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Debatte Neuer Kalter KriegRussland verstehen!

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Wer einen Krieg gewinnen will, muss den Gegner verstehen. Wer den Frieden erhalten will, genauso.

B ei dem, was sich seit Wochen in den verschiedenen Landesteilen der Ukraine abspielt, geht es um einen innerukrainischen Konflikt – angeheizt von außerukrainischen Interessen. Die ukrainische Zivilgesellschaft und nationalstaatliche Institutionen – von Verwaltung bis Sicherheitskräften – sind schwach ausgeprägt. Eine Abfolge korrupter Regierungen in Kiew hat dazu beigetragen. Die staatliche Einheit der Ukraine nach dem Ende der Sowjetunion ist ein Kunstprodukt, dem sich kaum jemand wirklich verpflichtet fühlt. Diese Einheit von westlicher Seite aus zum nötigenfalls sogar militärisch aufrechtzuerhaltenden strategischen Ziel zu erklären wäre ein nahezu absurder Fehler.

Staatliche Einheit kann es geben – mit ausgeprägtem Föderalismus, über dessen Ausgestaltung die Ukrainer selbst zu entscheiden hätten. Die Entscheidungsfreiheit dazu zu garantieren ist ein lohnenswertes Ziel, doch das ist weder mit der Drohung noch dem Einsatz militärischer Mittel zu erreichen.

Ja, um in der Diplomatie Erfolg zu haben, müssen beide Seiten – und das heißt derzeit: EU und USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite als selbst ernannte Sachwalter des einen oder des anderen ukrainischen Bevölkerungsteils – sicherstellen, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Ist die eine Seite, wie auf der Krim unter Beweis gestellt, zum zumindest begrenzten Einsatz militärischer Gewalt bereit und die andere nicht, ergibt sich ein Ungleichgewicht. Muss also „der Westen“ ebendiese Bereitschaft zeigen? Muss er gar Anstrengungen unternehmen, das Russland der 2010er Jahre so totzurüsten wie einst die USA die Sowjetunion der 1980er? Keinesfalls.

Nicht nur, dass es ohnehin eine militärische Überlegenheit der Nato gegenüber Russland um den Faktor 12 gibt, wenn man die Militäretats zugrunde legt. Über eine drastische Erhöhung der Verteidigungshaushalte der Nato würde sich die Rüstungsindustrie freuen, die Sozialsysteme würden kollabieren, die EU-Regierungen weiter an Legitimität verlieren. Ein strategischer Vorteil ist daraus nicht zu ziehen.

Wenn es also darum geht, die Kosten-Nutzen-Rechnung der Gegenseite ins Gegenteil zu verkehren, sind wirtschaftliche Sanktionen effektiver. Auch die haben ihren Preis, der gerade für die europäischen Länder nicht einfach zu schultern ist. Aber sie können unmittelbare Auswirkungen auf genau das haben, was Russlands Präsident Putin derzeit am meisten genießt: seine hohe Popularität.

Wenn es stimmt, dass wir am Ende der alten beziehungsweise am Beginn einer neuen Friedensordnung für Europa stehen, dann ist das Wichtigste: verstehen. Der frühere US-Verteidigungsminister Robert McNamara sagt in dem wunderbaren Dokumentarfilm „The Fog of War“, die USA hätten den Vietnamkrieg vor allem verloren, weil sie den Vietcong niemals verstanden hätten. Ohne Verstehen des Gegners ist kein Krieg zu gewinnen. Der Frieden aber auch nicht. Und um den muss es gehen. Jede andere Vorstellung ist nicht Appeasement, sondern Irrsinn.

Waffen für den Weltfrieden? Vier Debattenbeiträge:

Chefredakteurin Ines Pohl führt in den Debattenstand ein: Der Krieg in unseren Köpfen.

Daniel Bax zeigt auf, dass nicht Kriegslogik sondern Entspannungspolitik Frieden schafft, die Ablehnung militärischer Muskelspiele mithin keine Naivität, sondern Vernunft ist. Der Kriegslogik entgehen!

Dem hält Dominic Johnson entgegen, dass nur wer Stärke zeige, eine gewaltbereiten Aggressor in die Schranken weisen kann. Stärke zeigen!

Klaus Hillenbrand schließlich mahnt ein Ende der rhetorischen Gewaltspirale an, da, wer den Gegener dämonisiere, dabei das rationale Denken ausschalte und den Krieg herbeirede. Keine Dämonisierung!

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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5 Kommentare

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  • .... alles irgendwo schon mal durchgekaut .

    Der Stand der Dinge - kurz und bündig - ist der :

    Falls die Übergangsregierung versuchen sollte , mit militärischen Mitteln die Separatisten-(Föderalisten- , "Terroristen"-) Stellungen "plattzuwalzen" , wird Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Armee über die ukrainische Grenze schicken . Sollten in dem Falle die Nato-Staaten sich mit miltärischen Mitteln an die Seite von Kiew stellen , wäre bis hin zum Weltuntergang alles drin . Letzteres ist zum Glück sehr unwahrscheinlich . Wie die "Harleibigkeit" der EU-Länder in puncto mehr-als-Sanktiönchen

    zeigt , ist man nicht auf Linie der us-amerikanischen (Nato-Erweiterungs-) Geopolitik und weiterer Brüskierung Russlands (... mein Wunschdenken) .

    Der Rest ist schlicht die Zukunft - also offen .

  • Der Dokumentarfilm mag ja „wunderbar“ sein, aber McNamara war das nicht, der war eher gemeingefährlich-wunderlich verlogen, bis zum geht nicht mehr.

