidet.

ist seit 2014 Direktor des Thinktanks Agora Energiewende.

Das 2020-Ziel wurde 2007 beschlossen. Nach zehn Jahren stellt man dann fest, dass dieses „kurzfristige“ Ziel jetzt nicht mehr zu erreichen ist. Nun will man sich auf 2030 konzentrieren. Drohen also wieder 10 Jahre Untätigkeit?

Diese Gefahr besteht. Deswegen muss zwingend Teil des Pakets sein, dass man 2018 ein konkretes Maßnahmenpaket für 2030 beschließt. Sonst läuft man im Jahr 2027 in die gleiche Situation, die wir jetzt haben.

Kann das gelingen?

Was die Kohle angeht, bin ich vorsichtig optimistisch. Dafür ist im Sondierungspapier mit der Kommission ein Weg angelegt. Und im Stromsektor wird mit 65 Prozent Erneuerbaren bis 2030 ein neuer Wert genannt, der ausreichend ist, um die Ziele in diesem Sektor zu erreichen. In diesem Bereich sind die Fakten so klar, dass es im Papier auch durchdekliniert wurde.

Wie sieht es bei den anderen Sektoren aus?

Zum Thema Wärme und Verkehr findet sich im Sondierungsergebnis nur ein Satz. Da ist alles noch so vage, dass dringend nachgelegt werden muss – sonst bauen wir die Zielverfehlung 2030 gleich mit ein. Erfreulich ist hingegen, dass ein Klimaschutzgesetz angekündigt wird. Das kann viel bringen – aber auch hier kommt es darauf an, was genau drinsteht.

Nicht erwähnt wird im Papier die von vielen Experten geforderte CO2-Steuer. Wie enttäuschend ist das?

Diese Diskussion ist noch nicht vorbei. Der französischen Präsident Macron wird nicht lockerlassen, Frankreich wird vorpreschen. Es ist völlig klar, dass man um eine stärkere CO2-Bepreisung nicht herumkommt, wenn man effizienten Klimaschutz in Europa hinkriegen will. Deswegen wird diese Diskussion über Europa mit Macht nach Deutschland kommen.

Deutschland war bisher eins der wenigen großen Industrieländer, die ein anspruchsvolles Klimaziel für 2020 hatten. Was sendet es international für ein Zeichen aus, wenn das jetzt aufgegeben wird?

Wenn Deutschland im Jahr 2020 deutlich mehr als 35 Prozent Minderung schafft, kann man da noch erhobenen Hauptes rausgehen. Wenn wir eher bei 30 Prozent landen, wäre das tatsächlich ein fatales Signal.

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