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Antisemitismus in UngarnFaschisten wollen Juden zählen lassen

Jüdische Politiker, Hand heben: Die faschistische Partei Ungarns will wissen, wie viele Juden im Parlament sind. Die Reaktion der Regierung? Kommt spät.

Der Jobbik-Vorsitzende Gabor Vona während einer Demonstration. Antisemitische Ausfälle von seiner Partei sind keine Besonderheit. Bild: reuters

WIEN taz | „Der Parlamentspräsident möge feststellen, wie viele Juden im ungarischen Parlament und der ungarischen Regierung sind“. Diese Forderung erhob am Montag der Abgeordnete Márton Gyöngyösi von der faschistischen Partei Jobbik.

Er gab sich besorgt, dass Ungarn anlässlich der Gaza-Krise „ein Risiko für die nationale Sicherheit“ erwachsen könnte, wenn seine Institutionen von Juden durchsetzt seien. Gyöngyösi, der Vizefraktionschef von Jobbik, warf den jüdischen Parlaments- und Regierungsmitgliedern vor, die Haltung des Landes gegenüber dem Konflikt unzulässig beeinflusst zu haben. Das Außenministerium hätte sich beeilt, „Israel einen Treueschwur zu leisten“.

Rechtsextreme und antisemitische Ausfälle von Jobbik-Politikern sind in Ungarn keine Besonderheit. Bemerkenswert ist aber, dass Parlamentspräsident Laszlo Köver überhaupt nicht reagierte. Linke Abgeordnete werden häufig mit Wortentzug oder gar Saalverweis gemaßregelt. Köver war im Sommer nach öffentlichen Sympathiebezeugungen für einen faschistischen Autor von Israel ausgeladen worden.

Stellungnahme der Regierung

Erst als die Empörung über den Abgeordneten unüberhörbar wurde, versuchte die Regierung Haltung zu zeigen. Am Dienstag verschickte der Regierungssprecher eine Stellungnahme: „Die Regierung schreitet in strengstmöglicher Form gegen jede Art von Rassismus und antisemitischem Verhalten ein und unternimmt alles, um sicherzustellen, dass derart bösartige Stimmen, die mit europäischen Normen unvereinbar sind, zurückgedrängt werden“, heißt es darin.

Zsolt Németh, Staatssekretär im Außenministerium, wies jeden Zusammenhang zwischen der Haltung der Regierung im Gaza-Konflikt und der Anzahl jüdische Funktionäre zurück.

Schon vergangene Woche hatte Jobbik-Chef Gábor Vona bei einer Demonstration vor der israelischen Botschaft in Budapest eine Prüfung gefordert, ob es in Parlament und Regierung Leute mit ungarisch-israelischer Doppelstaatsbürgerschaft gibt. Sein Parteifreund Gyöngyösi hatte vergangenen Sommer Schlagzeilen gemacht, als er gegen Ermittler wetterte, die in Ungarn Nazi-Kriegsverbrecher suchen. Die oppositionelle sozialdemokratische MSZP wirft ihm Holocaustleugnung vor.

Hochspielen der „Zigeunerkriminalität“

Jobbik Magyarországért Mozgalom (Bewegung für ein besseres Ungarn) wurde 2003 als Rechtspartei von einer antikommunistischen Studenteninitiative gegründet. Ihre Erfolge verdankt sie vor allem dem Hochspielen der „Zigeunerkriminalität“.

Zudem hat sie sich aber auch dem Kampf gegen das „jüdische Kapital“ und der Aufhebung des Vertrags von Trianon verschrieben. Im Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg war Ungarn auf ein Drittel seiner damaligen Fläche reduziert worden.

Der Traum von der Wiederherstellung Großungarns ist aber auch in der Regierungspartei Fidesz stark präsent. Offener Antisemitismus war in der rechtsextremen Partei MIEP zu Hause. MIEP flog 2002 aus dem Parlament. Ihre Wähler und Sympathisanten dürften sich heute auf die rechtsnationalistische Fidesz und Jobbik verteilen.

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16 Kommentare

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  • K
    Kitty

    Wer fördert durch Alkoholwerbung ,das massensterben der Ungarischen Bevölkerung ?

  • P
    pele

    „Die Regierung schreitet [...] gegen jede Art von Rassismus [...] ein und unternimmt alles, um sicherzustellen, dass derart bösartige Stimmen, die mit europäischen NORMEN unvereinbar sind, zurückgedrängt werden“

     

    ...und nicht etwa, weil es ein Gebot der Menschlichkeit ist...

     

    phantastische Begründung...