    Sie wissen, dass es McNamara war, der gegenüber Daniel Elsberg, während eines aus Vietnam kommenden, länger dauernden, dienstlichen Fluges sich launig geäußert hat: „Ja Daniel, genau die mir von Ihnen jetzt gerade hier gegebene Analyse, dass wir Amerikaner in der Vietnamsache bisher nur gelogen und betrogen haben, ist tatsächlich die einzig richtige Wahrheit, die auch unserem Präsidenten und der Öffentlichkeit sofort mitgeteilt werden muss.“

    Elsberg musste dann sofort nach der Landung mit anhören, wie McNamara in die öffentlichen Mikrofone verkündetet: „Die USA haben noch niemals, mit all dem so richtig gelegen, wie mit diesem Krieg in Vietnam. Ich werde dem Präsidenten empfehlen, dass wir so weiter machen sollten und auch das Kriegsgebiet dort ausweiten sollten."--

    Herr Pickert, das wissen Sie doch--weil es seit Elsberg aktenkundig ist.—Also bleibt- auch nach diesen Kriegen in Jugoslawien und Irak- nur diese bittere Wahrheit: Es sind einfach diese ethisch so abstoßend gewordenen, bigotte Supermacht des Völkerrechts sein wollenden USA, die einem den allergrößten Kummer bereiten. Das lässt für die Ukrainische Wahrheit doch nur wieder das Schlimmste befürchten.-- Interessant wäre auch die Geschichte, über die von so vielen anderen Beobachtern abweichenden, offiziellen Verlautbarungen der OSZE, jedesmal wenn ein Amerikaner einer solchen OSZE- Beobachter Gruppe vorgestanden hatte (auch eine erbärmliche Geschichte). Und ein Land mit solchen Typen, will jetzt hier, moralisch großmäulig, irgendwelchen erzieherischen Sanktionen das Wort reden.--- Einfach nur schäbig

  • 0G
    0564 (Profil gelöscht)

    Teil III

    Man droht also nicht das Geschäft mittels Waffengewalt zu einem schlechten zu machen, sondern mittels wirtschaftlicher Sanktionen, denn da herrscht anscheinend kein Gleichgewicht, der für beide Seiten blöd wäre. Nein, anscheinend kann man sich den Verlust solcher Geschäfte gut erlauben, während die andere Seite in ihrer Existenz bedroht ist und freiwillig das Feld räumt. So geht es in der Wirtschaft zwischen zwei Kapitalen ja auch ab. Man lässt also die Wirtschaft seines machtpolitischen Gegners kaputtgehen und hofft auf ein Zusammenbrechen seines Sozialsystems, um so die Herrschaft zu diskreditieren, die Popularität des Herrschers zu verringern. So gingen auch die USA gegen den Irak vor, eine halbe Million Kinder starben in der Zeit friedlicher Wirtschaftssanktionen. In „The Fog of War“ erläutert MCNamara wie er den Vietnamkrieg effizient gestaltete um den Tötungskoeffizienten des Militärs zu erhöhen, also den Kosten Nutzen eingesetzter militärischer Waffen zu verbessern. Stimmt, genutzt hat es ihnen nicht wirklich viel, aber McNamara ging seinen Job gewissenhaft gründlich nach und viel verloren haben die USA bei der Aktion auch nicht, die 3 Millionen toten Menschen waren ja kein Übel für die USA.

  • 0G
    0564 (Profil gelöscht)

    Teil II

    Gleichwichte sind da die Lösung. Jede Seite soll so viel zu verlieren haben, so dass niemand sich traut einen Schritt zu tun. Aber dieses Wissen des ringen müssens ums Gleichgewicht um den Frieden zu erhalten, kann wiederum als Mittel genutzt werden für den Sieg, wie das Wort Totrüsten beweist. Riskant ist es dennoch allemal. So erscheinen einem die 80er Überlebenden diese als völlig friedlich, einem in dieser Zeit lebenden war jedoch nicht so gewiss, ob diese vielen Atomwaffen nicht doch noch zum Einsatz kommen könnten. Dieser Patt soll im Falle Ukraine nicht gegeben sein, da nur eine Seite militärische Gewalt anwendet. Kann also Russland die ganze Ukraine einverleiben? Wer hindert sie, wenn keine Gegengewalt sich ihnen entgegen stellt?

    Wie Augenhöhe herstellen, wenn die eine Seite nicht den möglichen Krieg androht, der der anderen Seite den Nutzen einer Eroberungen ziemlich unnütz erscheinen lässt, die Rechnung vermiest?

  • 0G
    0564 (Profil gelöscht)

    Teil I

     

    Schön das die TAZ diese Debatte ermöglicht um dem "normal" hierarchischen Verhältnis Redaktion zu Lesern, also Verlautbarern zu Meinungsschluckenden entgegenzuwirken.

     

    Zum Kommentar:

    Gut, nehmen wir an, etwas anderes als das Spiel um den Kuchen mitzuspielen ist nicht drin., etwas "anderes" in dieser Welt nicht vorstellbar. "Wir" müssen nun einmal "unser" Machtgebiet, in welches wir hineingeboren wurden oder welchem wir uns anschließen durften in seinem guten Gelingen gegen ... (Platzhalter) unterstützen. So bleibt dem aufgeklärten Bürger allein als Gestaltungsgröße das Wirken auf das Spiel, so dass es bitte sich möglichst unblutig gestalten tue.