CCC-Kongress in Hamburg: Freiheit für Bits und Bytes

Auf ihrem Jahrestreffen verlangen die Netzaktivisten des Chaos Computer Clubs, dass die Hacker-Szene politischer werden soll.

Will dafür sorgen, dass jeder ungehindert ins Internet darf: US-Netzaktivist Jacob Appelbaum. Bild: dpa

HAMBURG taz | „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letze Mal ins Bett gegangen bin, ohne mich zu fragen, ob ich mit einem Pistolenlauf im Mund wieder aufwache“, sagt Jacob Appelbaum. Ein wenig verloren sieht er aus, wie er da im dunklen Sweatshirt auf der Hauptbühne des Jahreskongresses des Chaos Computer Clubs sitzt.

Völlig unbegründet ist seine Angst nicht. Denn seit bekannt wurde, dass der 29-jährige US-Programmierer und Netzaktivist zu den Unterstützern von Julian Assanges Enthüllungsplattform Wikileaks gehört, ist Appelbaum in den Fokus der US-Sicherheitsbehörden gerückt: Sie durchsuchten seine Wohnung, regelmäßig wird er bei der Einreise in die USA festgehalten, durchsucht, werden seine Telefone konfisziert.

Gerade deswegen wirbt Appelbaum als erster und wichtigster Sprecher beim diesjährigen Treffen des Chaos Computer Clubs, das dieses Jahr erstmalig in Hamburg stattfindet, für Widerstand gegen den digitalen Überwachungsstaat. Ganz gemäß dem Motto des diesjährigen Kongresses, das in diesem Jahr „Not my department“ lautet – nicht meine Baustelle. Hacker sollen sich einbringen in einer Gesellschaft, in der – trotz Demokratie – die Überwachung von Bürgern durch Staaten und Unternehmen immer weiter zunimmt.

„Wir sollten damit aufhören, zu sagen, dass es uns egal ist“, sagt Appelbaum, der unter anderem Programme schreibt, mit sich denen Menschen in autoritären Regimen im Internet bewegen zu können, ohne identifiziert werden zu können. Hacker, so fordert er, sollten aktiv werden, nicht nur reagieren – im Dienste der eigenen Freiheit, aber auch zur Unterstützung für Menschen in noch weniger freien Gesellschaften.

Eine Botschaft, die nur auf einen flüchtigen Blick fehlplatziert scheint in dem verwinkelten Gebäude, das sich etwa 6.000 Hacker mit blinkenden Lichtinstallationen, langen Tischen voller Lötkolben und Bars voller Mate-Limonaden für vier Tage zu eigen gemacht haben.

Die Kontrolle über die Technik zurückerlangen

Sie arbeiten in so genannten Hackerspaces, Treffpunkten der Community, oder entwickeln freie Hard- und Software. Freiheit verteidigen, die Kontrolle über die Technik zurückerlangen: Das sind seit jeher zentrale Antriebe vieler Hacker im Umfeld des Chaos Computer Clubs.

Insofern ist ihre Politisierung nichts Neues – warnte doch der kanadische Science-Fiction-Autor und Netzaktivist Cory Doctorow schon bei seinem Vortrag auf dem Kongress 2011, dass die aktuellen Fehden um das Urheberrecht nur die erste von vielen Schlachten gegen freie Computer und deren Nutzung seien und noch viele folgen werden.

Der Chaos Computer Club (CCC) ist nach eigenen Angaben die größte europäische Hacker-Vereinigung und seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten aktiv. Er tritt für ein „neues Menschenrecht auf weltweite, ungehinderte Kommunikation“ ein.

Der CCC hat seinen 29. Kongress, abgekürzt: 29C3, unter das Motto „Not my department“ (Nicht mein Fachgebiet) gestellt – eine Anspielung auf die Neigung von Technikern, sich nicht um Verantwortung und Konsequenzen ihres Handelns zu kümmern.

In Deutschland hat der CCC inzwischen schon fast so etwas wie die Rolle eines digital-technischen Expertengremiums für Politik und Gesetzgebung übernommen – immer wieder werden sie vom Bundesverfassungsgericht als Experten geladen.

Ein Blick ins Programmheft für den Kongress zeigt, dass die Liste der Themen, derer sich die Hacker annehmen, immer länger wird: Auf der Agenda stehen etwa die sogenannte Deep Packet Inspection, eine Technik, um jedes durchs Internet geleitete Datenpaket auf seine Inhalte hin zu überprüfen, die letztes Jahr vom CCC aufgedeckte, als „Staatstrojaner“ bekannt gewordene Spionagesoftware des BKA oder auch die Ethik der DdoS-Attacken. Mit diesen Programm hatte der Hacktivisten-Schwarm Anonymous in der Vergangenheit immer wieder Server großer Firmen oder Regierungen attackiert und deren Webseiten zum Erliegen gebracht.

Viele Schlachtfelder, wenige Hacker

Neben solchen eher technischen Themen stehen in Hamburg auch politische Fragen auf der Tagesordnung: die Ermittlungspannen bei den NSU-Morden, die Forschung zu Videoüberwachung oder die Anti-Terror-Datei der deutschen Geheimbehörden – ziemlich viele Schlachtfelder für die zwar agile, aber eben auch kleine Gruppe von Hackern und Aktivisten. Wenig überraschend also, dass auf den Podien immer wieder Appelle zu hören sind, die Hacker sollen aktiv werden: zur Verteidigung der eigenen Freiheit in den Netzen und der von anderen.

Appelbaum etwa adressiert gezielt eine neue Generation von Hackern, die in die Fußstapfen derer treten sollen, die sich seit 30 Jahren engagieren und müde geworden sind.

Auch andere bemühen sich um die Rekrutierung von Nachwuchs – etwa die niederländischen Netzaktivisten Ot van Daalen und Rejo Zenger von der Organisation Bits of Freedom. Intensiv hatten sie für Netzneutralität, also die Gleichbehandlung aller Datenpakete im Internet, gestritten. Mit dem Erfolg, dass das niederländische Parlament diese im Mai gesetzlich festschrieb.

In Hamburg erklären van Daalen und Zenger, worauf Netzspezialisten achten sollen, wenn sie bei politisch Verantwortlichen etwas erreichen möchten. „Wenn ihr keine Bewegung starten wollt, helft anderen!“ Und: „Konzentriert euch auf das, was ihr verändern wollt.“ Denn ein Burnout sei – angesichts der Fülle von potenziellen Aufgaben und der Überflutung mit Medienanfragen eine ernsthafte Bedrohung für Computer-Aktivisten.

Und auch der amerikanische Whistleblower Thomas Drake, der Details über Informationsverarbeitungssysteme des US-Geheimdienstes NSA enthüllte, der in der Konsequenz über Jahre hinweg von US-Behörden massiv unter Druck gesetzt wurde und dem zwischenzeitlich eine lange Gefängnisstrafe drohte, ruft der Menge, auf Basis seiner Erfahrungen deutlich verbittert, zu: „Verteidigt Freiheit mit allem, was ihr habt.“

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