  • HR
    Heiko Richter

    28.11.2012 09:44 Uhr

    von Bernd G.:

     

    "Ungarn ist aber kein Nachbarland von Deutschland"

    Das kann man sehen wie man will.

    Von welchen Grenzen gehen Sie denn aus? Wenn Sie die von Ende 1938 meinen, dann stimmt das - historisch gesehen.

    Ich meine übrigens, dass es in Ungarn recht wenig differenzierte und ausgewogene Berichterstattung gibt, da die Medien entweder parteigebunden oder von der Regierung abhängig sind. Deshalb finde ich kritische Artikel über Ungarn sehr angebracht. Bitte noch mehr davon!

  • B
    bull

    Dieses Gesülze von der ach so grossen friedfertigkeit der Christen geht mir gehörig auf den Sack.Tatsache ist nie wurden in der Weltgeschichte mehr Menschen im Namen des Christentums ermordet,niedergemetzelt zu Tode gefoltert,gevierteilt,aufgespiest,mit Säure ertränkt und was weiss ich noch was.Diese Religion kann mir genauso den Buckel runterrutschen wie alle anderen Religionen.Gott soll also ausgerechnet auf der Erde irgendwelchen Menschen irgendetwas offenbart haben?

    Etwas lächerlicheres gibt es wohl nicht.

  • D
    DerDemokrator

    @Flaucher

     

    Gegen Israels teilw. menschenverachtende politische Kaste zu protestieren hat nichts mit Antisemitismus zu tun,also werfen sie das demagogisch propagandistisch nicht alles in einen Topf. Damit verhalten sie sich nämlich auch nicht anders als diese Faschisten und woher echte Menschenverachtung kommt ist eigentlich egal, sie verfolgt immer das gleiche Ziel-sich selbst über andere zu erheben, bis hin zur Vernichtung.

     

    Ciao

    DerDemokrator

     

    P.S. Es gibt im ganzen ehemaligen Ostblock von Polen bis nach Rußland Faschisten, die dort einen teilw. erheblichen Einfluß haben und gegen Migranten, Schwule und natürlich "Kommunisten" "zu Felde ziehen", wobei ihr Weltbild bestimmt wer jeweils dazu gehört-genauso wie unter dem braunen Dreck.

  • A
    Alexander

    Wehret den Anfängen!

    Schrecklich. Das klingt sehr beunruhigend.

  • J
    Janos

    Als Grundlagen der Nation bekennt sich die Verfassung, das ungarische Grundgesetz, in seiner Präambel, die seit Beginn dieses Jahres in Kraft ist, zu Gott, Krone und Vaterland, Christentum, Familie und Nationalstolz.

     

    75% der Ungarn sind Christen.

    Nur 15% der Ungarn sind nicht religiös.

     

    Bundespräsident, Pfarrer Gauck & Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der EKD und Mitglied des Rates der EKD sowie Mitglied des Präsidiums des DEKT und Mitglied des Beirates der Evang. Akademie & Winfried Kretschmann, Mitglied des ZK der dt. Katholiken, des Diözeseanrates und der Studentenverbindung Carolingia, sie betonen alle drei in Reden und Schriften, das nur der Glaube an Gott und die Kirche den Menschen mit einer guten Ethik & Moral, den besten Charaktereigenschaften, auszeichne.

     

    ABER WARUM WÄHLEN CHRISTEN DANN FASCHISTEN???

  • BG
    Bernd G.

    "Ungarn ist aber kein Nachbarland von Deutschland"

    Das kann man sehen wie man will.

     

    Volkszählungen ansich und dabei auch Minderheiten erfassen gehört einfach dazu (Siehe Zensus in Deutschland). Speziell eine Bevölkerungsgruppe zu zählen weil man sie unter Generalverdacht stellt staatsfeindlich zu sein ist aber rassistischer Bullshit. Was soll als nächstes kommen? Sollen die Juden Armbinden tragen?

     

    Man muss aber erwähnen, dass das ein einzelner Politiker ist, der diesen Mist verzapft. Wenn ich an Leute wie diesen Apfel von der NPD denke will ich auch nicht, dass man im Ausland denkt, dass sei eine allgemein akzeptierte Meinung. Dahingehend berichtet die deutsche Presse viel zu eingeschränkt über Ungarn. Fidesz ist nicht Jobbik, trotzdem wird es so hingestellt, als ob 3/4 der Ungarn rechtsextrem wären. Viele sind Anti-Kommunistisch (verständlich nach Jahren der roten Diktatur) und wollen sich nicht von vielen Roma-Sippen auf der Nase rumtanzen lassen. Ungarns Geschichte war und ist seit jeher eng an die Deutsche gebunden, wir sollten uns daher etwas mehr mühe geben die Vorgänge differenzierter zu betrachten.

