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EU schiebt Flüchtlinge illegal zurückRabiater Rechtsbruch

Flüchtlinge werden von der griechischen Küstenwache gezwungen, auf türkische Boote umzusteigen. Ein Frontex-Boot ist dabei in Sichtweite.

Dieses von Flüchtlingen gemachte Foto zeigt das erzwungene Umsteigen vom Boot der griechischen Küstenwache auf das der türkischen. Im Hintergrund das Schiff im Frontex-Einsatz Foto: Watch the Med

Berlin taz | Drei Tage hatten sie im Versteck gewartet, in der Nacht auf den vergangenen Freitag gaben die Schlepper ihnen dann das Zeichen zum Aufbruch: Sie brachten 39 Männer und Frauen sowie 14 Kinder aus Syrien, Eritrea und dem Irak an den Strand von Altınkum Plajı, südlich von Izmir. Die Flüchtlinge bestiegen ein Boot, um vier Uhr in der Früh fuhren sie los. Das sichere Europa – von hier aus liegt es in Sichtweite, die Insel Chios ist nur etwa 15 Kilometer entfernt. Doch bis dahin kamen sie nie.

SyrerInnen auf der Flucht kommunizieren über offene WhatsApp-Gruppen miteinander. So können sie sich gegenseitig über mögliche Gefahren auf dem Laufenden halten. Ein kollektiver Schutzmechanismus auf einer hochriskanten Reise. Manche, die Europa bereits erreicht haben, lesen die Nachrichten in diesen Gruppen ständig mit, um im Notfall Hilfe leisten zu können.

Einer von ihnen ist der 27-jährige Ayham R. Er arbeitet mit dem Projekt “Watch the Med Alarmphone“ zusammen und ist selbst im Oktober mit einem Boot über die Ägäis und dann nach Deutschland gekommen. Sein Asylverfahren in München läuft derzeit. In der Nacht zum vergangenen Freitag verfolgte R. die Nachrichten aus dem Boot vor Chios. „Um 4.52 schickten sie ein Bild mit der Nachricht, sie seien von einem Boot der griechischen Küstenwache aufgenommen worden“, sagt R. der taz. Die Flüchtlinge baten die Beamten um Asyl in Europa, die Griechen aber hätten ihnen verboten, weiterzusprechen.

Eine halbe Stunde später schicken die Flüchtlinge per WhatsApp die Nachricht, dass sie nicht nach Griechenland gebracht werden. Stattdessen würden sie der türkischen Küstenwache übergeben, die die Griechen in der Zwischenzeit gerufen hatten. R. rief daraufhin eine der Telefonnummern der Flüchtlinge an. „‚Sie halten Waffen auf unsere Köpfe und drohen zu schießen, wenn wir nicht auf das türkische Boot umsteigen‘ “, habe einer der Syrer ihm berichtet, sagt R..

Dann brach der Kontakt ab

Der Einsatzleiter habe jene Flüchtlinge, die Englisch können, aufgefordert, den folgenden Satz zu übersetzen: „Sag ihnen, dass ich euch umbringe, wenn ihr noch einmal hierherkommt.“ Dann brach der Kontakt zwischen R. und den Menschen in dem Boot ab.

Erst nach einigen Stunden konnte R. wieder eine der Nummern aus der WhatsApp-Gruppe erreichen. Die Flüchtlinge berichteten ihm, sie seien im türkischen Cesme zunächst ins Gefängnis gebracht, aber nach und nach freigelassen worden.

Für den Deal zur Flüchtlingsabwehr zwischen der EU und der Türkei gelten die Regeln der UN-Flüchtlingskonvention: Niemand darf ohne individuelles Verfahren zurückgeschickt werden, stets muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob besondere Schutzbedürftigkeit vorliegt, ob Flüchtlinge nach einer Zurückschiebung sicher sind. Doch die sogenannten Hotspots in Griechenland sind voll, die Lage dort ist katastrophal, über 50.000 Flüchtlinge sitzen in Griechenland fest. Nun setzt die Küstenwache offenbar auf rabiatere Methoden der Flüchtlingsabwehr.

Bisher Beteiligung an Pushbacks immer bestritten

Seit Jahren hatten Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, Amnesty und Pro Asyl Aussagen über gewaltsame, teils tödliche Pushback-Aktionen durch die griechische Küstenwache gesammelt. Die EU-Grenzagentur Frontex hatte stets bestritten, an diesen Aktio­nen beteiligt gewesen zu sein.

Bilder, die einige der zurückgeschobenen Flüchtlinge am Freitag mit ihrem Handy aufgenommen haben, zeigen nun aber deutlich ein Schiff der rumänischen Küstenwache in unmittelbarer Nähe. Seit etwa 2009 werden eben diese rumänischen Schiffe im Rahmen von gemeinsamen Frontex-Missionen in die Ägäis entsandt.

In der Warschauer Frontex-Zentrale ist man schnell auf den Vorfall aufmerksam geworden: „Wir sammeln derzeit alle notwendigen Informationen und führen eine gründliche Analyse der Fakten durch“, sagte ein Sprecher der taz. Am Montag habe es in der Angelegenheit ein Treffen von Frontex und Vertretern der griechischen Küstenwache in Piräus gegeben. Man habe „um zusätzliche Fakten und Aufklärung über diesen Vorfall“ gebeten. Die „Untersuchung läuft“, so der Sprecher.

„Pushbacks sind illegal“, sagte die grüne EU-Abgeordnete Ska Keller. Wenn sich die Schilderung der syrischen Flüchtlinge bestätigt, sei dies „eindeutig ein Verstoß gegen europäisches und internationales Recht“. Der Fall müsse untersucht werden, sagte Keller. Vor allem Frontex müsse dann erklären, warum es Pushbacks nicht verhindert hat. „Auch die EU-Kommission wäre dann gefragt. Sie ist die Hüterin der EU-Verträge und darf nicht zulassen, dass eine EU-Agentur bei Rechtsbrüchen wegsieht.“

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22 Kommentare

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  • Griechenland, selber Opfer verbrecherischer Politik, kann nicht anders.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Ich bitte Sie. Griechenland ist keine faschistische Diktatur oder von Nationalsozialisten besetzt. sondern hat eine linke Regierung die dafür auch verantwortlich ist.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Rudolf Fissner:

        Ich bitte Sie.

        @DEIN CHEF hat das auch nicht behauptet.

  • Zweifelhaft ist, ob sogenannte Push-Back-Operationen in die Türkei tatsächlich illegal sind. Die EGMR Rechtsprechung gilt für Libyen und alle anderen afrikanischen Transitstaaten, in denen Flüchtlingen eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung oder sogar Folter drohen.

     

    Da Zurückweisungen ohne individuelle Prüfungen in ein sicheres Land an der Grenze auf dem Landweg bekanntlich zulässig sind, muss dieser Grundsatz auch für den Seeweg gelten. Solange die weitere Rückführung ohne Schaden für Leib und Leben der Migranten durchgeührt werden kann, ist dies im Falle der Türkei in der Folge vollkommen unproblematisch.

  • "Niemand darf ohne individuelles Verfahren zurückgeschickt werden, stets muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob besondere Schutzbedürftigkeit vorliegt, ob Flüchtlinge nach einer Zurückschiebung sicher sind."

     

    Ist die Türkei ein Kriegsgebiet?

    Nein - weder die Türkei, noch Griechenland oder sonst ein europäisches Land, mit Ausnahme der Ukraine, sind von Krieg auch nur bedroht.

    • @Jens Frisch:

      Gerade bei der Türkei wäre ich mir da nicht so sicher:

       

      Die Konflikte zwischen türkischer Regierung und kurdischen Gruppierungen sind zur Zeit auf einer hohen kriegerischen Eskalationsstufe. Und weil nicht jeder zwischen den Fronten stehen will, wird aus dem Konflikt zwischen Regierung und Gruppierungen mehr und mehr ein Konflikt zwischen Türken und Kurden.

       

      Auch unter den syrischen Flüchtlingen sind Kurden. Insbesondere für sie ist die Türkei kein sicheres Land.

      • @Ein alter Kauz:

        Na dann sollte das Auswärtige Amt dringend eine Reisewarnung aussprechen und Reisen dahin verbieten: Türkei ist nicht sicher. Das gleiche dann auch für die vielen anderen "unsicheren" Staaten, laut Grüner Definition.

  • ..EU schiebt illegale Flüchtlinge zurück...

     

    Was ist daran falsch? Das ist ganz rechtmäßiges Vorgehen ,selbst für Einwanderungsländer wie Australien und Kanada.

    • @Bello:

      Ähm nein? Wie kommen Sie darauf? Illegale Einwanderer werden abgeschoben, aber Asyl kann man auch beantragen, wenn man die Grenze ohne Erlaubnis überquert hat.

  • Natürlich kann dieses Verfahren zu "Ungerechtigkeiten" führen. Das versteht sich von selbst. Das ist SEHR bedauerlich, aber dennoch nicht zu vermeiden und hinzunehmen. Warum?

    Ganz einfach:

    Die Kommentatoren sollten - wenigstens ein einziges Mal - die praktischen Konsequenzen ihrer "Argumentation" zu Ende denken.