  • I
    Infiltrator

    @Jared: DANKE!

     

    Dein Kommentar ist der Beweis dafür, dass es noch Menschen gibt die noch wissen wozu ihr Hirn ursprünglich einmal gedacht war. DAS GIBT MIR HOFFNUNG.

  • JJ
    Jared J. Myers

    Ahnen die Herren eigentlich, wie viele Juden die Politik Israels seit Ariel Scharon zum Teufel wünschen? Zählen sie die Katholiken im Parlament, weil die ja im Falle eines Konflikts mit dem Vatikan ein Risiko darstellen könnten? Wollen sie vielleicht ein "Groß-Ungarn", das bis an die Grenze Jordaniens reicht? Wissen sie nicht, dass andere Brüder im Beschränkten Geiste ein tolles Groß-Ruanda, ein Groß-Syrien, Groß-Serbien, Groß-Deutschland, Groß-Elfenbeinküste oder eben ein Groß-Israel wollen - und dass alle diese Leute sich vor allem durch eine große Klappe auszeichnen und sich überall gleichmäßig der Lächerlichkeit preisgeben? - Wäre das anders, hätten die Jobbik-Leute schon vor Jahren ihr Imperium in einer verstrahlten Höhle im Zemplén-Gebirge gründen und vielleicht noch bis in die Trümmer Budapests hinein ausdehnen können. Groß-Israel wäre vielleicht unter Groß-Jordanien, Groß-Libanon und Groß-Ägypten aufgeteilt und hätte sich nach Groß-Zypern zurückgezogen, während die Groß-Türkei nach der Einnahme von Groß-Armenien und Groß-Syrien am ausgetrockneten Kaspischen Meer Groß-China gegenüberstünde. Die Weltbevölkerung betrüge dann vielleicht - nach kompletter Ausrottung der jeweiligen Minderheiten und einer Unzahl von Kriegen, Seuchen und Hungersnöten - noch ein paar Millionen Großmäuler.

  • H
    Hügel

    Diese Ungarn versteh ich schon lange nicht mehr. Es ist doch ein Hammer, dass nicht einmal zig Jahre Kommunismus das braune Gespenst töten konnten.

    Leider macht die EU viel zu wenig Gegendruck, um diesen Spuk einzugrenzen.

  • F
    Flaucher

    Da sind Europas Linke mit ihrem Israelhass ja in feiner Gesellschaft.

  • G
    Gunter

    Zwar kenne ich die Ungarische Politik nicht so gut, doch die Geschichte und das es in diesem Land eine starke antisemitische Haltung gibt ist schon klar. Das jedoch der Einfluss gerade auch in Deutschland von ultrareligiösen Lobbies hoch ist, ist auch kein Geheimnis. Was spricht dagegen den Einfluss religiöser Hardliner auf die Getzesbildung transparent zu machen ? Man denke nur an die unseelige Beschneidung und die damit sanktionierte Körperverletzung an Minderjährigen in Deutschland wegen überkommener religiöser Riten ? Wer zieht die Strippen ? Das öffentlich zu machen, wer wen dazu bringt zu solchen "Gesetzen" mit ja zu stimmen ist eine demokratische Forderung, die Sinn macht. Sowas gleich mit faschistisch gleichzusetzen ist pure Polemik. Wir haben in Deutschland das Meldegesetz und das haben die Nazis erfunden und es wurde nie wieder abgeschafft auch so eine Art von Überwachung jedes Bürgers, warum sollen sich die Abgeordneten nicht auch bekennen warum sie für wen was abstimmen ?

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Da ist die Welt noch in Ordnung: Nazis sind antisemitisch. Antisemiten sind Nazis. Und basta.

    Keine Diskussion nötig, was Antisemitismus sei.

    Bei uns jedoch sind es weniger die Nazis, die sich antisemitisch hervortun. Sie haben zwar Kampagnen wie "Israel mordet - mach Dein Foto", aber richtig aktiv gegen Juden bzw. ersatzweise gegen Israel sind eher die linken Antisemiten, die aber keine sein möchten.

  • RD
    Richard Detzer

    Sparen sie sich bitte solche Hetzartikel. Nicht jeder ist gleich ein Faschist, nur weil sie es gerne hätten.

  • HR
    Heiko Richter/Mezöbereny

    Das ist leider Realität im heutigen Ungarn und wohl nur die Spitze eines Eisberges. Ungarn ist aber kein Nachbarland von Deutschland, auch deshalb ist mehr Berichterstattung über Ungarn wünschenswert.