    Wenn Deutschland (95 Prozent aller Flüchtlinge die nach "Europa" wollen meinen mit "Europa" Deutschland, auch das ist eine WAHRHEIT die man nicht unterschlagen sollte!), JEDEN, der an der deutschen oder europäischen Grenze steht und "Asyl" begehrt, ein - praktisch unbegrenztes - Aufenthaltsrecht in Deutschland zuspricht (bekanntlich können Asylverfahren "ewig" dauern wenn sie durch die Instanzen gezogen werden!) zwecks "gründlicher Prüfung" seines Begehrens, wird damit zweierlei "erreichen":

     

    1. Eine völlige ÜBERFORDERUNG Deutschlands in jeder Hinsicht, namentlich in der praktischen Umsetzung (Unterkunft, Schule, Ausbildung, Integration, Sprachkurse, Kosten für medizinische Versorgung, etc.........). KEIN Land dieser Welt kann so etwas - realistisch (!) leisten.

    2. Die Akzeptanz der Bevölkerung wird - zu RECHT (!) - weiter rapide schwinden

    • @Georg Dallmann:

      Sie sollten mal nach Griechenland fahren. Da kann man in einem Land, das sich seit 6 Jahren in der Krise befindet sehen, wie immer noch viele Menschen den Flüchtlingen helfen. Bei uns heißt die Devise eben: Brot für die Welt - aber die Wurst bleibt hier! Ihre Logik: Schießen sollen die anderen für uns - nur sagen wagen sie es nicht....

  • Als Erstes:

    Das ist der Versuch einer illegalen Einreise!

    Dagegen muss sich jeder Staat zur Wehr setzen!

    • @Fritzthecat:

      Das Ersuch nach Asyl ist niemals illegal!!! Es ist nur so, dass Sie werter Fritzthecat Menschenrechte einen feuchten Dreck wert sind. Das ist eine Schande! Aber Sie können sich getrost zurück lehnen: Sie befinden sich da ja wieder in guter Gesellschaft. Welcome to Nazi-Reich 2.0! Wie ich mich für diese Gesellschaft schäme. Es ist wirklich zum Erbrechen!

    • @Fritzthecat:

      KEIN MENSCH IST ILLEGAL, werter staatstreuer taz-leser!

      • @Gion :

        Der Fairness halber: Fritzthecat sprach nicht von illegalen Einwanderern, sondern von illegaler Einreise.

         

        Aber natürlich ist das trotzdem Unsinn. Es ist nicht illegal, in ein Land einzureisen und dort dann Asyl zu beantragen. Flüchtlinge haben nämlich ein Recht auf Asyl und dementsprechend haben alle Menschen das Recht, ihren Anspruch auf Asyl prüfen zu lassen.

        Sicherlich wollen viele Griechenland nur passieren, was nach EU-Recht nicht sein soll, aber

        1) woher wollen Sie das im Einzelfall bitte wissen, wenn Sie die Leute auf dem Meer abfangen

        2) darf ein "zur Wehr setzen" nicht Menschenrechtsverletzungen in Kauf nehmen, insbesondere dann nicht, wenn das zurückschicken noch auf offener See sogar gegen EU-Recht verstößt.

         

        Was hier also vorliegt ist nicht illegale Einwanderung, sondern illegale Abschiebung.

      • @Gion :

        Fritz the Cat - switch your brain on: Wo soll den jemand einen Asylantrag stellen - da wo er verfolgt wird? Schwachsinnsargument. Auf Chios dümpeln derzeit mehrere Boote verschiedener EU-Küstenwachen herum - sieh sind anscheinend für die 'Drecksarbeit' zuständig: http://medienfresser.blogspot.de/2016/05/fluchtlinge-in-chios-ankert-die-eu.html

        • @Philippe Ressing:

          "Wo soll den jemand einen Asylantrag stellen - da wo er verfolgt wird?"

           

          Für gewöhnlich da, wo man auch ein Visum erhält: In der Botschaft des jeweiligen Landes, in dem man Asyl ersucht.

        • @Philippe Ressing:

          Er soll ja keinen Asylantrag stellen sondern einen auf Einreisegenehmigung. Asylanträge sind Asylsuchenden vorbehalten.

  • Das Wegsehen in Flüchtlingsfragen hat doch bei der EU schon lange Methode (und nicht nur da, aber die könnten wirklich etwas ändern). Die Spanier hieven die Flüchtlinge in Ceuta und Melilla schon lange zurück über den Zaum, was die einheimischen rechtskonservativen Politiker auch unterstützen und offen begrüßen. Es ist ein Graus ... schreibt weiter!

  • Wie konnte das rauskommen oder passieren? Sind die Frontex-Kräfte und die NATO-Schiffe ohne Störtechnik unterwegs? Das ist fahrlässig - und bleibt sicher ein Ausrutscher. - Europa und seine Ideale/Phantasien werden von seiner Führung beerdigt. Mehrheiten könnten solche Führungen gewaltfrei beseitigen, wenn sie es denn wöllten.

  • Das ist die normative Kraft des Faktischen.

  • Alles ganz im Sinne der Kanzlerin: Die EU-Außengrenzen müssen gesichert werden - notfalls auch so......